Pragmalinguistik / Kommunikationsforschung
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Bauchschmerzen bei Kindern sind häufig, aber glücklicherweise meist ohne schwerwiegende Ursache. Sogar starke oder wiederkehrende Bauchschmerzen haben oftmals keinen organischen Ursprung. Dennoch erfolgt bei Kindern mit häufigen Bauchschmerzen in der Regel eine umfangreiche und für alle Beteiligten belastende diagnostische Abklärung – teilweise sogar ohne seriösen, hilfreichen Befund. Idealerweise sollte bereits im Gespräch mit einem fachkundigen Arzt deutlich werden, ob die Schmerzen somatischen oder psychosomatischen Ursprungs sind, um überflüssige und teure Untersuchungsmaßnahmen einzusparen. An dieser Stelle kommt die Gesprächsforschung zum Einsatz: Für die Unterscheidung von organischen und psychisch bedingten Anfallsereignissen konnte gezeigt werden, dass die entscheidenden Hinweise zur Diagnose nicht nur in den geschilderten Fakten liegen, sondern auch in der Art, wie die Betroffenen selbst über ihr Problem reden und mit dem Arzt interagieren. Diese Hinweise lassen sich zielgenau durch gesprächslinguistische Analysen erfassen (vgl. Opp/Frank-Job/Knerich 2015). Für epileptische vs. dissoziative Anfälle konnte dies bereits belegt und in klinischen Studien validiert werden (vgl. Schwabe/Howell/Reuber 2007). In Anknüpfung an das genannte Projekt wird in dieser Dissertation überprüft, ob und inwieweit die Befunde aus der Anfallsforschung auch auf eine andere Erkrankung und Patientinnengruppe übertragen werden können. Für diesen Zweck werden dyadische Interaktionen junger Patientinnen mit Medizinerinnen während einer spezifischen Form und Phase der Anamnese analysiert: Der analytische Kern der Arbeit thematisiert die Interaktion der Beteiligten beim zeichnerischen Umsetzen von Bauchschmerzen. Dabei zeigt sich die interaktiv hervorgebrachte Positionierung der Patientinnen zur Malaufgabe als zentral und entsprechend diagnostisch relevant: Während Patientinnen, deren Schmerzen organischen Ursprungs sind, dazu tendieren, die Malaufgabe mit redundanten Informationen pflichtgemäß zu erfüllen, neigen Patientinnen, die an funktionellen Beschwerden leiden, hingegen dazu, die Malaufgabe als Chance zur Aktualisierung der Beschwerdenschilderung zu sehen. Diese Erkenntnisse lassen sich in Form einer Diagnosetabelle zusammenfassen und konstituieren damit die Basis für einen gesprächsanalytischen Anwendungsbezug, der die medizinische Forschung und Ausbildung um ein innovatives Diagnostikverfahren bereichern kann.
Meta-communicative practices are generally reflexive in a fairly obvious sense: Inasmuch as speakers use them to talk about or comment on earlier/subsequent talk, they use language self-reflexively. In this paper, we explore a practice that is reflexive not only in this meta-communicative sense but also in a sequential-interactional one: Prefacing a conversational turn with I was gonna say. We show that the I was gonna say-preface furnishes the following general semantic-pragmatic affordances: (1) It retroactively relates the speaker’s subsequent talk to preceding talk from a co-participant, (2) it embodies a claim to prior, now-preempted, communicative intent with regard to what their co-participant has (just) said/done, (3) it therefore displays its speaker’s orientation to the relevance or the appropriate placement of the action(s) done in their own subsequent talk at an earlier moment in the interaction, and (4) it reflexively re-invokes, or retrieves, this earlier moment as the relevant sequential context for their action(s). We then go on to illustrate how speakers draw on these sequentially reflexive affordances for managing recurrent interactional contingencies in specific sequential environments. The paper ends with a discussion of the role that reflexivity plays in and for the deployment of this practice.
