Angewandte Linguistik
Refine
Year of publication
Document Type
- Part of a Book (51)
- Article (8)
- Book (3)
- Review (1)
Has Fulltext
- yes (63)
Keywords
- Deutsch (23)
- Politik (15)
- Linguistik (13)
- Öffentlichkeit (12)
- Korpus <Linguistik> (10)
- Sprachgebrauch (8)
- Diskursanalyse (7)
- Germanistik (7)
- Podiumsdiskussion (7)
- Gesellschaft (6)
Publicationstate
- Zweitveröffentlichung (63) (remove)
Reviewstate
- (Verlags)-Lektorat (54)
- Peer-Review (9)
Publisher
- de Gruyter (43)
- Narr Francke Attempto (3)
- Peter Lang (3)
- Erich Schmidt (2)
- Narr (2)
- Bern Open Publishing (1)
- Brill | Fink (1)
- Facultas (1)
- Frank & Timme (1)
- Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) (1)
У статті досліджено салієнтні політичні речення та їхні функції в україн¬ському і німецькому медійному дискурсі, які використовуються у контексті російсько-української війни та закріплюються в системі актуальних полі¬тичних знань. Teрмін «салієнтні політичні речення» вжито відповідно до наукових праць Й. Кляйна. В українському дискурсі аналізуються відомі речення із відеозвернень та політичних промов В. Зеленського. Також про¬аналізовано гасла та лозунги, які поширюються через соціальні мережі або на прогестних демонстраціях і, відповідно, утверджуються як салієнтні по¬літичні речення. У німецькому дискурсі розглянуто значущі речення у про¬мовах провідних політичних діячів у контексті переосмислення німецької зовнішньої та внутрішньої політики після повномасштабного вторгнення Росії в Україну та після промови О. Шольца «Zeitenwende».
Zeitungsartikel mit wirtschaftlichem Inhalt sind nicht immer nach dem Textmuster „Bericht“ geschrieben, sie können auch erzähltechnische Elemente enthalten. Die Autorinnen untersuchen wirtschaftliche Krisenberichterstattungen aus deutschen, schweizerischen und österreichischen (Wochen-)Zeitungen; sie postulieren, dass Bericht und Erzählung nicht dichotomische Textmuster darstellen, sondern Pole einer Skala, auf der die konkreten Texte verortet werden können. Sie differenzieren vier Grade der Narrativität: nicht /schwach/mittel/stark narrativ. Es zeigt sich, dass der Anteil der schwach und mittel narrativen Texte zwischen 1973 und 2010-12 stark zunimmt. Außerdem werden die Positionen der Gesamtnarration „Krise“ ebenfalls je nach Untersuchungszeitraum bzw. Zeitung verschieden besetzt. Insgesamt dient der Einsatz narrativer Techniken dazu, durch eine textuelle Umsetzung der Krankheitsmetapher zunehmend abstraktere Prozesse zu veranschaulichen.
Die tief greifenden Reformen der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in der Bundesrepublik Deutschland in den 2000er Jahren gingen einher mit kontroversen Debatten, in deren Kontext „Wirklichkeitserzählungen“ (Klein/Martínez (Hg.) 2009), wie sie für ökonomische Kontexte charakteristisch sind, eine relevante Ressource der Persuasion darstellten. Der vorliegende Beitrag behandelt derartige Formate auf der Ebene des Managements von Organisationen. Im Mittelpunkt des theoretischen Teils steht eine Weiterentwicklung des Konzepts der Wirklichkeitserzählung im Blick auf eine semiologische Klärung der Frage, wie in derartigen Narrationen der charakteristische Wirklichkeitsbezug hergestellt wird. Im empirischen Teil werden Daten aus einem Projekt über Mitarbeiterzeitungen aus dem Untersuchungszeitraum unter der Perspektive der Wirklichkeitserzählungen reanalysiert: Untersucht werden charakteristische narrative Formate und deren „Sitz im Leben“ (Gunkel 1906/2004), und es wird nach den ästhetischen und pragmatischen Kosten gefragt, die mit derartigen Funktionalisierungen des Erzählens in Organisationen möglicherweise verbunden sind.
This study explores the interdependence of qualitative and quantitative analysis in articulating empirically plausible and theoretically coherent generalizations about grammatical structure. I will show that the use of large electronic corpora is indispensable to the grammarian's work, serving as a rich source of semantic and contextual information, which turns out to be crucial in categorizing and explaining grammatical forms. These general concerns are illustrated by the patterns of use of Czech relative clauses (RC) with the non-declinable relativizer co, by taking a set of existing claims about these RCs and testing their accuracy on corpus material. The relevant analytic categories revolve around the referential type of the relativized noun, the interaction between relativization and deixis, and the semantic relationship between the relativized noun and the proposition expressed by the RC. The analysis demonstrates that some of the existing claims are fully invalid in the face of regularly attested semantic distinctions, while others are more or less on the right track but often not comprehensive or precise enough to capture the full richness of the facts. 1
Conversation is usually considered to be grammatically simple, while academic writing is often claimed to be structurally complex, associated primarily with a greater use of dependent clauses. Our goal in the present paper is to challenge these stereotypes, based on the results of large-scale corpus investigations. We argue that both conversation and professional academic writing are grammatically complex but that their complexities are dramatically different. Surprisingly, the traditional view that complexity is realized through extensive clausal embedding leads to the conclusion that conversation is more complex than academic writing. In contrast, written academic discourse is actually much more ‘compressed’ than elaborated, and the complexities of academic writing are realized mostly as phrasal embedding rather than embedded clauses.
Anders als bei Sonntagspredigten haben die katholischen und evangelischen AutorInnen von Kirche in 1live nur 90 Sekunden zur Verfügung, um ihre christliche Botschaft zu vermitteln. Vorliegender Beitrag untersucht, wie die katholischen und evangelischen AutorInnen dies tun. Welche Inhalte erachten sie für relevant? Welche sprachliche Gestaltung wählen sie? Greifen katholische und evangelische AutorInnen zu den gleichen Inhalten und sprachlichen Mitteln oder zeigen sich konfessionelle Präferenzen und Differenzen? Diesen Fragen soll an einem Korpus aus Kirche in 1live-Radiopredigten aus den Jahren 2012 bis 2021 (= 2.755 Texte mit insgesamt 726.570 Token) mit einem quantitativen und qualitativen Methoden-Mix nachgegangen werden. Die Studie wird im Rahmen des DFG-Projekts „Sprache und Konfession 500 Jahre nach der Reformation“ am Germanistischen Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster durchgeführt.
