Spracherwerb
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Die neue politische, wirtschaftliche u. a. Situation in Ost-Mittel-Europa, so auch in Ungarn, verlangt ein höheres Niveau der Fremdsprachenkenntnis, die je nach Bildung, sozialer Stellung differenziert erscheint. In Ungarn, wo die deutsche Sprache und Kultur traditionell immer schon eine besondere Stellung eingenommen hat, ist Deutsch in der Sprachenwahl im schulischen Unterricht immer noch auf Platz zwei. Dies wird wohl auch durch die Nachbarschaft mit Österreich, einem deutschsprachigen Land, und die intensiven wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen mit den deutschsprachigen Ländern begründet. Diesen neuen Anforderungen muss ein differenzierter, die Varietäten berücksichtigender DaF-Unterricht entsprechen.
Nach einem kurzen Überblick über die Varietätenvielfalt und die Verflechtung der Varietäten des Deutschen wird der Grad der Abweichung der Varietät von der Standardvarietät auf der Varietätenskala dargestellt. Im Weiteren werden die sprachlichen und linguistischen Ebenen im Hinblick auf die Varietäten unter die Lupe genommen.
Es wird untersucht, welche Varietät und in welcher Tiefe je nach Alter, Funktion u. a. im Rahmen des ungarischen Schulsystems unterrichtet werden soll. Der Autor des Beitrags plädiert für die immer breitere Anwendung des zweisprachigen Sach- und Fachunterrichts, der im Idealfall letzten Endes in eine angelernte Zweisprachigkeit münden kann bzw. sollte.
Ob und welche kritischen Phasen für den Zweitspracherwerb existieren, wird im Hinblick auf Erwerbsverlauf und Erwerbsgeschwindigkeit kontrovers diskutiert. Für den Vergleich mit einsprachigen Lernern bietet der frühe Zweitspracherwerb ein ideales Untersuchungsfeld, da hier der Kontakt zur zweiten Sprache mit etwa drei Jahren, noch während des Erstspracherwerbs, einsetzt. Im vorliegenden Beitrag wird am Beispiel der w-Fragen untersucht, wie frühe Zweitsprachlerner die Interpretation von syntaktisch-semantisch komplexen Strukturen meistern. Die längsschnittlichen Daten wurden im Rahmen des Forschungsprojekts MILA mit dem Untertest w-Fragen aus LiSe-DaZ erhoben. Quantitative und qualitative Analysen belegen, dass sich die untersuchten frühen Zweitsprachlerner weder im Erwerbsverlauf noch in den Erwerbsmustern von den einsprachigen Lernern unterscheiden und dass sie ihnen in Bezug auf die Erwerbsgeschwindigkeit sogar überlegen sind. Für den w-Fragen-Erwerb ist folglich das Ende der kritischen Phase nicht vor dem dritten Geburtstag anzusetzen.
Eine wichtige und häufig unterschätzte Aufgabe beim Erwerb einer zweiten Sprache ist es, sich die rhythmisch-prosodischen Muster der Zielsprache anzueignen (Kaltenbacher 1998; Gut/Trouvin/Barry 2007; Rautenberg 2012). Wie erfolgreich Lerner/innen dabei sind, ist auch davon abhängig, ob sie analoge Muster in ihrer Ausgangssprache vorfinden und damit bereits für eine zielsprachennahe Rhythmus- und Akzentwahrnehmung sensibilisiert sind. Liegen solche analogen Muster nicht vor, ist es Aufgabe von Lehrprogrammen, die Rhythmus- und Akzentstrukturen als relevante Lernhilfen sichtbar zu machen.
Soweit ich sehe, liegen hier bislang kaum zielführende Konzepte vor (so auch Richter 2008). Findet der Zweitspracherwerb in der Grundschule statt, ist sogar das Gegenteil der Fall. Denn im Schriftspracherwerb, der den weitaus intensivsten Teil des Deutschunterrichts der Grundschule ausmacht, werden die Kinder mit noch genauer zu beschreibenden Schreib- und Lese-Lern-Verfahren auf die phonologische Segmentstruktur festgelegt; Rhythmus und Akzent werden nivelliert bzw., wie zu zeigen sein wird, für andere Arbeitsaufgaben funktionalisiert, so dass eine zielsprachennahe Orientierung an rhythmisch-prosodischen Strukturen tendenziell blockiert wird.
