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Laute und leise Prosodie
(2006)
Dass die Prosodie uns beim Verständnis der gesprochenen Sprache unterstützt, ist selbstverständlich. Syntaktisch und semantisch mehrdeutige Sätze werden oft erst auf ihrer Basis richtig interpretiert. Weniger selbstverständlich ist, dass auch bei leise gelesener Sprache die Prosodie nicht auszuschalten ist. Eine abstrakte prosodische Struktur wird auf geschriebenen Texten aufgebaut, die der unmarkierten Informationsstruktur entspricht, es sei denn, kontextuelle Faktoren lösen spezielle diskursstrukturelle Merkmale und somit eine markierte prosodische Struktur aus. Aus diesem Grund ist auch die Prosodie ein wichtiger Faktor für die Verarbeitung von sog. Garden-Path-Sätzen und anderen lokal ambigen Sätzen: Es wird zuerst eine unmarkierte prosodische Struktur aufgebaut, die dann aufgrund weiterer morpho-syntaktischer Evidenz revidiert werden muss. Diese Reanalyse der syntaktischen und prosodischen Struktur geht mit erhöhten Verarbeitungskosten einher. Verlängerte Lesezeiten bei Sätzen mit markierter syntaktischer Struktur, wie z. B. bei Topikalisierungen und Scrambling, werden dadurch erklärt, dass neben der komplexeren Syntax auch eine markierte, weil aufwändige, prosodische Struktur aufgebaut werden muss. Im vorliegenden Beitrag wird ein Modell der Prosodie des Deutschen zusammengefasst, das die unmarkierte und markierte Prosodie erfasst und ihre Rolle beim Sprachverstehen beleuchtet. Silverman (1987) zeigt für das Englische, dass die Prosodie auch auf der Textebene eine disambiguierende Rolle spielt und dass die Skalierung der Tonakzente sowie die Dauerverhältnisse zwischen Sätzen uns dabei helfen, die richtigen Bezüge zwischen anaphorischen Elementen zu verstehen. Dieser Aspekt der Prosodie ist aber bisher kaum untersucht. Der Schwerpunkt der vorliegenden Analyse konzentriert sich deshalb auf den Satz.
Die zentrale Forschungsmethode in der Psycholinguistik ist das psychologische Experiment. Dadurch unterscheidet sich die psycholinguistische Forschung in mancher Hinsicht von anderen Gebieten der Sprachwissenschaften, in denen die Beobachtung natürlichen Vorkommens sprachlicher Phänomene eine deutlich größere Rolle spielt. Ich werde im folgenden Beitrag nach einer kurzen Definition psycholinguistischer Fragestellungen zunächst Experiment und Beobachtung einander gegenüberstellen und dabei dafür argumentieren, dass es sich hier um einander ergänzende Herangehensweisen handelt. Ich werde dann verschiedene psycholinguistische Experimentaltechniken vorstellen, von sehr einfachen Fragebogentechniken bis hin zu technisch höchst aufwendigen Methoden wie der Messung von Blickbewegungen oder von sprachspezifischen EEG-Mustern. Hier werde ich versuchen, deutlich zu machen, dass nicht die Kosten allein die Qualität einer Technik ausmachen, sondern die Angemessenheit für die Fragestellung.
Ob und welche kritischen Phasen für den Zweitspracherwerb existieren, wird im Hinblick auf Erwerbsverlauf und Erwerbsgeschwindigkeit kontrovers diskutiert. Für den Vergleich mit einsprachigen Lernern bietet der frühe Zweitspracherwerb ein ideales Untersuchungsfeld, da hier der Kontakt zur zweiten Sprache mit etwa drei Jahren, noch während des Erstspracherwerbs, einsetzt. Im vorliegenden Beitrag wird am Beispiel der w-Fragen untersucht, wie frühe Zweitsprachlerner die Interpretation von syntaktisch-semantisch komplexen Strukturen meistern. Die längsschnittlichen Daten wurden im Rahmen des Forschungsprojekts MILA mit dem Untertest w-Fragen aus LiSe-DaZ erhoben. Quantitative und qualitative Analysen belegen, dass sich die untersuchten frühen Zweitsprachlerner weder im Erwerbsverlauf noch in den Erwerbsmustern von den einsprachigen Lernern unterscheiden und dass sie ihnen in Bezug auf die Erwerbsgeschwindigkeit sogar überlegen sind. Für den w-Fragen-Erwerb ist folglich das Ende der kritischen Phase nicht vor dem dritten Geburtstag anzusetzen.
Sprachverarbeitung, also Verstehen neben Behalten und Erinnern, ist ein Prozess, in dem außer Faktoren wie Wissen, Einstellungen und Emotionen auch die pragmatischen Rahmenbedingungen, situative und kulturelle, eine Rolle spielen. Das gilt auch für das Verstehen von Texten. Bezogen auf einen alltagssprachlichen Kulturbegriff, für den die Routinen, die eine Kulturgemeinschaft zur Bearbeitung ihrer Probleme hervorbringt, besondere Bedeutung haben, sind Textsorten als kulturelle Artefakte und Instrumente zugleich anzusehen, d.h. als Hervorbringungen einer Kultur und als Mittel zu deren Aufrechterhaltung. Verstehen von Texten bedeutet dann nicht - wie oft angenommen - das rückläufige Wiederholen der bei der Textproduktion ausgeführten Vorgänge, sondern das Vollziehen rezeptionstypischer Prozesse: Einordnen des Gelesenen/Gehörten im Sinne des Erkennens kultureller Hintergründe und Handlungsräume sowie Zuordnen zu Textsorten, ohne deren Wahrnehmung die Funktion des jeweiligen Textes unklar bliebe. An diesen Verstehensaktivitäten ansetzend, werden anhand von Beispieltexten Fragen zum Verstehen angesprochen, die sich aus dem kulturellen Charakter von Sprache ergeben.
Der Beitrag zeigt auf, dass eine bestimmte Perspektive auf Sprache und Kommunikation notwendig auf verstehende Methoden rekurrieren muss, um die Dynamik sprachlich-kommunikativen Handelns angemessen zur Geltung bringen zu können. Wer sprachliche Kommunikation „beschreiben“ will, muss verstehen, was die Partner tun und er muss (ex post) verstehen, wie sich die Partner in der Situation verstehen: er muss ‚Verstehen‘ verstehen.
Analog zu einem solchen parole-bezogenen analytischen Vorgehen im Sinn einer linguistischen Hermeneutik wird als sprachtheoretischer Bezugspunkt eine hermeneutische Linguistik vorgestellt. Aus deren Einordnung in die Tradition der Aufklärungshermeneutik wie der romantischen Hermeneutik, sowie aus Bezügen zu kognitivistischen, konstruktivistischen und dekonstruktivistischen Theorieansätzen wird die Idee einer „radikalen Hermeneutik“ entwickelt, die im Zusammenspiel mit Dialektik und Rhetorik den theoretisch-methodischen Rahmen für ein breites Spektrum zentraler linguistischer Fragestellungen abzugeben vermag.
Weltansichten aus sprachlicher und rechtlicher Perspektive. Zur Ontisierung von Konzepten des Rechts
(2008)