Sprachanfragen als authentische Primärdaten bergen Erkenntnispotenziale für eine große Bandbreite linguistischer und transferwissenschaftlicher Forschungsfragen und Methoden. Der Beitrag skizziert diese Potenziale und legt dabei den Fokus auf wissenschaftskommunikative Prozesse im Austausch linguistischer Laien und Experten. Anhand erster Ergebnisse einer empirischen korpusgestützten Untersuchung von ca. 50.000 Sprachanfragen wird skizziert, welche Erkenntnisse aus diesen Daten für die Vermittlung von Sprachwissen in einer zunehmend digitalisierten und vernetzten Gesellschaft gewonnen werden können.
Historische Werkzeugnisse. Reflexive Medienpraktiken in Kriegsgefangenenakten des Zweiten Weltkriegs
(2023)
Im US-Kriegsgefangenenlager Fort Hunt wurden während des Zweiten Weltkriegs deutsche Soldaten verhört und abgehört, was in Protokollen dokumentiert wurde. Die praxeologische Herausforderung besteht darin, Praktiken anhand dieses Materials adäquat zu analysieren. Dass wir Spuren in Archivdaten verstehen, ist in ihrer Semiotizität begründet. Dass sie die sie hervorbringenden Situationen überdauern, verdanken wir ihrer Medialität. In einer semiopraxeologischen Analyse, die diese beiden Grundkonstanten zeichenvermittelter Kommunikation in Beziehung zueinander setzt, wird erörtert, wie Praktiken sich aus ihren Spuren erschließen. Es wird gezeigt, wie sich an Dokumenten indexikalische und reflexive Verweise auf die heterogenen, praktischen Verwendungszusammenhänge über die Zeit manifestieren. Entsprechend sind Archivdokumente als historische Werkzeugnisse aufzufassen, die einerseits Vergangenes belegen und die andererseits praktisch gehandhabt werden, was wiederum neue Praxisindizes erzeugt und als Spuren am Material hinterlässt. Die Analyse zeigt, inwiefern Wissen nicht trotz, sondern aufgrund seiner semiotischen und materialen Manifestationen in (Archiv-)Dokumenten vorläufig ist und sich als Gegenstand weiterer Praktiken immer wieder verändern kann.
This paper seeks to apply the principles of the famous 3-Circle-Model devised for the description of the ecolinguistic position of English world-wide to the position of German around the world.
On the one hand, the 3-Circle-Model for English with its "Inner", "Outer" and "Extended/Expanding" Circles was invented by Kachru in the 1980s and has since then been adopted, refined and criticised by numerous authors. The situation of German world-wide, on the other hand, has only been scarcely discussed in the past 20 years. While the global extension of German is obviously by far weaker than that of English, there are also a number of noteworthy similarities in terms of historical spread and the current position of these two languages.
This paper therefore discusses the analogies of global English and German by establishing three circles for German: the Inner Circle for the core German-speaking area, i.e. Germany, Austria and Switzerland; the Outer Circle including a number of German minority areas (mostly in Europe), and finally the Extended Circle which may be denoted as "Crumbling" rather than "Expanding". The latter comprises traditional German diaspora communities in different parts of the world which either result from migration, but also reflect the previous functions of German as a language of culture and as a lingua franca in regions like Eastern Europe. The paper argues that there are some striking structural similarities, but also shows the limits of this comparison.
Dieser Beitrag vergleicht die Ansätze ,Linguistic Landscapes' (LL) und ,Spot German' (SG) in Hinblick auf ihr Potenzial für die Untersuchung des Vorkommens und der Funktionen der deutschen Sprache in Regionen außerhalb des deutschsprachigen Kerngebietes. Als Beispiele wurden eine LL-Studie im Baltikum sowie eine SG-Untersuchung auf Zypern gewählt. Der Vergleich zeigt, dass beide Methoden - trotz ihrer unterschiedlichen Präzision - ähnliche Aussagen zur Rolle des Deutschen erlauben: In beiden Ländern erscheint Deutsch als „Ergänzungssprache“ zu den gesellschaftlichen Hauptsprachen in bestimmten Nischen, z.B. im Tourismus und in Verbindung mit bestimmten Firmen und Produkten.
Sprachliche Zeichen im öffentlichen Raum (Linguistic Landscape - LL) tragen neben ihrer primären Bedeutung und Funktion wie Auskunft und Werbung auch sekundäre Informationen zur Sprachenhierarchie, zur Repräsentation von Minderheitensprachen, zur sprachlichen Toleranz gegenüber der Mehrsprachigkeit in diesem Raum, etc. Diese Vielschichtigkeit macht die sprachlichen Zeichen im öffentlichen Raum zu wertvollen Lernobjekten, an denen die im Berufsleben so bedeutende diskursive Lesefähigkeit der Studierenden trainiert werden kann. Der Beitrag öffnet Perspektiven auf die Möglichkeiten der Verknüpfung der LL-Analyse mit den Inhalten der traditionellen germanistischen Curricula wie auch benachbarter Fachbereiche und verweist auf bisherige Studien in diesem Bereich.
