Sprache, Linguistik
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Wörter und Unwörter
(2011)
„Keine Angst vor Anglizismen“ sagt Gerhard Stickel und zeigt, dass und wie der Wortschatz der deutschen Sprache sich ständig erneuert, nicht nur durch die Entlehnung von Wörtern aus anderen Sprachen, sondern mehr noch durch die Bildung neuer Wörter aus vorhandenen eigenen Wörtern und Wortteilen. So wie die alte Vorliebe für Wörter aus dem Französischen sich überlebt hat, sind auch viele Anglizismen schon wieder untergegangen, und ihr übermäßiger Gebrauch sagt weniger über die Sprache als über ihre Sprecher – ganz abgesehen davon, dass das Deutsche nicht nur Wörter aus anderen Sprachen aufnimmt, sondern auch seinerseits Wörter an andere Sprachen abgibt. Die deutsche Sprache wird zum Faszinosum in diesem Vortrag des ehemaligen Direktors des Instituts für Deutsche Sprache.
Der Beitrag bietet einen Analysevorschlag für ereignisbezogene adverbiale Modifikatoren beim Zustandspassiv, der ihr Auftreten in verbaler Umgebung mit der adjektivischen Natur des Zustandspassivs in Einklang bringt. Grundlage hierfür ist eine empirisch breit abgesicherte Argumentation für das Vorliegen einer besonderen strukturellen Nähe zwischen Modifikator und Partizip, die gleichsam eine kompakte Einheit in der Übergangszone zwischen Wort und Phrase bilden. Diese Sicht macht den Weg frei für eine strikt kompositionale Semantik des Zustandspassivs samt adverbialen Modifikatoren.
Nach Aufrufen der Zarin Katharina II und ihrer Nachfolger haben sich viele Menschen „aus deutschen Landen“ – aus Hessen und Baden, aus der Pfalz und Württemberg, aus Bayern, aus Mittel- und Norddeutschland – im 18. und später im 19. Jahrhundert auf den Weg nach Russland gemacht. Mitnehmen konnten sie nicht viel – außer ihren Heimatmundarten. Diese haben sie nicht nur in den ersten Jahrzehnten bewahrt, sondern für viele Generationen und Jahrhunderte danach.
Vom Zarenreich bis Putin folgt die Autorin dem Schicksal der russlanddeutschen Dialekte. Sie reist in die entlegensten Winkel der ehemaligen Sowjetunion, in die kleinen und großen Sprachinseln, besucht Wolhyniendeutsche und Mennoniten im Norden, Schwaben in Kasachstan, Bayern und Pfälzer im Altai-Gebiet und entdeckt überall quicklebendige Mundarten, eine reiche, vielfältige, für die Außenwelt noch weitgehend verschlossene Dialektlandschaft, deren besonderer Reiz das Neben- und Miteinander des Ursprünglichen, Mitgebrachten und des in den russischen Weiten Neuentwickelten und Hinzugekommenen ausmacht. Einen allgemeinen und gleichzeitig detaillierten Einblick in die heute weitgehend verschwundenen deutschen Sprachinselgebiete Russlands und deren Mundarten gibt das gut illustrierte Buch von Nina Berend.
Linguistische Ausdrücke, die offensichtlich aus kleineren Teilen zusammengesetzt sind, deren formale oder funktionale Eigenschaften jedoch nicht auf der Basis dieser kleineren Teile bestimmt werden können, kann man als Konstruktionen bezeichnen. Eine Standardannahme in regelbasierten Grammatikmodellen ist, dass komplexe linguistische Ausdrücke ins Lexikon gehören, wenn sie Konstruktionen sind, und in einem regelbasierten Bereich der Grammatik erfasst werden, wenn sie keine Konstruktionen sind. Dies führt zu einer inhomogenen und konzeptuell daher wenig attraktiven Theorie, die zwei mögliche Quellen für komplexe linguistische Ausdrücke vorsieht: Lexikon und Grammatik. Grundsätzlich gibt es zwei Auswege aus diesem Dilemma: Zum einen kann man die Rolle von Konstruktionen stärken, so dass Konstruktionen viel oder sogar alles von dem abdecken, was traditionell von grammatischen Regeln behandelt wird. Zum anderen kann man aber auch versuchen, die Rolle von Regeln zu stärken, so dass Regeln viel oder sogar alles von dem abdecken, wofür man typischerweise Konstruktionen bemüht. In diesem Aufsatz möchte ich anhand von zwei Phänomenen in der Grammatik des Deutschen, die auf den ersten Blick wie Musterexemplare für Konstruktionen aussehen, argumentieren, dass ein ausschließlich regelbasierter Ansatz nicht nur deskriptiv konkurrenzfähig ist, sondern darüber hinaus auch explanativ überlegen. Die untersuchten Phänomene sind verblose Direktive (wie in „Her mit dem Geld!“) einerseits und sequentielle Nominalreduplikation (wie in „Jahr für Jahr“) andererseits. Die allgemeine Konklusion ist, dass es vermutlich (außer, trivialerweise, Morphemen) gar keine Konstruktionen gibt.
