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Der Beitrag plädiert für eine Untersuchung der gesprochenen Sprache als integralem Bestandteil multimodaler Interaktionspraktiken. Das leibliche Handeln bildet die Infrastruktur für die Verwendung von Sprache, es schafft Bedingungen, Möglichkeiten und Motivationen für die Verwendung spezifischer sprachlicher Strukturen; umgekehrt wird es seinerseits durch sprachliches Handeln organisiert. Zunächst werden in dem Beitrag grundlegende Eigenschaften multimodaler Interaktion dargestellt: die Vielfalt der leiblichen Handlungsressourcen und ihre Koordination, Sequenzialität und Simultaneität von Aktivitäten, multimodale Beteiligung an der Interaktion, der Stellenwert von Raum, Objekten, Multiaktivität und Bewegung. Ebenso wird kurz auf die methodischen Grundlagen der Untersuchung eingegangen: Videoaufnahme und multimodale Transkription. An drei sprachlichen Phänomenbereichen wird dann exemplarisch gezeigt, wie sprachliche Praktiken durch ihr Zusammenspiel mit anderen leiblichen Ressourcen der Kommunikation geprägt sind. Im Einzelnen geht es um die Disambiguierung sprachlicher Praktiken durch ihre Koordination mit anderen Ressourcen, die Erweiterung sprachlicher Strukturen, die aufgrund von Rezipientenreaktionen simultan zur Turn-Produktion stattfindet, und die Verwendungen minimaler Referenzformen, die sich auf die multimodale Ko-Orientierung der Beteiligten stützt.
Der Beitrag illustriert die Nutzung des Forschungs- und Lehrkorpus Gesprochenes Deutsch (FOLK) für interaktionslinguistische Fragestellungen anhand einer exemplarischen Studie. Zunächst werden die Stratifikation (Datenkomposition) des Korpus, das zugrundeliegende Datenmodell und dessen Annotationsebenen sowie Typen von Untersuchungsinteressen vorgestellt, für die das Korpus nutzbar ist. Im Hauptteil wird Schritt für Schritt anhand einer Studie zur Verwendung des Formats was heißt X in der sozialen Interaktion gezeigt, wie mit FOLK relevante Daten gefunden und analysiert werden können. Abschließend weisen wir auf einige Vorsichtsmaßnahmen bei der Benutzung des Korpus hin.
Dieser Band greift erstmals das Thema ‚Intermedialität‘, das seit einigen Jahren zu einem Leitbegriff der Kulturwissenschaften geworden ist, aus Sicht der Sprachwissenschaft auf. Er zeigt auf, wie tief medienspezifische Gegebenheiten und intermediale Bezüge die Gebrauchsformen von Sprache prägen. Sprache wird in den Beiträgen des Bandes als Spannungsphänomen theoretisiert, für das sowohl die Materialität seiner Erscheinungsformen wie seine medialen und kommunikativen Bezüge auf Nichtsprachliches konstitutiv sind. Zusammenhänge und Konkurrenzen, Eigenart und Austauschbarkeit dieser Formen und Bezüge werden in drei Themenkomplexen diskutiert:
- Die Materialität von Sprache als Stimme und Schrift
- Intermediale Relationen zwischen Text, Bild und Ton in Druckmedien, Film und Internet
- Multimodale und leibvermittelte Kommunikation im Raum.
Die Beiträge des Bandes führen grundlegend in die verschiedenen Facetten der Intermedialität von Sprache ein, diskutieren deren sprachtheoretische Implikationen und präsentieren neueste Forschungsergebnisse.
Web-Umgebungen wie virtuelle soziale Netzwerke und Videoportale sind von Tendenzen der Partizipation, Konvergenz und Multimedialität gekennzeichnet. Diese bedeuten eine Herausforderung für sprachanalytische Zugänge, die digitale Kommunikationsformen separat voneinander untersuchen und auf mikrolinguistische Phänomene bei nur geringer Beachtung ihrer komplexen soziomedialen Rahmenbedingungen abheben. Im Beitrag wird ein bildschirm-basierter Ansatz entworfen, der Web-Umgebungen als semiotische Räume begreift, die von Nutzern in ihren spezifischen soziokulturellen Umständen und vor der Folie technologischer Potenziale und Grenzen aufgefüllt und ausgestaltet werden. Sprache ist eine wesentliche, aber nicht die einzige Ressource dieses digitalen kommunikativen Handelns, und ihre Verwendung ist in der Spannung zwischen technologischer Vorprägung und situierter Medienaneignung zu untersuchen. Im Kern des Ansatzes liegt die Unterscheidung von zwei analytischen Dimensionen. Die erste unterscheidet vier Leistungen von Sprache in Web-Umgebungen: Organisation, Selbstdarstellung, Spektakel und Interaktion. Die zweite erfasst drei für Web 2.0 charakteristische Prozesse der Sprach- und Textgestaltung: Multimodalität, Intertextualität und Heteroglossie. Wie diese beiden Kategorienbündel eine Grundlage für weiterführende Fragestellungen bilden können, wird am Beispiel des Dialektgebrauchs auf einer Videoplattform diskutiert.
