Orthographie
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Das Schriftsystem ist ein System und es zeigen sich Folgen, wenn Schreibungen gegen den Schreibusus geändert werden. Exemplarisch wird dies erstens an der Veränderung des Verbsuffixes -iren zu -ieren im Nachgang der Rechtschreibreform von 1876 und zweitens der Veränderung von Gruppen wie im Allgemeinen in der Reform von 1996 gezeigt. Beide verursachen unbeabsichtigte Folgefehler. Wie systematisch manche Variation und damit auch mancher Fehler ist, wird sowohl am Komma vor Vergleichssätzen als auch an Fehlern in der Getrennt- und Zusammenschreibung gezeigt. Das Statut des Rechtschreibrates besagt, dass bei der Weiterentwickung des Amtlichen Regelwerks die ständige Beobachtung der Schreibentwicklung, die Klärung von Zweifelsfällen, die Erarbeitung und die wissenschaftliche Begründung von Vorschlägen zur Anpassung des Regelwerks an den allgemeinen Wandel der Sprache im Vordergrund stehen. Das ist zu begrüßen, weil viele Zweifel bei den Zweifelsfällen grammatische und nicht orthographische Ursachen haben.
Kognitive Pretests oder auch kognitive Interviews sind semi-standardisierte Interviews, die durchgeführt werden, um Einblick in die kognitiven Prozesse zu bekommen, die Befragte beim Beantworten von Fragen durchlaufen, und wie sie zu ihrer Antwort kommen. Innerhalb der sozialwissenschaftlichen Umfrageforschung werden kognitive Interviews insbesondere zu zwei Zwecken eingesetzt: (a) in der Fragebogenentwicklung und (b) in der Übersetzung von Fragebögen. Im Rahmen der Fragebogenentwicklung wird durch Interviews mit Befragten der Zielpopulation versucht, Hinweise auf unterschiedlichste Frageprobleme zu erhalten. So kann man beispielsweise herausfinden, wie Befragte bestimmte Wörter oder Begriffe verstehen, wie schwierig oder einfach sie eine Frage finden oder wie sie ihre Antwort auf eine Frage bilden. In der Übersetzung von Fragebögen kann man beispielsweise untersuchen, ob eine übersetzte Frage so verstanden wird wie die entsprechende Frage in der Ausgangssprache oder welche gewünschten bzw. unerwünschten Konnotationen bestimmte Übersetzungen haben. Innerhalb der Orthographieforschung ließe sich diese Methode auf die Entwicklung von Kriterien zur Festlegung von Rechtschreibregeln oder zur Prüfung ihrer Akzeptanz anwenden: In kognitiven Interviews eingesetzte Techniken wie „Probing“, also gezieltes Nachfragen, oder Lautes Denken könnten genutzt werden, um zu prüfen, wie Rechtschreibregeln angewendet werden oder wie sie zielgruppenspezifisch und nutzungsfreundlich ausgestaltet werden müssten, damit sie größtmögliche Akzeptanz in weiten Teilen der Bevölkerung finden. So könnte man intuitive Entscheidungen bei Worttrennung oder Getrennt- und Zusammenschreibung untersuchen.
Gemäß Lehrplänen scheint der Rechtschreiberwerb nach der Sekundarstufe I weitgehend abgeschlossen. Aber auch auf der Sekundarstufe II, ja sogar an Universitäten verstoßen die Schreibenden gegen die gültigen Regeln. Dabei können Lernende auf diesen Stufen durch die Auseinandersetzung mit dem System der Orthografie ein besseres Verständnis für die Normen entwickeln. Ein explorativer, konstruktivistischer Ansatz eröffnet neue Perspektiven, orthografische Probleme zu untersuchen und zu verstehen. Es wird gezeigt, wie Regeln durch gezielte Aufträge selbstständig entdeckt werden können und mit welchen Strategien sich das Sprachbewusstsein durch und für die Orthografie vertiefen lässt. Ein solcher explorativer Zugang erweitert das Wissen über Rechtschreibung und fördert die korrekte Verwendung der Schriftsprache.
