Pragmalinguistik / Kommunikationsforschung
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Die Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Linguistische Pragmatik e. V. hat auch in diesem Jahr pandemiebedingt online stattgefunden. Dem diesjährigen Tagungsthema „Pragmatik multimodal“ bot dieses Online-Setting daher eine besonders interessante Umgebung, da einige Vorträge Aspekte genau solcher Interaktionsrahmen näher beleuchten sollten. Aber nicht nur angesichts der immer noch fortschreitenden Digitalisierung hat sich der multimodale Betrachtungswinkel auch in anderen linguistischen Disziplinen zunehmend etabliert: So beschäftigen sich unter anderem die Text- und Diskursanalyse (u. a. Bucher 2011; Klug 2016; Mayr 2016), die Interaktionslinguistik (u. a. Hausendorf et al. 2016), die Kognitionslinguistik (u. a. Zima/Brône 2015; Spieß 2016) oder auch die Grammatikforschung (u. a. Fricke 2012; Schoonjans 2018) mit multimodalen Phänomenen im Rahmen ihrer je eigenen Erkenntnisinteressen. Um die Vielfalt dieser Erkenntnisinteressen, der diversen Ausprägungen des Phänomenbereichs und der methodischen Ansätze zur angemessenen Begegnung dieser Komplexität zu präsentieren und miteinander ins Gespräch zu bringen, haben Lars Bülow, Susanne Kabatnik, Marie-Luis Merten und Robert Mroczynski als Organisationsteam zu dieser Tagung eingeladen. Die thematische Bandbreite der Vorträge sollte dabei eine ausgewogene Grundlage bieten, um aktuelle Tendenzen und Herausforderungen einer pragmatisch fokussierten Erforschung multimodaler Kommunikation zu diskutieren und damit zur Verortung der linguistischen Pragmatik im Kontext anderer linguistischer Teildisziplinen beizutragen. Entsprechend veranschaulichten manche Vorträge eine eher disziplinspezifische Perspektive, andere stellten Überlegungen zu eher integrierenden Ansätzen vor.
Kultur ist nicht nur zu einem Schlüsselbegriff der Geisteswissenschaften geworden, sondern wird auch entterminologisiert als Alltagsbegriff benutzt. In diesem Beitrag wird untersucht, wie der Ausdruck Kultur (einschließlich Derivationen und Komposita) in der mündlichen Interaktion verwendet wird. Auf Basis von 82 Instanzen im Korpus FOLK des IDS Mannheim wurde festgestellt, dass der Ausdruck von SprecherInnen in zumeist semiformellen bis formellen Interaktionstypen benutzt wird. Es findet sich ein breites Spektrum unterschiedlicher, teils ineinander übergehender Bedeutungen, welches dem der wissenschaftlichen Literatur der Kulturtheorie ähnlich ist. Dabei lassen sich jeweils relevante Kernbedeutungen identifizieren, mit denen mehr oder weniger vage assoziierte Bedeutungen verbunden sind. Kultur zeigt sich als kontroverser Begriff: Die Referenz von Kultur, die Wertung und seine Relevanz als Erklärungsressource sind häufig umstritten.
Der folgende Beitrag bietet einen typologischen Überblick über helfende Berufe bzw. helfende Interaktionen. Die helfenden Elemente dieser professionellen Interaktionen - die diskursive Konstitution und Vermittlung von Wissen sowie die emotionale (Unter-)Stützung - realisieren sich in und durch das spezifische Gespräch zwischen der Hilfe suchenden und der Hilfe gebenden Person und werden gleichzeitig durch die besondere Beziehung zwischen den Beteiligten ermöglicht und getragen. Während Beziehungsgestaltung und Generierung sowie Vermittlung von Wissen zur Lösung des Anliegens bzw. des Problems des/der Hilfesuchenden dialogische Kernaufgaben helfender Interaktion sui generis darstellen, können einzelne Typen helfender Interaktion entlang der Beziehungsdimension (mehr oder weniger patienten- bzw. klientenzentriert bzw. mehr oder weniger expertenzentriert) und der Wissensdimension (faktisches Erkenntniswissen vs. subjektives Erfahrungswissen) und der daraus resultierenden Handlungsstrukturen differenziert werden. Im Fokus des Beitrags steht dabei ein generisch-gegenstandsbezogener Überblick bezogen auf die Handlungstypik und die Wissensbezüge relevanter professionell-helfender Interaktionstypen (Beratung, Arzt-Patient-Gespräch, Psychotherapie, Supervision und Coaching), nicht aber ein Überblick über diskursanalytische Forschung zu den verschiedenen Beratungsformaten.