This chapter discusses functions of the German language in the Linguistic Landscape (LL) of the Baltic states, with a focus on the Latvian capital Riga. For this end, it applies the "Spot German" approach (cf. Heimrath 2017) in the context of debates on the international role of German (cf. Ammon 2015). It argues that German is an "additional language of society" (cf. Marten 2017b), i.e. it is not a dominant language in the Baltics but can regularly be found in a variety of functions. These relate both to the historical role of German in the region (including its contemporary commodification) and to current relations between the Baltics and the German-speaking countries. These include tourism, business, or educational and political institutions, but also point to, e.g., discourses on the quality assigned to products from the German-speaking region. In this sense, the Baltic states are part of what may, in accordance with Kachru's (1985) 3-circle-model for English, be labelled as "extended circle" of German. At the same time, the chapter discusses how conclusions from Linguistic Landscape research can be used for understanding marketing both in and for the German language: On the one hand, German carries the potential of persuading customers to opt for a certain product. On the other hand, the abundance of situations where German can be "spotted" suggests that the LL may successfully be used for language-marketing purposes, as exemplified by a brochure and a poster created by the DAAD Information Centre for the Baltic states in Riga.
In Fachsprache 1–2/2011 Czicza and Hennig proposed a model that explains correlations between grammatical features and pragmatic conditions in communication in sciences. This model now serves as a basis for the practical analysis of the scientific degree of any written text. The authors present a method of analyzing written texts concerning the four parameters ‚economy’‚ precision’, ‚impersonalization’ and ‚discussion’. The method is being developed by the analysis of a prototypical scientific article on the one hand and a non-scientific text on the other hand. The two texts serve as the two poles of the scale of scientificity. Finally, the applicability of the model and its operationalization is being illustrated by the analysis of two examples of texts that are located between the two poles (one popular scientific text and one juridical teaching article).
Im Streit um Migration soll der Gebrauch von Disclaimern in erster Linie ein positives Bild des Produzenten liefern oder wenigstens Ansprüche auf die Berechtigung seiner kritischen Stellungnahme erheben, ohne dass der Produzent als Rassist abgestempelt wird. Im vorliegenden Beitrag werden die Ergebnisse einer Fallstudie über den Gebrauch eines solchen Disclaimers in Deutschland und in Italien zusammengefasst, nämlich von „Ich bin kein Rassist, aber“ und seiner italienischen Entsprechung „Non sono razzista, ma“. Es wird gezeigt, (i) wie diese Disclaimer zum Ausdruck ausländerkritischer Stellungnahmen verwendet werden und (ii) wie ihre Verwendung in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.
Based on conference reports and minutes, archive material and official documents, the article seeks to explore the way in which the promotion of women’s sports and of women in leadership positions became an important part of the sport policy of two major organizations involved in European sport cooperation: the Council of Europe and the European Sport Conference. During first and modest discussions in the 1960s and 1970s it constituted a rather paternalistic project. Also, it was based on the assumption of an essential difference between men and women concerning the need for participation in sport. This only changed since the beginning of the 1980s when women took the course in their own hands, challenged the underlying assumptions and created new networks of cooperation.
Der vorliegende Beitrag untersucht aus interaktionslinguistischer Perspektive, wie Prinzipien deliberativer Demokratie in den Schlichtungsgesprächen zu Stuttgart 21 umgesetzt wurden. Wir konzentrieren uns dabei auf Interventionen, in denen der Schlichter Heiner Geißler die Wahrung von Verständlichkeit und Interessen der Bürger/-innen anmahnt, sowie Verletzungen der Wahrheitsnorm sanktioniert. Wir zeigen, wie Bürger/-innen sowie Normen und Werte rhetorisch als Ressource für das Einhalten von Verfahrensregeln genutzt werden, aber auch den Interessen des Schlichters selbst dienen. Dabei werden die Verfahrenswerte nicht immer einheitlich priorisiert. Die zugrunde liegende politische Diskussion wird zu Gunsten der Durchsetzung des Konstrukts ‚Faktenschlichtung‘ ausgeklammert.
Argumentieren im Widerstand
(2022)
Widerstand gegen das NS-Regime war eine lebensbedrohliche, kräftezehrende und letztlich einsame Herausforderung für alle widerständischen Akteur/-innen. Abgelehnt von einer Mehrheit der NS-Volksgemeinschaft konnten Widerständler/-innen weder darauf bauen, dass ihre Haltungen und Handlungen verstanden noch als Vorbild wahrgenommen wurden. Zur Unterstützung und zum Verständlich-Machen ihrer Positionen bedurfte es kommunikativer Strategien der Überzeugung. Dahingehend ist es konsequent, dass dem Argumentieren in den verschiedenen widerständischen Textkommunikaten eine zentrale Rolle zukam. Anhand ausgewählter Texte des Widerstands ist es Ziel dieses Aufsatzes, das Argumentieren als widerständische kommunikative Praktik in ihrer Strukturiertheit sowie Komplexität darzustellen und hinsichtlich ihrer Akteurs-, Zeit- und Textsortengebundenheit zu reflektieren.
Der Beitrag untersucht korpuspragmatisch am Beispiel der Präpositionalphrasen mit gegen Varianten der Gegenwehr in der Zeit des Nationalsozialismus. Im Vordergrund stehen Flugblätter, Programmschriften und Zeitungsartikel, die unter den Bedingungen von Verfolgung, Exil oder Desertation kollaborativ verfasst wurden. Eine Spur zu diesen Dokumenten, die die Heterogenität und die Konfliktlinien des Widerstands auf Textebene widerspiegeln, legt die Korpusauswertung mithilfe der soziopragmatischen Annotationen aus dem Paderborner HetWik-Projekt. Methodisch werden gegen-Phrasen anhand ihrer Füllerprofile und Kollokatoren einzelnen Handlungsmustern zugeordnet. Im Ergebnis zeigt sich der Solidarisierungseffekt von situativ verfestigten Kollokationen sowie eine (selbst)kritische Reflexion von NS-Feindschaften.
In diesem Beitrag steht die sprachliche Konstitution von Eigengruppen und mit diesen assoziierten Partnergruppen im Vordergrund, deren zentrale Sprachgebrauchsmuster gezeigt werden. Der Beitrag basiert auf Auswertungen der im Projekt „Heterogene Widerkulturen: Sprachliche Praktiken des Sich-Widersetzens von 1933 bis 1945“ erstellten manuellen, soziopragmatisch orientierten Annotationen von 140 Widerstandstexten sowie auf korpuslinguistischen Auswertungen des Gesamtkorpus (554 Texte). Es soll gezeigt werden, dass eine linguistische Auseinandersetzung mit dem Gegenstand Ergebnisse der Widerstandsgeschichte produktiv vertiefen kann. So lässt allein schon die Betrachtung des pronominalen Referierens Schlüsse auf die sozialkulturelle Bindung der Widerstandsakteur/-innen zu.