Orthographie
(2024)
Ausgehend von den Ergebnissen des letzten IQB-Bildungstrends (2021) zu den orthographischen Kompetenzen von Grundschüler:innen fragt der Beitrag nach Stellenwert und Funktion der Orthographie vor dem Hintergrund der Anforderungen, die an die sprachliche Bildung von Schüler:innen gestellt sind. Orthographie und orthographische Kompetenzen werden funktional im Bereich des Schreibens und einer zu entwickelnden Schreibkompetenz verortet. Wichtig ist dabei der Blick auf die Schreibflüssigkeit. Sie ist grundlegend für die anforderungsreichen Prozesse des Textschreibens. Ausgehend von Befunden neuerer Studien betrachten wir das Verhältnis von Orthographie und Schreiben und daraus resultierende Anforderungen an den schulischen (Recht-)Schreiberwerb.
Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Rechtschreibung von Maturantinnen und Maturanten in einem österreichischen Deutschmaturatext-Korpus. Es werden Ergebnisse aus einer quantitativen und qualitativen Untersuchung dieses Lernerkorpus präsentiert. Diese haben gezeigt, dass die Rechtschreibleistungen in den untersuchten österreichischen Maturaarbeiten besser sind als in der (medialen) Öffentlichkeit angenommen, dabei jedoch bestimmte Fehlerschwerpunkte hervorstechen. Signifikante Unterschiede in Hinblick auf Leistungen bei Orthographie und Zeichensetzung bestehen zudem zwischen stift- und computergeschriebenen Arbeiten.
GraphVar ist ein Korpus aus über 1.600 Abiturarbeiten, die zwischen 1917 und 2018 an einem niedersächsischen Gymnasium geschrieben wurden. Das Hauptinteresse beim Aufbau bestand in der Beschreibung graphematischer Variation und ihrer Entwicklung über die Zeit. Leitend war die Frage, was Schreiberinnen und Schreiber eigentlich tatsächlich machen bzw. gemacht haben – und zwar unbeeinflusst von technischen Hilfsmitteln oder Schluss- und Endredaktion, aber unter vergleichbaren Bedingungen. Das Korpus bietet somit ein Fenster auf den unverfälschten Schreibgebrauch von Abiturientinnen und Abiturienten im Laufe der Zeit. Zum jetzigen Zeitpunkt sind 1.618 Arbeiten transkribiert, linguistisch annotiert und über eine ANNIS-Instanz erreichbar (graphvar.unibonn.de, Stand: 8.8.2023). Im Sommer 2022 konnten weitere 1.600 Arbeiten zwischen 1900 und 2021 an einem Gymnasium in Nordrhein-Westfalen digitalisiert werden. Neben schriftlinguistischen Fragestellungen ist das Korpus prinzipiell auch für syntaktische, morphologische und lexikalische Fragestellungen geeignet; auch didaktische Untersuchungen sind möglich, genau wie kulturwissenschaftliche.
Neographeme wie Genderstern und Doppelpunkt werden zunehmend verwendet, um Personen unabhängig von ihrem Geschlecht einzubeziehen. Der Beitrag beleuchtet diese Sonderzeichen aus semantischer, typographischer und grammatischer Sicht, vergleicht sie mit anderen Typogrammen und diskutiert ihren Morphemstatus. Auch ihre metapragmatische Leistung der sprecherseitigen Verortung kommt in den Blick. In Bezug auf die Rezeption werden aus kognitionslinguistischer Perspektive die Lesbarkeit und die Funktionstüchtigkeit des Sterns betrachtet. Lesenden, die mit der Form vertraut sind, gelingt der Wortzugriff mühelos, und der Genderstern elizitiert inklusive mentale Repräsentationen. Diese Analysen und Befunde sprechen für die grundsätzliche Möglichkeit, Neographeme in die Sprache zu integrieren.
