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Vergleichende Graphematik
(2021)
Dieser Aufsatz skizziert Schritte auf dem Weg zu einer vergleichenden Graphematik. Dabei thematisiert er vier Schriftsysteme (des Deutschen, Englischen, Niederländischen, Französischen) und untersucht sechs graphematische Phänomene, unter ihnen Doppelkonsonantenschreibung und Apostroph. Zwar sind die Phänomene in allen vier Schriftsystemen zu finden, aber die Häufigkeit unterscheidet sich sehr; so weist das deutsche Schriftsystem die meisten Doppelkonsonanten auf, das französische die meisten Apostrophe. Es geht aber nicht primär um die Quantität der graphematischen Phänomene, sondern vielmehr um die Verankerung der Graphematik innerhalb der sprachspezifischen grammatischen Systeme. Auf Grundlage dieses Vergleichs werden Parameter zur Beschreibung der Phänomene entwickelt. Dadurch wird dieser Aufsatz zur Werbung für die vergleichende Graphematik.
Thema der 59. Jahrestagung des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache war vom 14. bis zum 16. März 2023 erstmals nach mehreren Jahrzehnten wieder die Orthografie des Deutschen, und zwar „in Wissenschaft und Gesellschaft“. Einen unmittelbaren Anlass dafür bildete der bevorstehende Abschluss der siebenjährigen Arbeitsphase des Rats für deutsche Rechtschreibung Ende 2023, dessen Tätigkeit das IDS seit seiner Gründung wissenschaftlich begleitet. Aber auch die Orthografieforschung selbst hat sich seit der Rechtschreibreform im Jahr 1996 in einer Weise entwickelt, dass die Wahl dieses schriftlinguistischen Querschnittsthemas angezeigt erschien.
Gemäß Lehrplänen scheint der Rechtschreiberwerb nach der Sekundarstufe I weitgehend abgeschlossen. Aber auch auf der Sekundarstufe II, ja sogar an Universitäten verstoßen die Schreibenden gegen die gültigen Regeln. Dabei können Lernende auf diesen Stufen durch die Auseinandersetzung mit dem System der Orthografie ein besseres Verständnis für die Normen entwickeln. Ein explorativer, konstruktivistischer Ansatz eröffnet neue Perspektiven, orthografische Probleme zu untersuchen und zu verstehen. Es wird gezeigt, wie Regeln durch gezielte Aufträge selbstständig entdeckt werden können und mit welchen Strategien sich das Sprachbewusstsein durch und für die Orthografie vertiefen lässt. Ein solcher explorativer Zugang erweitert das Wissen über Rechtschreibung und fördert die korrekte Verwendung der Schriftsprache.
Anhand der Rückmeldungen auf eine Umfrage unter den Mitgliedern der Organisation EFNIL (European Federation of National Institutions for Language) wird in diesem Artikel erfasst, wie die orthographische Norm in den Staaten Europas etabliert und vermittelt wird. Es wird unter anderem beleuchtet, welche Prinzipien bei der Erstellung der Norm angewandt werden, in welchen Teilen der Gesellschaft die Regeln gelten, wie sie an die Öffentlichkeit vermittelt werden, inwieweit sie eingehalten werden, ob es alternative Normen gibt, und mit welchen Mitteln Veränderungen im Sprachgebrauch erfasst und berücksichtigt werden.
GraphVar ist ein Korpus aus über 1.600 Abiturarbeiten, die zwischen 1917 und 2018 an einem niedersächsischen Gymnasium geschrieben wurden. Das Hauptinteresse beim Aufbau bestand in der Beschreibung graphematischer Variation und ihrer Entwicklung über die Zeit. Leitend war die Frage, was Schreiberinnen und Schreiber eigentlich tatsächlich machen bzw. gemacht haben – und zwar unbeeinflusst von technischen Hilfsmitteln oder Schluss- und Endredaktion, aber unter vergleichbaren Bedingungen. Das Korpus bietet somit ein Fenster auf den unverfälschten Schreibgebrauch von Abiturientinnen und Abiturienten im Laufe der Zeit. Zum jetzigen Zeitpunkt sind 1.618 Arbeiten transkribiert, linguistisch annotiert und über eine ANNIS-Instanz erreichbar (graphvar.unibonn.de, Stand: 8.8.2023). Im Sommer 2022 konnten weitere 1.600 Arbeiten zwischen 1900 und 2021 an einem Gymnasium in Nordrhein-Westfalen digitalisiert werden. Neben schriftlinguistischen Fragestellungen ist das Korpus prinzipiell auch für syntaktische, morphologische und lexikalische Fragestellungen geeignet; auch didaktische Untersuchungen sind möglich, genau wie kulturwissenschaftliche.