Ausgehend von spezifischen historischen Diskursbedingungen und anknüpfend an Ansätze der Positionierungstheorie untersucht der Beitrag sprachliche Praktiken politischer Positionierung von Akteuren der integrierten Gesellschaft während des Nationalsozialismus. Am Beispiel einer Eingabe eines Katholiken sowie eines abgehörten Zellengesprächs zweier Wehrmachtssoldaten wird diskursanalytisch herausgearbeitet, wie verschiedene Identitätsdilemmata sprachlich verhandelt wurden und wie die Akteure dabei auf vorliegende politische Positionierungsangebote zurückgriffen, zugleich aber versuchten, ihre Positionen individuell auszugestalten.
Der folgende Beitrag vollzieht, nach Akteuren und Texten bzw. Kommunikationsformen unterschieden, Bezugnahmen auf die Olympischen Sommerspiele 1936 als eine multiperspektivische Konstruktionen nach. Methodisch werden – für die Perspektive der NS-Akteure – die Zugänge der Raumlinguistik genutzt und entsprechende Referenzen als Verräumlichungs-Akte beschrieben. Unter der Voraussetzung, dass die offizielle Berichterstattung der Olympia-Zeitung die Funktion hatte, einen geistig-kulturellen Zusammenhang zwischen der klassischen Antike und der nationalsozialistischen Gegenwart herzustellen, werden exemplarisch spezifische Raum- und Zeitkonstruktionen analysiert. Mit der Behauptung der Identität der klassischen Antike mit dem Nationalsozialismus wird Rechtfertigungspotenzial geschaffen; unter dem Schutz des Prestiges dieser Kulturepoche und ihrer Hervorbringungen hat man Handlungsspielraum. Für die Perspektive von Dissidenten und Ausgeschlossenen werden Bezugnahmen zeitlinguistisch im Sinn von Chronoferenzen dargestellt. Diese konzipieren die Spiele als ein eine transitorische Realität schaffendes Zeitereignis, mit einem markierten Beginn und Ende, vor allem aber mit temporären Phänomenen, i. e. der auf die Spiele zeitlich begrenzten Aussetzung von Exklusionsmaßnahmen. Im Zeichen von Täuschung und Entlarvung werden die kommunikativen Akte akteursspezifisch zusammengefasst.
Forschungskontext
(2022)
Die folgenden Beiträge von Heidrun Kämper, Britt-Marie Schuster, Nicole Wilk, Friedrich Markewitz, Mark Dang-Anh und Stefan Scholl stehen im Kontext zweier von der DFG geförderter Forschungsprojekte, die unter dem Gesichtspunkt einer sprachlichen Sozialgeschichte 1933 bis 1945 – als Tandemprojekte – seit 2018 von Britt-Marie Schuster, Nicole Wilk und Friedrich Markewitz in Paderborn und von Mark Dang-Anh, Stefan Scholl und Heidrun Kämper am IDS realisiert werden. Es sind jeweils Dreijahresprojekte, die 2021 abgeschlossen werden. Zur Einordnung der genannten Beiträge soll zuvor kurz in die Projektkonzeption eingeführt und ein Überblick über die Forschungsgegenstände gegeben werden.
Ist von empörenden Vergleichen die Rede, denken wir zuerst an Nazi- und Holocaust-Vergleiche. Diese Vergleiche und die Reaktionen darauf unterliegen sprachlichen Mustern und verfolgen politische Strategien, deren typisierende Analyse – anhand von Beispielen aus dem deutschen und nicht-deutschen Raum – im Zentrum des Aufsatzes steht. Das Frageinteresse zielt darüber hinaus auf eine Geschichte des empörenden Vergleichens in der historischen Langzeitperspektive. Empörende Vergleiche können formal als Gleichsetzungen, Komparationen oder als hierarchisierende Unterscheidungen auftreten. Ihre Hauptfunktionen sind das Diffamieren politischer Gegner, das Erheischen von Anerkennung, vor allem als Opfer erlittenen Unrechts, sowie die provozierende Verletzung von Sprachnormen zwecks Ausweitung der Grenzen des Sagbaren.
Der Beitrag beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen politischer Argumentation und politischem System in der Schweiz. Vor allem mit Verweisen auf Ergebnisse aus den Sozialwissenschaften wird zunächst plausibilisiert, dass es ein anhaltendes internationales Interesse an direkter Demokratie gibt und dass die (halb)direkte Demokratie in der Schweiz insgesamt gut funktioniert. Anschließend argumentiert der Beitrag dafür, dass die politische Kommunikation und im Besonderen die politische Argumentation in der Schweiz nicht nur von der (halb)direkten Demokratie geprägt sind, sondern auch zu deren Funktionieren beitragen. Zu diesem Zweck werden vorrangig Ergebnisse verschiedener Studien aus dem SNF-Forschungsprojekt „Politisches Argumentieren in der Schweiz“ (2018–2021) aufeinander bezogen. Zusammengenommen deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die politische Kommunikation und Argumentation für die erfolgreiche Existenz direktdemokratischer Instrumente eine nicht zu unterschätzende Bedeutung haben.