Das hat Auswirkungen nicht nur auf den Erwerb der gesprochenen Sprache, sondern auch auf den Schriftspracherwerb selbst. Denn die Schrift buchstabiert nicht einfach Lautketten aus, sondern ist selbst rhythmus-sensitiv. Verschriftet werden neben segmentalen Lauteigenschaften, Silben- und Akzentmuster, morphologische und syntaktische Strukturen. Eine einseitige Fixierung der Kinder auf die lautlich-segmentale Seite der Schrift führt nicht nur zu einer vereinseitigten Schrifttheorie, sondern zugleich dazu, dass weitere strukturelle Eigenschaften, darunter Silben- und Akzentmuster, weder in den Aufmerksamkeitsfokus der Kinder gelangen noch für das Schreiben und Lesen genutzt werden können. Wie u.a. Ashby (2006) gezeigt hat, ist aber gerade die Realisierung der prosodisch-rhythmischen Struktur eine wesentliche Komponente für die Leseflüssigkeit.
Im vorliegenden Beitrag geht es nach einem Abriss über herkömmliche, im Erstunterricht zugrundegelegte Schriftspracherwerbsmodelle und ihre Folgen für die Sprachwahrnehmung um die Rekonstruktion der Wortschreibung des Deutschen; gezeigt wird, wie phonographische, silbische, prosodische und morphologische Eigenschaften im Kernwortschatz miteinander interagieren, um eine reguläre Wortschreibung zu erzeugen.
Eine Gegenüberstellung des Deutschen und des Türkischen wird zeigen, dass sowohl in Bezug auf die Akzent- als auch in Bezug auf die Rhythmusstrukturen relevante Unterschiede bestehen, die bei Kindern mit Türkisch als erster Sprache zu Problemen beim Zugriff auf die für die Verschriftung deutscher Wörter wichtigen prosodischen Strukturen führen können, die durch fehlgehende Lehr-Lernprogramme weiter verschärft werden.
Zuletzt werden neuere Modelle des Schriftspracherwerbs vorgestellt, die es auf der Grundlage einer ausgebauten Schrifttheorie erlauben, den Lerner/innen von Beginn an einen Zugriff auf diejenigen Einheiten zu ermöglichen, die Fixpunkte für das geschriebene und für das gesprochene Deutsch darstellen.
Während die Entwicklung narrativer Kompetenze in gesprochener Sprache häufig als Voraussetzung literaler Kompetenzen gesehen wird, stellt der Beitrag die strukturelle Verschiedenheit beider Kompetenzbereiche heraus. Dabei wird an der mehrfach kritisierten Vorstellung eines Kontinuums zwischen einem oraten und einem literaten Pol sprachstruktureller Mittel ebenso festgehalten wie an der analytischen Trennung zwischen einer medialen und einer sprachstrukturellen Dimension. Am Beispiel mündlicher und schriftlicher Erzählungen eines Stummfilms durch Erstklässler türkischer Herkunft in ihrer Zweitsprache Deutsch werden zunächst interaktive Prozesse der Textproduktion unter den Bedingungen des Diktierens und des kooperierenden Schreibens rekonstruiert, aus denen sich zwei unterschiedliche Formen eines Scaffolding durch erwachsene Interaktionspartner ergeben. Es schließen sich eine orat-literat-Analyse des Gebrauchs von Nominalphrasen in den Texten sowie narrative Analysen an, die die Realisierung globaler Erzählstrukturen, die sprachliche Gestaltung der Wiederaufnahme und den Gebrauch direkter und indirekter Figurenrede untersuchen. Die Verteilung der Texte entlang der beiden Kontinua zeigt ein partielles Auseinandertreten der narrativen und literaten Indikatoren, die jeweils stärker in den mündlichen bzw. schriftlichen Texten in Erscheinung treten. Im Fazit wird der Beitrag medialer Strukturierungshilfen für die konzeptuelle Schreibaufgabe herausgearbeitet.
Der kindliche Spracherwerb zeichnet sich sowohl durch seine Robustheit als auch durch eine spezifische Dynamik aus. Im Mittelpunkt des Beitrags stehen frühe Phasen des Erwerbs des Deutschen, in denen Konstruktionen unterschiedlicher Analysetiefe koexistieren, die im Laufe der Zeit immer wieder reanalysiert werden und schließlich auf einen einzigen abstrakten Bauplan hin konvergieren. Anhand von Daten aus diversen Fallstudien wird gezeigt, dass die Entwicklung der so genannten „Satzklammer“ des Deutschen als Konvergenzprozess verstanden werden kann, bei dem Lerner bewährte Teilsysteme, darunter anfängliche teilproduktive Formeln, dekonstruieren und auf abstrakterer Ebene rekonstruieren. Untersucht werden typische Übergangsphänomene, u.a. die Verwendung von Platzhaltern und Doppelbesetzungen, die diese Konstruktionsleistung erkennen lassen. Argumentiert wird, dass sich generative und dynamische, konstruktivistische Ansätze bei dem Bemühen um eine Erklärung dieses Erwerbsprozesses sinnvoll ergänzen.