Wenn wir an Sprache denken, dann meist an Grammatiken, Rechtschreibung und Lexika. Sprache scheint demnach in der Form von Regeln und Wissen zu existieren. Dieser Band, der aus der Jahrestagung des IDS 2015 hervorgegangen ist, vertritt eine andere Vorstellung von Sprache: Sprache ist Werkzeug und Lebensform im sozialen und leiblichen Kontext. Sprechen und Schreiben bestehen aus routinisierten Praktiken, die an konkrete körperliche, sequenzielle, mediale und materielle Kontexte gebunden sind und bestimmten Zwecken dienen. Der Bezug auf Objekte und mediale Oberflächen und die leibliche Verfasstheit der Akteure und ihre Situiertheit im Raum sind unhintergehbare Bestimmungsstücke der Verwendung von Sprache. Sprache ist eingelassen in zwischenmenschliche Interaktionen, die sie selbst prägt, aus denen sie ihre Bedeutung bezieht und innerhalb derer sie sich wandelt und neue Verwendungen und Ausprägungen gewinnt.
Die in diesem Band versammelten Beiträge zeigen Anwendungen und Nutzen des Praktikenkonzepts in unterschiedlichen Feldern der Linguistik, wie der interaktionalen Linguistik, der Sozio-, Text- und Medienlinguistik, der synchronen und historischen Pragmatik und der Literalitätsforschung. Dabei rücken über die Perspektive der Praktiken auch die Schnittstellen der Linguistik zu ihren sozialwissenschaftlichen Nachbarwissenschaften, insbesondere zu Soziologie und Medienwissenschaft, in den Fokus.
In linguistischen Untersuchungen erscheint sprachliche Raumreferenz gemeinhin als eine Aktivität, die notwendig ist, um dem Hörer/Leser die räumliche Lokalisierung von Objekten zu ermöglichen. In diesem Beitrag wollen wir zeigen, dass die sprachliche und kinesische Konstitution von Raum in der multimodalen Interaktion eine flexible kommunikative Ressource ist, die auch unabhängig von solchen Referenz-identifizierenden Erfordernissen eingesetzt werden kann. Anhand der Videoaufnahme einer Lehr-Lern-Interaktion zeigen wir, wie die sprachliche und körperlich enaktierende Konstitution eines imaginären Raums eingesetzt wird, um eine komplexe Sachverhaltsdarstellung auf einen spezifischen Adressaten und dessen Verständnisprobleme zuzuschneiden. Im Zentrum der Datenanalyse steht zum einen die Rekonstruktion der interaktionsstrukturellen Einbettung der Raumkonstitution, die verdeutlicht, dass sie als Verfahren kommunikativ verwendet wird, weil andere Verfahren der Vermittlung abstrakter Sachverhalte bereits gescheitert sind. Zum anderen zeigen wir, wie sprachliche und kinesische Aktivitäten der Akteure systematisch bei der multimodalen Raumkonstitution zusammenwirken und wie durch sie vier unterschiedliche Dimensionen von Raum in der Interaktion (objektiv-physikalischer Raum, Interaktionsraum, individueller Verhaltensraum und imaginärer Raum) organisiert und aufeinander bezogen werden. Dabei wird deutlich, dass die sozialsymbolische Kodierung von Räumen und die Überblendung verschiedener Dimensionen von „Raum“ als rekurrente Phänomene in der multimodalen Raumkonstitution eingesetzt werden.
Dieser Beitrag befasst sich mit der kommunikativen Praxis zwischen Aussiedlern und Ansässigen. Aus soziologisch-interaktionistischer Perspektive wird gefragt, wie migrationsbedingte Differenzen in dieser kommunikativen Praxis zur Geltung kommen. Nach Ausführungen zum Konzept der Differenzorientierung werden zunächst kommunikative Strategien des Umgehens mit aussiedlerspezifischem Differenzbewusstsein vorgestellt. Anhand eines institutionellen und eines öffentlichmedialen Kommunikationsereignisses werden dann – mittels verstehenstheoretischer Analysekonzepte – kontextspezifische Praktiken des Relevantmachens von Differenzidentität aufgezeigt. Eine überblicksartige Darstellung kommunikativer Realisierungsweisen von Differenzorientierung schließt den Beitrag ab.