Kommunikation zwischen Regierenden und Regierten ist eine notwendige Bedingung für repräsentative Demokratien. Bürgerinnen und Bürger müssen wissen, wofür Parteien und Kandidaten stehen. Gleichzeitig müssen diese über Interessen und Bedürfnisse der Bevölkerung informiert sein. Kurzum: ohne Kommunikation funktioniert repräsentative Demokratie nicht. Politik und politische Kommunikation sind für die allermeisten von uns aber nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar erfahrbar – hier spielen die Medien als „Fenster zur Welt“ eine zentrale Rolle. In aller Kürze werden wir uns der Bedeutung der medialen Veränderung (Radio, Fernsehen, Internet, soziale Medien) für die politische Kommunikation nähern. Hierum geht es in einem ersten Teil meines Beitrags. Daran anschließend, im zweiten Teil: Streit! Die politische Auseinandersetzung als Herzstück der Demokratie und besondere Form der Kommunikation. Hart in der Sache, anständig im Ton um die beste politische Lösung ringen – so der Idealfall. Doch wo findet diese Auseinandersetzung statt? Im dritten Teil des Beitrags wird das Konzept der Öffentlichkeit genauer beleuchtet. Vor wenigen Jahrzehnten unterhielt man sich über dieselbe Sendung, die man am Abend davor gesehen hatte – das „rituelle Zusammensein der Nation“. Heute leben wir in geteilten und getrennten Öffentlichkeiten. Filterbubbles, Echokammern. Welche Auswirkungen lassen sich daraus für die demokratische Debatte und die politische Kommunikation ableiten? Im vierten Abschnitt widmet sich der Beitrag großen Fragen, ohne abschließende Antworten zu liefern: Braucht es Regulierung? Kann Kommunikation überhaupt reguliert werden? Und von wem?
In dem einleitenden Beitrag wird ein Überblick über die Erforschung politischer Sprache von der Nachkriegszeit an gegeben. Im Zusammenhang mit frühen Publikationen wird auf die Diskussion anfänglicher methodischer Desiderata eingegangen, die prägend für die Geschichte der Politolinguistik war. Nach einer Klärung des Gegenstandsbereichs der Politolinguistik wird die Entwicklung dieser Forschungsrichtung dargestellt, die sich als eine Bewegung von der Analyse kleinerer Einheiten (Ideologiewortschatz) hin zu größeren Einheiten (politische Kampagnen/Diskurse) darstellen lässt. Die Reflexion auf das Selbstverständnis der Politolinguistik, möglichst deskriptiv vorzugehen und von der Bewertung der analysierten Gegenstände abzusehen, scheint dabei immer wieder auf.
Mit der Jahrestagung 2021 lenkte das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) den Blick auf die Wechselbeziehung zwischen Sprachgebrauch bzw. sprachlichem Handeln und der gesellschaftlich-politischen Wirklichkeit. Damit ist der Gegenstandsbereich der Tagung umrissen: Es geht um die politische und gesellschaftliche Dimension von Sprache. Das Institut entspricht mit diesem Tagungsthema in besonderer Weise seiner Aufgabe, die Sprache in der Gegenwart und in ihrer jüngeren Geschichte zu untersuchen.
Vorwort
(2022)
Sprache ist politisch, und politisches Handeln vollzieht sich nie ohne Sprache. Sprachgebrauch bzw. sprachliches Handeln stehen dabei in einer unauflösbaren Wechselbeziehung mit der gesellschaftlich-politischen Wirklichkeit. Diese Wechselbeziehung aus verschiedenen Perspektiven zu analysieren, ist das Ziel der in diesem Band versammelten Beiträge, mit denen die Jahrestagung 2021 des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache dokumentiert wird. Dabei geht es nicht zuletzt um die gesellschaftliche Verantwortung, die die Sprachwissenschaft – wie alle Sozialwissenschaften – hat. Diese Verantwortung besteht darin zu zeigen, welche Rolle und Funktion Sprache im gesellschaftlich-politischen Kontext zukommt. Mit diesem Anspruch bekommen Themen aus dem Bereich Sprache, Politik und Gesellschaft sowohl gegenwarts- als auch vergangenheitsbezogen eine neue Relevanz. Der Zugang ist dabei dezidiert transdisziplinär, neben der Linguistik sind insbesondere auch die Politologie und die Geschichtswissenschaft beteiligt.
Argumentative Stützungen von diskursiven Geltungsansprüchen spielen im Rahmen von Diskursanalysen zu gesellschaftlich verhandelten Themen, wie ökologische Nachhaltigkeit, eine wichtige Rolle. Im vorliegenden Beitrag, der einen zentralen Aspekt der großangelegten diachronen Studie von Schwegler (2018) fokussiert vorstellt, wird ein diskurslinguistischer Ansatz zur Erfassung von Argumentationen und Werteverständnissen dargelegt, der Argumentgruppen inhaltlich bzw. thematisch unterscheidet – d. h. nicht mikro- oder makroformal analysiert – und gleichzeitig mittels eines framesemantischen Ansatzes über eine Argumentationsanalyse auf mittlerer Abstraktionsebene hinausgeht. So kann auch für vermeintlich konsensuelle Bereiche aufgedeckt werden, wie Konflikte latent innerhalb zentraler argumentativer Begriffe liegen. Identifizierte Argumentgruppen, wie hier beispielhaft Gerechtigkeit, sind dabei nicht genuin diskursspezifisch, spezifisch sind vielmehr die Kombinationen der Werteverständnisse, d. h. die Arten von Gerechtigkeit, an die argumentativ appelliert wird. Im deutschsprachigen Nachhaltigkeitskontext sind dies u. a. Fairness, Gleichheit (bzgl. Umweltgerechtigkeit oder Verfahrensgerechtigkeit), globale Gleichberechtigung, kosmische Gerechtigkeit (Schicksal), Reziprozität/Tauschgerechtigkeit sowie Gewohnheitsrecht oder Utilitarismus, die in kontrastiver Verwendung Konfliktpotenzial bergen.
Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung gehören zu den drängenden globalen Zielen unserer Zeit. Als interdisziplinäres und vielschichtiges Thema ist Nachhaltigkeit auch für die angewandte Linguistik hochrelevant – sei es mit Blick auf die diskursive Debattenkultur, neue mediale Formen der Partizipation oder Formen der Wissenskommunikation, wie die international entstandene Nachhaltigkeitskommunikation in Wirtschaft und Politik.