Der Konstruktionsbegriff hielt seinen Einzug in die Spracherwerbsforschung durch gebrauchsbasierte Lerntheorien, nach denen sprachliche Strukturen als Form-Funktionseinheiten aus dem Input abgeleitet werden, Sprache somit ein emergentes System ist (Tomasello 1998a und b; Behrens 2009a und b). Die Abstraktionseinheit für das Kind ist dabei die Äußerung in ihrer situativen Gebundenheit und ihrer Diskursfunktion, mithin die Konstruktion. Die Konstruktion wird gefasst als schematische Einheit mit mehr oder weniger offenen Slots: Teile der Konstruktion können lexikalisch fixiert oder aber produktiv und durch andere Ausdrücke ersetzbar sein. Der Kontrast zum Valenzbegriff bzw. dem der Argumentstruktur in seiner formaleren Definition liegt darin, dass die lexikalischen Eigenschaften der Wörter die Syntax nicht projizieren, sondern dass sowohl die Eigenschaften der Lemmas als auch die der Morphosyntax aus ihrem Vorkommen in konkreten Sätzen abgeleitet werden.
Empirisch konzentriert sich die Forschung auf die Ermittlung der Generalisierungsprozesse und auf deren Basis im Input, dem Sprachangebot. Erwerbsrelevant ist insbesondere der Input in seinen usualisierten Mustern in typischen Interaktionssituationen. Eher wird vor allem der Grad der Produktivität kindlicher Äußerungen analysiert. Bislang weniger untersucht, aber zunehmend im Fokus sind die Generalisierungsprozesse selbst und damit die generative Kraft des Konstruktionsbegriffs. Sobald Aspekte einer Konstruktion abstrahiert worden (= produktiv) sind, sollten sie auf neue Situationen übertragen werden können, und gilt es zu ermitteln, welche formalen, funktionalen und distributionellen Faktoren die Abstraktion sprachlichen Wissens fördern.
In dem Paradigma der gebrauchsbasierten Konstruktionsgrammatik wird die modulare Trennung zwischen Wörtern und Regeln aufgehoben. Somit kann innerhalb eines einheitlichen theoretischen Rahmens sowohl der Erwerb regelhafter als auch der stärker idiosynkratischer Strukturen erklärt werden.
Dem Leseverstehen in der Mutter- und in der Fremdsprache liegt ein gemeinsamer Leseprozess zugrunde, der aber dennoch im Detail ganz unterschiedlich verlaufen kann. Es bestehen diesbezüglich erhebliche Unterschiede im Bereich des Wissens und des Grades der Automatisierung. Ein Mangel an sprachlichem, stilistischem und kulturellem Vorwissen erschwert für Fremdsprachenleser das Textverstehen; Leseheuristiken der Muttersprache können negative Interferenzen auslösen, und oft müssen syntaktische und morphologische Signale neu gewichtet werden. Das größte Problem für einen fremdsprachlichen Leser ist aber wohl, sich einen angemessenen, differenzierten und reichen Wortschatz anzueignen, der ein schnelles und effizientes Verständnis der Textbotschaft ermöglicht. Schriftliche Texte sind oft die einzige Kontaktmöglichkeit zur Zielsprache und -kultur außerhalb des Landes, in dem die Zielsprache gesprochen wird, jedoch sind für Nicht-Muttersprachler die oberflächlichen Lesestile oft nicht ausreichend. Solche Erkenntnisse können und sollen in die Lesedidaktik und in das Lesetraining in der Fremdsprache integriert werden.
Language Change
(2017)
The present chapter outlines a research program for historical linguistics based on the idea that the object of the formal study of language change should be defined as grammar change, that is, a set of discrete differences between the target grammar and the grammar acquired by the learner (Hale 2007). This approach is shown to offer new answers to some classical problems of historical linguistics (Weinreich et al. 1968), concerning, specifically, the actuation of changes and the observation that the transition from one historical state to another proceeds gradually. It is argued that learners are highly sensitive to small fluctuations in the linguistic input they receive, making change inevitable, while the impression of gradualness is linked to independent factors (diffusion in a speech community, and grammar competition). Special attention is paid to grammaticalization phenomena, which offer insights into the nature of functional categories, the building blocks of clause structure.