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Anhand eines Fallbeispiels wird gezeigt, dass in der praktischen Arbeit des EuGH Rechtsarbeit und Spracharbeit eng miteinander verflochten sind. Wenn es in einem strittigen Fall um die konkrete Ausarbeitung einer haltbaren Sachverhaltsbeschreibung geht, zeigt sich, dass die Rechtsarbeit und die Spracharbeit des Gerichts eigentlich identisch sind. In einem solchen Fall ist es für das Gericht nützlich und günstig, wenn es auf so viele sprachliche Formulierungen (auch in verschiedenen Sprachen) zurückgreifen kann wie möglich. Das Ziel ist, möglichst viele Interpretationen in Betracht zu ziehen, um das Urteil bestandssicher zu machen. In dieser Situation sind Vorschläge, das Sprachenspektrum, in dem der EuGH arbeitet, im Vorhinein und generell einzuschränken, kontraproduktiv.
Der Beitrag nimmt die sprachlichen Defizite aufs Korn, die sich in fast allen deutschen Landesverfassungen finden und leider zahlreiche Novellierungen überdauert haben. Verschraubte Syntax und altertümlicher Fachjargon führen zu missverständlichen, oft unfreiwillig komischen Texten. Besonders die Sprache der Verfassungen Bayerns und Baden-Württembergs ist reparaturbedürftig: Diesen beiden Gesetzeswerken sind die meisten Beispiele für solch stilistisches Unvermögen entnommen.
Die juristische Arbeit besteht in der Entscheidung von Bedeutungskonflikten zur Festlegung auf Sprachnormen. Die deuten auf legitimatorische Standards und müssen angesichts der Vielfalt und Divergenz des Sprachgebrauchs immer wieder gesetzt und auch durchgesetzt werden. Das Normativitätsproblem verweist auf eine Praxis des Forderns und Lieferns von Gründen. Die juristische Entscheidung vollzieht sich im sozialen Raum eines diskursiven Verfahrens. In ihm geht es um einen Konflikt sich ausschließender Lesarten desselben Gesetzes. Es geht somit nicht um die Auffindung einer Sprachregel, sondern um eine Sprachnormierung. In der Frage der Legitimität einer Entscheidung über die widerstreitenden Lesarten liegt der Ansatzpunkt der verfahrensbezogenen Normen aus dem Umkreis des Rechtsstaatsprinzips. Das Rechtsstaatsprinzip kann als ein kodifizierter Sonderfall kommunikativer Ethik angesehen werden. Es kodifiziert eine bestimmte Kultur des Streitens, welche im juristischen Bereich durch Rechtsprechung und Lehre eine spezifische Ausprägung erfahren hat.
Vorwort der Herausgeberin
(2002)
Vom Großen im Kleinen – Über kulturelle Ressourcen juristischer Interaktionen und Darstellungen
(2002)
Aus der Perspektive der linguistischen Verfahrensbeobachtung mit Tonbandaufnahme und anschließender Transkription wird der Versuch unternommen, die sprachlichen Verhaltensformen vor dem Einzelstrafrichter am Amtsgericht genauer zu sichten. Wie jede andere Kommunikation muss auch die gerichtliche Kommunikation darauf gerichtet sein, in der inhaltlichen Thematisierung des verhandelten Falles jeweils Verständigung zu erreichen über das, was verstanden und als was es verstanden wird. Juristisch kodifizierte Verfahrensschritte reichen zur Charakterisierung nicht aus. Anspielungen auf weiterreichende Themen und großräumige' Diskurseinlagerungen sind üblich. Sie bewirken, dass bestimmte Formulierungen und Details eher akzeptiert werden als andere, dass bestimmte Erzählungen leichter über- und angenommen werden als andere. Solche Einlagerungen fungieren als Plausibilisierungsschübe. Die Überzeugungskraft erhöht sich, wo kulturelle Ressourcen in die Formulierungen einfließen: märchenähnliche Analogien, mythische Erzählungen, allgemeinere kulturelle Schemata. Sie tragen dazu bei, dass die Herstellung von Übersichtlichkeit in der Gemengelage der gerichtlichen Interaktionen gelingt. Dies soll in diesem Beitrag aufgezeigt werden (Schwerpunktmäßig werde ich vor allem auf ein Prozessbeispiel - „Verschwörung im Fotohaus" - eingehen).
Juristische Texte sind schwer zu verstehen, insbesondere – aber nicht nur – für juristische Laien. Dieser Band beleuchtet diese These ausgehend von linguistischen Verständlichkeitsmodellen und kognitionswissenschaftlichen Modellen der menschlichen Textverarbeitung. Anhand von Aufzeichnungen von Blickbewegungen beim Lesen, einem sogenannten Lesekorpus, werden umfangreiche statistische Modelle berechnet. Diese geben Auskunft über Fragen psycholinguistischer Grundlagenforschung auf der Wort-, Satz- und Textebene. Ferner wird untersucht, wie sich Reformulierungen auf den Verstehensprozess auswirken. Dabei stehen bekannte Komplexitätsmarker deutscher juristischer Texte im Fokus: Nominalisierungen, komplexe Nominalphrasen und syntaktisch komplexe Texte.
Recht und Sprache stehen seit jeher in einer systematischen Verknüpfung. Die Epochenwende um 1500 begründet wichtige rechtliche und sprachliche Gegebenheiten, die bis in die Gegenwart wirksam sind. Ausgehend von der geschichtswissenschaftlichen Formel der ,Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen' werden die Veränderungen im Rechtssystem und in den Kommunikationsformen der Frühen Neuzeit als komplexe Transformation mittelalterlicher Vorstellungen dargestellt. Exemplarisch wird auf die sprachgeschichtlichen Konsequenzen der Rezeption des römischen Rechtes ebenso eingegangen wie auf die Veränderungen in der Wissensverteilung und die Stellung des Deutschen gegenüber dem Latein des Mittelalters wie des Humanismus.