Mit dem sogenannten Practice Turn werden in den Sozialwissenschaften aber auch in der Linguistik die Materialität und Körperlichkeit, die Routine und der Performanz-Charakter des Sozialen betont. Damit geht aber einher, dass vor allem in den radikaleren Ansätzen, die sich explizit gegen einen Handlungsbegriff stellen, die Aussparung des Subjektiven zu theoretischen wie methodologischen Problemen führt. Auf Basis einer reflexiven Zuwendung zu unseren eigenen Praktiken der interpretativen Videoanalyse zeigen wir einerseits, welche Beiträge die Praxisperspektive liefern kann, weisen aber auch auf die Rolle der Subjektivität der Beobachtenden hin. Diese Verbindung beider Perspektiven leistet der umfassendere Begriff des kommunikativen Handelns, auf dessen Grundlage die Sozialität der Praktiken nicht mehr nur postuliert wird, sondern ihr Zustandekommen aus den Prozessen der Routinisierung, Habitualisierung und Institutionalisierung des Handelns erklärt werden kann.
Wer sprachliche zu kommunikativen Praktiken in Beziehung setzt, muss bekanntlich dem Umstand Rechnung tragen, dass die zur Bedeutungskonstitution gebrauchten sprachlichen Ressourcen semantisch und pragmatisch weit unbestimmter sind als die Bedeutungen, die an Interaktionsprozessen Beteiligte Äußerungen zuschreiben, die (u.a.) auf der Verwendung dieser sprachlichen Symbole beruhen. Fragt man vor diesem Hintergrund danach, wie die Kluft zwischen Sprache und Kommunikation in der Verständigung und Kooperation geschlossen wird, so kommen Probleme ins Blickfeld, die in der theoretischen Linguistik bislang in erster Linie auf handlungslogischer Grundlage bearbeitet werden. Der gegenwärtige „Practice turn“ bezieht seine Legitimation aus einer Kritik an (bestimmten) handlungstheoretischen Positionen, die individuelle (Zweck-)Rationaliät bzw. konventionell geteiltes (Regel-)Wissen – modellhaft – als hinreichende Voraussetzungen menschlicher Kommunikation begreifen. Dagegen gehen (bestimmte) Praxistheorien von der Annahme aus, dass Sozialität basal in einer interaktionalen „Infrastruktur“ (Schegloff 2012) gründet, auf deren Basis durch sprachliches und praktisches Tun in Verbindung mit komplexen kulturellen Verstehenshintergründen (Schatzki 2002) kommunikativer Sinn gleichermaßen reproduktiv wie stets dynamisch hergestellt wird. Der vorliegende Beitrag erprobt anhand von Daten aus einem laufenden DFG-Projekt über Foyer-Gespräche im Theater – speziell im Blick auf Bewertungen – die methodische Reichweite handlungslogischer und praxeologischer Herangehensweisen und erörtert im Kontext der linguistischen Pragmatik ihr Verhältnis zueinander.
Aufklärende Sprachkonsultation kann profiliert werden, indem man sie als prospektive Sprachbetrachtung konzipiert. Im Aufsatz werden die Ausgangspunkte und Konsequenzen für diese These erläutert. Drei Blickrichtungen lassen sich unterscheiden: Mikro-, Medio- und Makroprospektiven. Die Mikroprospektivität wird in Verbindung mit sprachnormativen Problemen näher in Augenschein genommen. In allen Ausblicken auf die Zukunft spielt die Thematisierung von individuellen oder kollektiven Handlungsspielräumen eine besondere Rolle, um aufklärende Sprachkonsultation zu verwirklichen.
Der Beitrag beschäftigt sich mit kommunikativen Praktiken in audiovisuellen Webformaten am Beispiel von sogenannten „Let’s Plays“, in denen ein Videospiel im Internet für Zuschauende gespielt und kommentiert wird. An live ausgestrahlten Let’s Plays zeigen wir, wie Zuschauende mit Produzierenden während der Ausstrahlung interagieren und so integraler Bestandteil des entstehenden Produkts werden. Live ausgestrahlte Let’s Plays machen eine Trennung zwischen Produktion, Produkt und Rezeption, wie wir sie von traditionellen Medien kennen, obsolet. Wir sprechen daher von sogenannten Medienketten. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass die drei genannten Elemente, aufgrund der gegebenen medialen Affordanzen ineinander übergehen, sich dynamisch beeinflussen oder gegenseitig hervorbringen.
Persuasionsstrategien in deutschen rechtsorientierten Zeitungen. Eine korpuslinguistische Studie
(2019)
Corpus Linguistics has often proved fruitful to examine different types of discourses, also the one of refugees. Aim of the paper is to show how language usage patterns can be focused on with the help of techniques grounded in Corpus Linguistics, giving information about themes and topoi. After showing what type of words (keywords, collocations) and what type of phenomena will be considered (topoi, metaphors and frames) in the article, the focus will shift on the methodology and the adopted criteria. After presenting the primary corpus (articles from right-oriented newspapers) and the comparison corpus (articles from 'Die Zeit') the main results of the analysis are presented and reflected on.
Podiumsdiskussion: "Die Germanistik muss sich internationalisieren, um international zu überleben"
(2003)
Transnationale Germanistik
(2003)
Zwischen den Erwartungen und besonderen Bedürfnissen der Auslandsgermanistik und dem, was die germanistische Linguistik zu bieten hat, gibt es auf verschiedenen Gebieten noch erhebliche Diskrepanzen – so lautet die durchaus als Provokation gemeinte Ausgangsthese. Im Bereich Wortschatz und Wörterbücher fehlt es, verglichen mit der anglo-amerikanischen Wörterbuchszene, an umfassenden, korpusbasierten, gegebenenfalls auch elektronisch zugänglichen Wörterbüchern mit durchdachter Mikrostruktur, präzisen und verständlichen grammatischen und semantischen Angaben und reichhaltigem, den heutigen Sprachgebrauch widerspiegelndem Beispielmaterial. An grammatische Handbücher sind folgende Forderungen zu stellen: Konzentration auf relevante, d.h. typische, hochfrequente und kontrastiv-typologisch bedeutsame Erscheinungen, Zuverlässigkeit und Präzision der Angaben durch expliziten Bezug auf eine Textbasis sowie vor allem Verständlichkeit für die Zielgruppe. Weitere Desiderate beziehen sich u.a. auf die zeitgemäße Präsentation des faktischen Sprachgebrauchs und der deutschen Dialekte, speziell auf das Deutsche zugeschnittene Arbeiten zum Spracherwerb und zur Sprachverarbeitung.