Der kindliche Spracherwerb zeichnet sich sowohl durch seine Robustheit als auch durch eine spezifische Dynamik aus. Im Mittelpunkt des Beitrags stehen frühe Phasen des Erwerbs des Deutschen, in denen Konstruktionen unterschiedlicher Analysetiefe koexistieren, die im Laufe der Zeit immer wieder reanalysiert werden und schließlich auf einen einzigen abstrakten Bauplan hin konvergieren. Anhand von Daten aus diversen Fallstudien wird gezeigt, dass die Entwicklung der so genannten „Satzklammer“ des Deutschen als Konvergenzprozess verstanden werden kann, bei dem Lerner bewährte Teilsysteme, darunter anfängliche teilproduktive Formeln, dekonstruieren und auf abstrakterer Ebene rekonstruieren. Untersucht werden typische Übergangsphänomene, u.a. die Verwendung von Platzhaltern und Doppelbesetzungen, die diese Konstruktionsleistung erkennen lassen. Argumentiert wird, dass sich generative und dynamische, konstruktivistische Ansätze bei dem Bemühen um eine Erklärung dieses Erwerbsprozesses sinnvoll ergänzen.
Es ist unbestritten, dass in allen natürlichen Sprachen nicht-kompositionelle Form-Bedeutungspaare verschiedener Komplexitäts- und Abstraktionsgrade existieren. Uneinigkeit besteht dagegen bezüglich der Frage, ob diese Form-Bedeutungspaare als Teil der Grammatik oder gar, wie in der Konstruktionsgrammatik postuliert, als grundsätzliches grammatisches Organisationsprinzip zu verstehen sind. In meinem Beitrag argumentiere ich für eine zentrale Rolle von Konstruktionen bei der Repräsentation sprachlichen Wissens: Da Menschen offensichtlich in der Lage sind, Konstruktionen (im oben genannten Sinne) zu erwerben und zu verarbeiten, muss ein entsprechendes, konstruktionsverarbeitendes System existieren. Dieses kann auch nicht-idiomatische (regelhafte) Strukturen verarbeiten. Umgekehrt kann aber ein regelverarbeitendes System nicht ohne Weiteres idiomatische Strukturen verarbeiten. Das Sparsamkeitsprinzip sagt uns, dass eine Grammatik mit nur einem System einer mit zwei Systemen vorzuziehen ist, wenn es keine zwingenden Gründe für die Annahme eines zweiten Systems gibt. Neben diesem logisch-ökonomischen Argument diskutiere ich abschließend die Möglichkeit, anhand der systematischen Verletzung scheinbar allgemeingültiger grammatischer Regeln die Plausibilität eines konstruktionsverarbeitenden Systems empirisch zu untermauern.
Kombinationen aus Präposition und artikelloser Nominalprojektion, deren syntaktischer Kopf ein zählbares Substantiv im Singular ist, fristeten lange Zeit ein Schattendasein in der Grammatikschreibung. Sie wurden ignoriert oder als Ausnahmen beschrieben, obwohl sie offenkundig regelhaft gebildet werden. Im vorliegenden Aufsatz verwenden wir computerlinguistische Verfahren, insbesondere „Annotation Mining“ und logistische Regression, um die syntaktische Distribution dieser Kombinationen zu charakterisieren und anhand zweier Präpositionen (‚ohne‘ und ‚unter‘) detailliert die Realisationsbedingungen zu bestimmen.
Im letzten halben Jahrhundert hat in der formalen Grammatikforschung eine intensive Diskussion über die Natur syntaktischer und lexikalischer Information statt-gefunden. Während die frühe Generative Grammatik der traditionellen Grammatik folgte und konstruktionsspezifische Regeln anerkannte, gibt es seit den achtziger Jahren extreme Formen des Lexikalismus, die die Existenz von Konstruktionen bestreiten. Als Reaktion auf diese Entwicklungen leitete die „Berkeley Construction Grammar“ eine Renaissance der grammatischen Konstruktion ein. Der vorliegende Aufsatz untersucht anhand deutscher Relativsatztypen, ob diese besser rein lexikalisch oder mit Hilfe von Konstruktionen zu analysieren sind. Der Befund ist eindeutig: Die empirischen Daten treiben die rein lexikalische Theorie vor sich her und erweisen sie als unmotiviert und unüberzeugend. Im Gegensatz dazu kann die konstruktionale Theorie mit „intelligenten“ Werkzeugen wie Typen, Untertypen und Vererbung Generalisierungen über deutsche Relativsätze auf allen Ebenen elegant und effizient erfassen. Der Vorschlag Chomskys, Konstruktionen aus der Grammatik zu verbannen, erweist sich somit konzeptuell und empirisch als wissenschaftliche Fehlentscheidung.
Dieser Beitrag thematisiert semantische Bedingungen des unpersönlichen Passivs im Deutschen und in anderen Sprachen. Traditionellerweise nimmt man an, dass nur atelische und agentivische Verben im unpersönlichen Passiv akzeptabel sind. Ich werde die empirischen Hypothesen der bisherigen Forschung auf der Grundlage von Akzeptabilitätsstudien und einer breiteren korpusbasierten Datenmenge revidieren. Die hier behandelten semantischen Aspekte wurden in einflussreichen Arbeiten als Evidenz für die Überlegenheit einer konstruktionsgrammatischen Herangehensweise gewertet. Ich werde diese Evidenz in Frage stellen und beschränkungsbasierte Alternativen präsentieren.