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Endungsvariation
(2014)
Aus der Perspektive der Sprachbenutzerinnen ist der Genitiv vom Sprachverfall bedroht. Jedoch lässt sich in der Geschichte des Deutschen kein geradliniger Abbau nachweisen. Die kurze Genitivendung -s (aus -es) setzte sich zwar schon im Frühneuhochdeutschen als die häufigere Variante durch, im weiteren Sprachwandel entwickelte sich dann aber eine komplex gesteuerte Variation beider Endungen. Mit dem Abbau des verbalen und attributiven Genitivs gehen zwar wichtige Funktionsbereiche verloren, doch zeichnet sich in der neuesten Sprachgeschichte ein unerwarteter Aufbau des Genitivs als Präpositionalkasus ab. In diesem Beitrag wird dafür plädiert, dass die formale und funktionale Entwicklung des Genitivs stark durch sprachliche Unsicherheit beeinflusst wurde und wird, die eine Reaktion auf bestehende Varianz darstellt. Es wird dafür argumentiert, dass die stilistische Aufwertung der langen Genitivform und des Genitivs gegenüber dem Dativ den Sprach-wandel aufhält bzw. sogar in eine andere Richtung lenkt.
Die Beschreibung und Modellierung grammatischer Variation, d.h. von Instanzen, in denen eine Funktion oder Bedeutung durch mehrere, miteinander konkurrierende Formtypen ausgedrückt werden kann, stellt eine Herausforderung sowohl für Grammatikografie als auch Grammatiktheorie dar. Die vorliegende Doppelstudie zur starken Genitivflexion und ihrem Wegfall entwickelt neue korpusorientierte Zugänge zu dieser Problematik. Quantitative und inferenzstatistische Methoden ermöglichen nicht nur eine detaillierte und empirisch fundierte Beschreibung der Distribution der einschlägigen Markierungsvarianten (-s, -es, -ens, -Ø, Apostroph). Sie sind auch das geeignete Rüstzeug, die Hypothesen der bisherigen Forschung zu evaluieren und die sehr zahlreichen sprachlichen und außersprachlichen Einflussfaktoren präzise zu hierarchisieren, um einem konsistenten Gesamtmodell der Variation in diesem Teilbereich der Grammatik näher zu kommen.