Verstehen im Gespräch
(2008)
Die Hermeneutik und die empirisch-psychologische Textrezeptionsforschung haben sich
damit befasst, wie Leser Texten Sinn zuschreiben. Sozialphilosophen (wie Weber, Schütz,
Mead, Habermas) sehen in Prozessen der symbolvermittelten Verständigung das alltagsweltliche
Fundament der sozialen Welt und der Möglichkeit gesellschaftlicher Integration.
Wie aber verhalten sich diese, aus der Textanalyse und der zeichen-und sozialtheoretischen
Reflexion entstandenen Konzeptionen des Verstehens zum alltagsweltlichen Verstehen im
Gespräch? Ist hier eigentlich vorn gleichen Vorgang die Rede? Sind mentalistische, noemalive
und leserbezogene Konzepte des Verstehens brauchbar für die Analyse beobachtbarer
Prozesse der Herstellung von Intersubjektivität in Gesprächen?
Dieser Aufsatz umreißt zunächst kurz den wissenschaftlichen Diskussionskontext, innerhalb
dessen Verstehen zum Gegenstand geworden ist (1). Kontrastiv dazu werden die
Prämissen einer Untersuchung von Verstehen in Gesprächen bestimmt, die sich aus den
spezifischen Situationsparametern mündlicher Interaktion ergeben (2). Den Hauptleil der
Abhandlung bildet der Aufweis der elementaren sequenziellen Organisationsform und
typischer sprachlicher Manifeslationen der Dokumentation und der Verhandlung von Verstehen
im Gespräch {3). Abschließend werden einige allgemeine Eigenschaften resümiert,
die die Dokumentation von Verstehen in Gesprächen auszuzeichnen scheinen (4).
The paper studies how the German connectives "also" and "dann" are used as displays of understanding in talk-in-interaction. It is shown that the use of also at turn-beginnings in pre-front-field position is a routine practice to explicate implicit meanings of the prior turn of the partner, which is presented for confirmation. Also thus indexes that explicated meanings are taken to be intersubjective, i.e. part of the interlocutors’ common ground. Turn-initial dann(in front-field position), in contrast, is routinely used to (a) index the formulation of a unilateral inference from the partner’s prior turn which is not claimed to have already been communicated by the partner, and is (b) used to preface different kinds of next actions which are framed as being a consequence from the preceding action of the partner. Drawing on data from four genres of talkin- interaction (conversation, psychotherapy, doctor-patient interaction, broadcasted talk shows), the paper discusses how functions of also and dann are related to their positions concerning turn-construction and topological fields, prosodic design, collocations, sequential structures and participation frameworks of the interaction.
Ausgehend von fundamentalen Einsichten konversationsanalytischer
Interaktionsforschung zum zentralen Stellenwert, den leibliche Kopräsenz und wechselseitige Wahrnehmung für die Ausgestaltung unserer interaktiven Praktiken besitzen, untersucht der Beitrag deiktische Praktiken in der Kommunikation von Angesicht zu Angesicht. Deixis – verbales und gestisches Zeigen für einen Anderen – kann phylo- und ontogenetisch (Tomasello 2003, 2006, 2008) als privilegierte Schnittstelle zwischen Interaktion und Grammatik, zwischen Sprache, menschlichen Körpern, Objekten, Wahrnehmung und Raum betrachtet werden. Auf der Grundlage eines breit angelegten Videokorpus unterschiedlicher Genres werden deiktische Zeigehandlungen als situierte, körpergebundene Praktiken analysiert und systematisch auf transsituative Gemeinsamkeiten und Unterschiede befragt. Die Ergebnisse der empirischen Analysen zur demonstratio ad oculos (dem Zeigen auf Sichtbares, Bühler 1965) und zur Deixis am Phantasma (dem Zeigen auf Unsichtbares, ebd.) werden in einen übergreifenden theoretischen Modell integriert. In dem multimodalen Modell wird Deixis als situierte, die interaktiven, kognitiven und perzeptorischen Ressourcen aller Beteiligten mobilisierende Praxis gemeinsamer Aufmerksamkeitsfokussierung begriffen (Stukenbrock 2015b).