Zum Abschluss der Jahrestagung 1998 fand eine Podiumsdiskussion statt, und zwar mit folgenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern (in alphabetischer Reihenfolge): Professor Dr. Rudolf Hoberg (TH Darmstadt); Fritz Kuhn, Μ. Α., MdL (Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Landtag von Baden-Württemberg); Professorin Dr. Eva Neuland (Universität- Gesamthochschule Wuppertal); Achim Struchholz (Pressesprecher von Der Grüne Punkt - Duales System Deutschland AG, Köln); Dr. Annette Trabold (Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit im Institut für deutsche Sprache). Die Leitung der Diskussion hatte Professor Dr. Rainer Wimmer (Universität Trier).
Der Vortrag geht aus von dem weithin geteilten Befund, daß die Sprachwissenschaft sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Wissenschaftsdiskurs der Kulturwissenschaften an Ansehen verloren hat. Er versucht vor dem Hintergrund dieses Befundes das Verhältnis von Linguistik und Öffentlichkeit zu erörtern. Die Resonanzlosigkeit der Sprachwissenschaft im öffentlichen Raum wird zunächst im Kontext der These diskutiert, die Disziplin befolge nicht die „Gesetzmäßigkeiten der Darstellung"(Münch) und verfüge über kein angemessenes Marketing. Eine solche Ursachenzuschreibung für die mangelnde Öffentlichkeitsfähigkeit linguistischen Wissens wird als zu kurz greifend zurückgewiesen. Die Ansehenskrise wird statt dessen in einer grundsätzlicheren Hinsicht zurückgeführt (1) auf die allgemeinere Krise des wissenschaftlichen Wissens in der „Expertengesellschaft" (Hitzler) sowie (2) auf eine für die Sprachwissenschaft charakteristische mangelnde Zeitgenossenschaft. Diese ist – so die These des Vertrags – herzuleiten aus einem geisteswissenschaftlichen Autonomieverständnis, das einer Verschränkung von Wissenschaft und öffentlich-politischem Handeln kritisch gegenübersteht sowie im besonderen aus der stummen Distanz der Sprachwissenschaft zu dem – von der Öffentlichkeit mit großer Aufmerksamkeit verfolgten – Mediendiskurs der Kulturwissenschaften.
Wörter - Argumente - Diskurse. Was die Öffentlichkeit bewegt und was die Linguistik dazu sagen kann
(1999)
Der Beitrag versucht, eine der Möglichkeiten auszuloten, die Interessen der Öffentlichkeit und der Sprachwissenschaft in Verbindung zu bringen. Im Bereich gesellschaftlich relevanter Diskussionen besteht diese Möglichkeit darin, über besonders prominente Einzelwörter hinaus solche Diskussionen als „Diskurs" aufzufassen und diesen mit verschiedenen sprachwissenschaftlichen Methoden zu analysieren. Diskurs wird dabei als Menge aller Äußerungen zu einem gleichen Thema aufgefaßt, die für die Forschung in reflektiert zusammengestellten Textkorpora zugänglich zu machen sind. Am Beispiel des Migrationsdiskurses wird veranschaulicht, wie eine korpusbasierte, empirische Diskurslinguistik begründete Aussagen über die Verwendung von Wörtern machen kann, die die Öffentlichkeit im doppelten Sinne „bewegen", wie die argumentative Funktion öffentlicher Sprachthematisierungen systematisch zu erfassen ist und wie über die Wortschatzanalyse hinaus argumentative Muster öffentlicher Diskurse in ihrem Stellenwert für ein öffentliches
Themenfeld beschrieben werden können. Abschließend werden die bisherige öffentliche Resonanz auf entsprechende linguistische Forschungsergebnisse erörtert sowie die Chancen eines Forschungsansatzes, der einerseits öffentlich interessierende Themen aufgreift und andererseits diese methodisch reflektiert begleitet und analysiert. Insgesamt scheinen hier wie in anderen linguistischen Teilbereichen die Weichen für eine stärker öffentlichkeitsrelevante Linguistik bereits gestellt. Damit beginnt die germanistische Linguistik, aus der „selbstverschuldeten öffentlichen Unmündigkeit" der Germanistik auszubrechen und ihr Themenfeld in der Öffentlichkeit nicht mehr anderen zu überlassen, die weniger seriös arbeiten bzw. deren Kompetenzen andere sind.
In der gegenwärtigen forschungspolitischen Diskussion ist es für Einzeldisziplinen wie die Linguistik von zentraler Bedeutung zu klären, in welcher Form sie bereit und in der Lage sind, Beiträge zu außerwissenschaftlichen Problemstellungen zu leisten. Vor diesem Hintergrund haben wir im Zeitraum von Frühjahr bis Herbst 1997 eine schriftliche Umfrage unter 1.500 Linguistinnen und Linguisten durchgeführt; der Rücklauf lag bei ca. 17% (256). Ziel der Befragung war, die Einstellungen zum Thema Linguistik in der Öffentlichkeit aus der Innenperspektive der Disziplin heraus zu bestimmen. Zu diesem Zweck wurden zwölf überwiegend offene Fragen gestellt, die sich in vier Gruppen gliedern:
(I) Tatsächliche und potentielle Relevanz der Linguistik für die Öffentlichkeit
(II) Darstellung der Linguistik in der Öffentlichkeit (Presse, Fernsehen etc.)
(III) Beiträge der Befragten zum Wissenstransfer aus der Linguistik in außerakademische
Bereiche
(IV) Einschätzung zukünftiger Entwicklungen und Entwicklungsmöglichkeiten im Verhältnis zwischen Linguistik und Öffentlichkeit.