Neographeme wie Genderstern und Doppelpunkt werden zunehmend verwendet, um Personen unabhängig von ihrem Geschlecht einzubeziehen. Der Beitrag beleuchtet diese Sonderzeichen aus semantischer, typographischer und grammatischer Sicht, vergleicht sie mit anderen Typogrammen und diskutiert ihren Morphemstatus. Auch ihre metapragmatische Leistung der sprecherseitigen Verortung kommt in den Blick. In Bezug auf die Rezeption werden aus kognitionslinguistischer Perspektive die Lesbarkeit und die Funktionstüchtigkeit des Sterns betrachtet. Lesenden, die mit der Form vertraut sind, gelingt der Wortzugriff mühelos, und der Genderstern elizitiert inklusive mentale Repräsentationen. Diese Analysen und Befunde sprechen für die grundsätzliche Möglichkeit, Neographeme in die Sprache zu integrieren.
Seit 1996 ist das Amtliche Regelwerk zur deutschen Rechtschreibung (einschließlich Amtlichem Wörterverzeichnis) gültig. Es regelt die Orthografie für Behörden und Schulen in Deutschland sowie in den sechs weiteren Mitgliedsländern des Rats für deutsche Rechtschreibung. Für die Wörterbuchverlage bzw. alle Wörterbuchprojekte gilt es, dieses hoch abstrakte Regelwerk einerseits auf alle Einträge in den A–Z-Teilen der Wörterbücher anzuwenden und andererseits ggf. das Regelwerk selbst zu „übersetzen“ und es damit einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Die Schrifttypologie beschränkte sich bisher auf eine strukturelle Klassifikation von Schriftsystemen, basierend auf der sprachlichen Korrespondenzebene von Graphemen. Aufgrund dieses engen Fokus haben die resultierenden Typologien relevante Merkmale sowie Gemeinsamkeiten verschiedener Schriftsysteme und ihres Gebrauchs nicht im Blick. Zur Erarbeitung einer umfassenden Schrifttheorie mit erklärendem Anspruch ist aber eine multiperspektivische und damit interdisziplinäre Beschreibung – und in Folge ein Vergleich – unterschiedlicher Schriftsysteme notwendig. Die Erstellung nutzbringender – sowohl struktureller als auch gebrauchsbasierter – Typologien ist hierfür eine geeignete Methode. Ihre einzelnen Schritte werden hier anhand des Beispiels der graphematischen Transparenz charakterisiert.
Das Ziel des Beitrages ist es, die Orthografiereform 1996–2006 in den Entwicklungsprozess der deutschen Rechtschreibung seit der Herausbildung der Einheitsorthografie einzuordnen, ihre Stellung in diesem Prozess zu kennzeichnen und ihre Ergebnisse zu benennen. Ausgehend von einer Charakterisierung der besonderen Merkmale der Orthografie als Norm der Schreibung sowie des Begriffes Orthografiereform, werden zunächst die Endphase der Herausbildung der deutschen Einheitsorthografie und ihr Abschluss durch die Orthografiereform von 1901 beschrieben. Dem folgt die Darstellung der Besonderheiten der deutschen Orthografieentwicklung im 20. Jahrhundert bis zum Jahr 1996. Ein wichtiger Bestandteil des Beitrages ist dann die Herausarbeitung der Grundlagen und Bestimmungsfaktoren einer Orthografiereform unter heutigen Bedingungen und die Anwendung dieser Grundsätze auf den Prozess der Entstehung und Umsetzung der Orthografiereform 1996–2006. Abschließend werden die Ergebnisse dieses Prozesses in vier Punkten zusammengefasst die auch gleichzeitig die Bedeutung dieser Sprachlenkungsmaßnahme in der deutschen Orthografiegeschichte kennzeichnen.
Das Amtliche Wörterverzeichnis ist ein wesentlicher Teil des für Schulen und Behörden verbindlichen Amtlichen Regelwerks, dem wissenschaftlichen Referenzwerk für die deutsche Orthografie. Dem Wörterverzeichnis kommt eine entscheidende Funktion zu: Es exemplifiziert anhand einzelner Lemmata die Anwendung der Regeln und kodifiziert darüber hinaus Einzelfälle, die aus dem Regelteil nicht eindeutig ableitbar sind. Im vorliegenden Beitrag wird die auf der Basis empirischer Schreibbeobachtung erarbeitete Neukonzeption vorgestellt, die mit der Konzentration auf prototypische Fallbeispiele repräsentative orthografische Zweifelsfälle im gegenwärtigen Wortschatz des Deutschen aufgreift, sie mit Bezug auf die geltende Norm und den Schreibgebrauch klärt, in der neuen digitalen Fassung auch visualisierend veranschaulicht und auf diese Weise aktuellem Nutzungsverhalten Rechnung trägt.