Die Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Linguistische Pragmatik e. V. hat auch in diesem Jahr pandemiebedingt online stattgefunden. Dem diesjährigen Tagungsthema „Pragmatik multimodal“ bot dieses Online-Setting daher eine besonders interessante Umgebung, da einige Vorträge Aspekte genau solcher Interaktionsrahmen näher beleuchten sollten. Aber nicht nur angesichts der immer noch fortschreitenden Digitalisierung hat sich der multimodale Betrachtungswinkel auch in anderen linguistischen Disziplinen zunehmend etabliert: So beschäftigen sich unter anderem die Text- und Diskursanalyse (u. a. Bucher 2011; Klug 2016; Mayr 2016), die Interaktionslinguistik (u. a. Hausendorf et al. 2016), die Kognitionslinguistik (u. a. Zima/Brône 2015; Spieß 2016) oder auch die Grammatikforschung (u. a. Fricke 2012; Schoonjans 2018) mit multimodalen Phänomenen im Rahmen ihrer je eigenen Erkenntnisinteressen. Um die Vielfalt dieser Erkenntnisinteressen, der diversen Ausprägungen des Phänomenbereichs und der methodischen Ansätze zur angemessenen Begegnung dieser Komplexität zu präsentieren und miteinander ins Gespräch zu bringen, haben Lars Bülow, Susanne Kabatnik, Marie-Luis Merten und Robert Mroczynski als Organisationsteam zu dieser Tagung eingeladen. Die thematische Bandbreite der Vorträge sollte dabei eine ausgewogene Grundlage bieten, um aktuelle Tendenzen und Herausforderungen einer pragmatisch fokussierten Erforschung multimodaler Kommunikation zu diskutieren und damit zur Verortung der linguistischen Pragmatik im Kontext anderer linguistischer Teildisziplinen beizutragen. Entsprechend veranschaulichten manche Vorträge eine eher disziplinspezifische Perspektive, andere stellten Überlegungen zu eher integrierenden Ansätzen vor.
Faltungen: Die Schließung des rechten Kommunikationssystems aus korpuspragmatischer Perspektive
(2022)
Der Beitrag untersucht linguistische Prozesse, die bei der operativen Schließung politischer Kommunikationssysteme wirksam sind. Am Beispiel rechter Online-Medien während der sogenannten europäischen Flüchtlingskrise werden Praktiken der Umsemantisierung identifiziert und daraufhin befragt, wie sie an der rekursiven Organisation des rechten Kommunikationssystems mitwirken. Anhand von Aggregationen und Subjektprädikativen werden Prozesse der Umkonfigurierung konventioneller begrifflicher Relationen illustriert. Für (Um-)Semantisierungen, die zur operativen Schließung von Kommunikationssystemen beitragen, wird der Begriff der Faltung entwickelt.
Der Beitrag behandelt methodische Fragen der Korpuspragmatik im Bereich der politischen Sprache am Beispiel sprachlicher Praktiken der Moralisierung im Deutschen Bundestag. Wir stellen einen Ansatz zur Erarbeitung pragmatischer Strukturmuster – ,Pragmeme‘ – des Moralisierens vor, der auf kollaborativer Annotation basiert. Den Datensatz bildet das linguistisch aufbereitete Korpus der Plenarprotokolle des Deutschen Bundestags 1949–2017. Zur Eruierung geeigneter Beobachtungspassagen wurde ein Thesaurus von Moralwörtern erarbeitet und deren Verteilung gemessen. Dadurch haben sich drei Beobachtungsperioden für Pilotkorpora ergeben: 1949, 1983 und 2015. In diesen Beobachtungsperioden wurden Zufallsstichproben von Sätzen mit Moralwörtern gezogen und annotiert. Im Beitrag stellen wir die einzelnen Schritte und vorläufigen Ergebnisse des Projekts vor und diskutieren Möglichkeiten und Grenzen des Verfahrens.
This paper investigates the long-term diachronic development of the perfect and preterite tenses in German and provides a novel analysis by supplementing Reichenbach’s (1947) classical theory of tense by the notion of underspecification. Based on a newly compiled parallel corpus spanning the entire documented history of German, we show that the development in question is cyclic: It starts out with only one tense form (preterite) compatible with both current relevance and narrative past readings in (early) Old High German and, via three intermediate stages, arrives at only one tense form again (perfect) compatible with the same readings in modern Upper German dialects. We propose that in order to capture all attested stages we must allow tenses to be unspecified for R (reference time), with R merely being inferred pragmatically. We then propose that the transitions between the different stages can be explained by the interplay between semantics and pragmatics.