Sprache im 20. Jahrhundert. Gegenwartssprache
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In diesem abschließenden Beitrag soll zunächst verdeutlicht werden, was die zurückliegenden Fallanalysen an allgemeinen Einsichten für didaktisches Handeln unter Bedingungen faktischer Interaktion eröffnet haben. Es geht also um Einsichten, die in ihrer Bedeutung über das einzelne analysierte Beispiel hinausgehen (Kap. 2). Darüber hinaus soll gezeigt werden, welche Konsequenzen sich auf der Grundlage dieser falltranszendierenden Einsichten für eine handlungsgegründete Konzeption von Didaktik ergeben (Kap. 3). Schließlich soll die Frage gestellt werden, welche Perspektiven sich für die Ausbildung von Referendarinnen/Referendaren und die Weiterbildung von Lehrern/Lehrerinnen auf der Grundlage der produzierten Ergebnisse eröffnen (Kap. 4). An einem konkreten Beispiel soll abschließend aufgezeigt werden, welche Möglichkeiten bestehen, die Analyseergebnisse für eine Sensibilisierung sowohl in der Ausbildung von Referendaren/ Referendarinnen als auch der Weiterbildung von Lehrerinnen/Lehrern für Mechanismen von Interaktion zu nutzen und für den Unterricht zur Verfügung zu stellen (Kap. 5).
In diesem Beitrag beschäftigen wir uns mit einem für den Unterricht in bestimmten Klassen durchaus bekannten Ereignis, nämlich dem Diktieren eines Textes. Dabei handelt es sich in der Regel um einen überschaubaren Ereigniszusammenhang: Ein Lehrer/eine Lehrerin liest einen Text langsam und stückweise vor, den die Schüler/innen aufschreiben. Wir werden diesen fraglichen Zusammenhang auf der Grundlage eines Videoausschnitts im Detail rekonstruieren, der Bestandteil eines Korpus von Aufzeichnungen in einer Waldorfschule ist. Es handelt sich bei dem Ausschnitt um den Epochenunterricht im Fach Chemie in einer achten Klasse. Wir werden zeigen, dass Diktieren im Kontext des Epochenunterrichts in der Waldorfschule aufgrund der Schultypenspezifik ein sehr komplexer und – anders als man dies zunächst vermuten würde – auch ein im engeren Sinne gemeinsam von der Lehrerin und den Schülern/Schülerinnen gestalteter und hervorgebrachter Ereigniszusammenhang ist. Den Schülerinnen/Schülern fällt beim Diktieren nämlich nicht nur die rezeptive Rolle zu, den von der Lehrerin vorgelesenen Text im Wortlaut aufzuschreiben. Sie tragen vielmehr auf sehr unterschiedliche Weise selbst aktiv zur Entwicklung und Ausgestaltung des Diktierens bei. In diesem interaktiven Zusammenspiel verändert sich die Grundstruktur „Lehrerin liest vor und Schüler/innen schreiben auf“ während des Diktates durch unterschiedliche Initiativen und Beiträge in vielfältiger Weise.
Der Lehrer, der an der Tafel steht und rechnet, gilt als Inbegriff des Mathematikunterrichts. Der Topos kommt nicht von ungefähr: Das Lösen von Übungsaufgaben im fragend-entwickelnden Unterrichtsgespräch nimmt bei der Vermittlung von Mathematik zumindest in den oberen Schulstufen nach wie vor eine wichtige Stellung ein. Doch was macht eine Lehrperson genau, wenn sie gemeinsam mit den Lernenden eine Übungsaufgabe löst? Der vorliegende Beitrag gibt eine empirisch fundierte Antwort auf diese Frage. Er beruht auf audiovisuellen Aufnahmen, die in einer Mathematikstunde an einer Fachhochschule entstanden. Die Analyse zeichnet das konkrete Handeln eines Dozenten nach, der an der Tafel die Lösung einer Übungsaufgabe zu Ungleichungen erarbeitet. Der Dozent reagiert damit auf die Bemerkung einer Studentin, sie könne mit dem Thema ‘Ungleichungen’ „gar nichts anfangen“. Das Lösen der Aufgabe lässt sich also als Verfahren konzeptionalisieren, mit dem der Dozent eine konkrete Anforderung bearbeitet, die sich aus der Interaktion mit den Studierenden ergeben hat.
Vor den inhaltlichen Ausführungen dieser Einleitung stehen drei Vorbemerkungen: Erstens wird kurz das Zustandekommen dieses Buches beschrieben, um zu verdeutlichen, dass es von Anfang an von der Kooperation zwischen Wissenschaft und Praxis getragen worden ist. Zweitens wird der Aufbau des Buches skizziert, damit Leser und Leserin sich ein Bild davon machen können, was sie erwartet. Drittens wird dargelegt, dass die Ergebnisse des Buches zwar auf der Basis einer differenzierten und komplexen wissenschaftlichen Methode erarbeitet worden sind, das Erkenntnisinteresse jedoch ein anwendungsbezogenes ist.
In dieser ersten Fallstudie geht es um die Rekonstruktion der Entwicklung eines „brisanten“ Themas im Englisch-Unterricht. Aus der Bearbeitung der aktuellen Aufgabe „Steckbriefe prominenter Personen verfassen, vorlesen und erraten“ entsteht in mehreren Etappen das Thema „nationale Identität“, an dem sich unterschiedliche Schüler und der Lehrer beteiligen. Wir beschreiben zunächst, aus welchem schulischen Zusammenhang der für die Analyse ausgesuchte Videoausschnitt stammt (Kap. 2). Dabei stellen wir auch kurz den Unterrichtszusammenhang dar, der dem analysierten Ausschnitt vorausgeht (Kap. 3). Dieser wiederum verdeutlicht, aus welchem konkreten Zusammenhang sich das „brisante Thema“ entwickelt und unter welchen Bedingungen dies geschieht. Danach rekonstruieren wir die schrittweise Entstehung dieses Themas (Kap. 4). Im Anschluss daran konzentrieren wir uns auf die interaktive Beteiligungsweise des Lehrers und fragen nach den konkreten Anforderungen, die sich für ihn aus der thematischen Entwicklung ergeben (Kap. 5) und nach den Verfahren, die er zur Bearbeitung dieser Anforderungen einsetzt (Kap. 6). Weiter verdeutlichen wir die mit den Verfahren verbundenen Implikationen in Begriffen von „Chancen und Risiken“ (Kap. 7) und beschreiben den Zusammenhang von unterrichts- und fachspezifischen Ressourcen der vom Lehrer eingesetzten interaktiven Verfahren (Kap. 8). Eine kurze Schlussbemerkung vervollständigt unsere Darstellung (Kap. 9).
Vorwort
(2011)