Die vielfach emotionale Resonanz, die die Fragen hervorriefen, macht deutlich, daß „Linguistik in der Öffentlichkeit" für Linguistinnen und Linguisten nicht nur ein aktuelles, sondern auch ein brisantes Thema ist. Generell wird ein Mißverhältnis zwischen der Leistungsfähigkeit und Relevanz des Fachs einerseits und seiner tatsächlichen öffentlichen Wirkung andererseits gesehen. Nur eine Minderheit der Befragten formuliert diesen Befund im Zusammenhang mit einer scharfen Kritik an der Öffentlichkeit und ihren Instanzen (Medien, Institutionen). Ca. 90% der Einsender kritisieren dagegen die Probleme von Linguistinnen und Linguisten, Forschungsergebnisse verständlich zu präsentieren, Praxisbezüge ihrer Ergebnisse hervorzuheben und/oder das Fach wirkungsvoll nach außen hin darzustellen.
Einzelsprachliche wissenschaftliche Grammatiken - nur von ihnen ist die Rede - haben eine ganze Reihe von Anwendungen außerhalb von universitärer Lehre und Forschung, die sich in ihrem Adressatenbezug niederschlagen sollten. Der folgende Beitrag möchte die Aufmerksamkeit auf solche Anwendungen richten, die das Verhältnis von Sprache, Sprachwissenschaft und Öffentlichkeit betreffen. An einschlägigen Beispielen wird vorgeführt, welche Art von grammatischem Wissen für welche dieser Anwendungen von Interesse sein kann. Das Plädoyer für einen Rückgriff auf grammatisches Wissen ist auch ein Plädoyer für eine bestimmte Art von Grammatik, wir nennen sie die 'funktionale'. Wir schreiben an ihr, indem wir Lösungen für außerhalb der Grammatikforschung auftretende Probleme anbieten.
Die Sprachwissenschaft antwortet auf Fragen, die die Öffentlichkeit nicht hat. Diese Konstellation, die vermutlich für jede Wissenschaft gilt, ist der Schule aus dem Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern nicht unvertraut. Der Lehrer reagiert darauf damit, dass er die Schüler zu der Fragwürdigkeit von Tatbeständen und Meinungen hinzuführen versucht, bevor er im Unterricht mögliche Antworten entwickelt. Dieses Verhalten ist auf die Beziehung zwischen Sprachwissenschaft und Schule insoweit übertragbar, als die Sprachwissenschaft nicht nur selbstgenügsam als Wissende in sich selber ruhen darf, sondern künftigen Lehrern die Bedeutung ihrer Forschungen für ihren Beruf vermitteln muss. Das ist bisher oft nicht gelungen; Deutschlehrer interessieren sich weit mehr für Literatur als für Sprache. Es geht also nicht in erster Linie darum, die Fachinhalte für den Gebrauch von Lehrerstudenten aufzubereiten oder ihnen eine bestimmte Auswahl von sprachwissenschaftlichen Seminaren anzubieten, sondern darum, die Studenten für die deutsche Sprache zuerst einmal zu interessieren, vielleicht sogar zu begeistern. Das scheint möglich, wenn es gelingt, den Studenten die Erklärungskraft sprachwissenschaftlicher Theoriebildung für das Verständnis des alltäglichen mündlichen und schriftlichen Gebrauchs der deutsche Sprache vor Augen zu führen und ihnen so ein gegenüber ihrem vorwissenschaftlichen Verständnis neues Bild der deutschen Sprache – und erst dann ein Bild der germanistischen Linguistik – zu vermitteln.
Sprache und Recht
(2002)
Der Tagungsband möchte das interdisziplinäre Gespräch zwischen Sprach- und Rechtswissenschaft ein weiteres Mal und vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen anregen.
Die hierfür ausgewählten Themen werden sowohl aus linguistischer wie aus juristischer Perspektive, d.h. von Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftlern sowie von Juristen beleuchtet: Verhältnis von Sprache, Recht, Öffentlichkeit und Politik, Kommunikation vor Gericht, eine z.T. sprach- bzw. rechtsphilosophische Sicht auf rechtsrelevante Äußerungen, Fragen der Auslegung inbesondere angesichts der verzweigten Intertextualität des Rechts, historische und aktuelle (auf die europäische Einigung zurückzuführende) Wandlungen von Rechts- und Sprachsystemen, der Nutzen der Linguistik für die Kriminologie sowie Ursachen und Lösungen für die Schwerverständlichkeit von Gesetzen.
Stilfragen
(1995)
Die 30. Jahrestagung des Instituts für Deutsche Sprache vom 15. bis 17. März 1994 hatte sich die Aufgabe gestellt, den komplexen Phänomenbereich von "Stilistischem" in der Sprache unter mehreren Aspekten zu beleuchten und Anregungen für einen modernen, linguistisch fundierten Stilbegriff, vielleicht sogar für eine nutzbare Stilistik zu gewinnen. Die in diesem Band versammelten Beiträge nähern sich dem Phänomen Stil unter anderem nach folgenden Dimensionen und Aspekten:
Stil: deskriptiv und normativ
Stilphänomene nach sprachlichen Strukturebenen
Stilistica der gesprochenen und geschriebenen Sprache
Stilwandel
Stilsemiotik
Gesprächsstile
Sprachstil als soziales Merkmal
Stile in interkulturellen Begegnungen
Stil in der Übersetzung
Stile in der Gegenwartsliteratur
Stile in Wissenschaftstexten
Stil als Lehr- und Lerngegenstand
Anhand eines Fallbeispiels wird gezeigt, dass in der praktischen Arbeit des EuGH Rechtsarbeit und Spracharbeit eng miteinander verflochten sind. Wenn es in einem strittigen Fall um die konkrete Ausarbeitung einer haltbaren Sachverhaltsbeschreibung geht, zeigt sich, dass die Rechtsarbeit und die Spracharbeit des Gerichts eigentlich identisch sind. In einem solchen Fall ist es für das Gericht nützlich und günstig, wenn es auf so viele sprachliche Formulierungen (auch in verschiedenen Sprachen) zurückgreifen kann wie möglich. Das Ziel ist, möglichst viele Interpretationen in Betracht zu ziehen, um das Urteil bestandssicher zu machen. In dieser Situation sind Vorschläge, das Sprachenspektrum, in dem der EuGH arbeitet, im Vorhinein und generell einzuschränken, kontraproduktiv.