Seit 1996 ist das Amtliche Regelwerk zur deutschen Rechtschreibung (einschließlich Amtlichem Wörterverzeichnis) gültig. Es regelt die Orthografie für Behörden und Schulen in Deutschland sowie in den sechs weiteren Mitgliedsländern des Rats für deutsche Rechtschreibung. Für die Wörterbuchverlage bzw. alle Wörterbuchprojekte gilt es, dieses hoch abstrakte Regelwerk einerseits auf alle Einträge in den A–Z-Teilen der Wörterbücher anzuwenden und andererseits ggf. das Regelwerk selbst zu „übersetzen“ und es damit einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Der Beitrag dokumentiert eine Auswahl der wichtigsten Leitlinien, die die Grundlage für die Neukonzeption und -bearbeitung des Kapitels zur Zeichensetzung im Amtlichen Regelwerk bilden. Das wesentliche Ziel der mit der Bearbeitung des Kapitels Zeichensetzung befassten internationalen Arbeitsgruppe im Rat für deutsche Rechtschreibung (RfdR) in seiner aktuellen Amtsperiode (2018–2023) bestand darin, eine für die Nutzerinnen und Nutzer deutlichere und einfachere Darstellung dieses Teils des amtlichen Regelwerks (ARW) vorzulegen ebenso wie eine systematisch an einer semasiologischen Perspektive orientierte Erfassung der Funktion und der Verwendung der Interpunktionszeichen auf der Grundlage wissenschaftlicher Weiterentwicklungen.
Die empirische Untersuchung sprachlicher Variation setzt eine adäquate Datenbasis voraus, um möglichst zutreffende Schlussfolgerungen ziehen zu können. Citizen Science ist als empirischer Erhebungsansatz zunehmend in den Fokus der Sprachwissenschaft gerückt, da damit eine größere und potenziell sprachlich/sozial besser stratifizierte Datenbasis erhoben werden kann. Der vorliegende Aufsatz stellt ein Exponat vor, das 2022 auf dem Museumsschiff „MS Wissenschaft“ durch Deutschland und Österreich tourte und einer jungen Zielgruppe sprachliche Variation und sprachwissenschaftliche Forschungsmethoden näherbringen sollte. Außerdem enthielt es Citizen-Science-basierte Erhebungskomponenten, mit denen unter anderem Daten zu Schreibvarianten von Anglizismen gesammelt wurden. Hier werden erste Datenauswertungen vorgestellt und mit existierenden Forschungsdaten basierend auf Korpusanalysen verglichen.
Exploration und statistisch valide Analysen annotierter Textkorpora helfen bei der induktiven Aufdeckung systematischer Schreibgebrauchsmuster. Umgekehrt lassen sich – deduktiv – Vorgaben der kodifizierten Norm (amtliches Regelwerk) quantitativ überprüfen. Wir präsentieren eine Methodik für die empirisch informierte Beschreibung orthografisch motivierter Phänomene, gehen auf prototypische Fälle ein und werfen ein Schlaglicht auf Fallstricke der Korpusnutzung für die Orthografieforschung. Abschließend skizzieren wir Funktionen und Wirkungsweisen aggregierender Visualisierungen für die Forschungskommunikation am Beispiel des amtlichen Wörterverzeichnisses.
Die normgerechte Kommasetzung ist im Deutschen deklarativ und sehr elegant von Beatrice Primus (1993, 2007) erfasst worden. Sie bindet Kommas primär an syntaktische Konzepte wie ‚Satzgrenze‘ und ‚Subordination‘. Nun gibt es allerdings ein Komma, das sich nicht ins System fügen will, das aber immer häufiger wird: das Vorfeldkomma wie in Gegen so eine starke Übermacht, konnten die deutschen Truppen nichts mehr ausrichten. Dieser Beleg stammt aus einer rezenten Abiturarbeit. Hier wird – entgegen den geltenden Rechtschreibregeln – das Vorfeld der Sätze mit einem Komma abgetrennt; es handelt sich um systematische Abweichungen von der Norm. Wir können die Faktoren, die ihre Verteilung steuern, empirisch gut erfassen. Weit weniger klar ist, ob diese Beobachtungen theoretische Konsequenzen haben sollten, und wenn ja, welche. Das soll in diesem Beitrag diskutiert werden, neben einigen anderen Problemfällen, die die Empirie der Theorie beschert.
Die Anforderungen an gegenwartssprachliche Wörterbücher beinhalten, bei der Aufbereitung der lexikalischen Informationen in Stichwortartikeln die lemmabezogenen Korrektschreibungen adäquat zu berücksichtigen. Die dazugehörigen Arbeitsgänge in der Redaktion des Digitalen Wörterbuchs der deutschen Sprache (DWDS) reichen von der Ansetzung der Nennformen in allen ggf. zulässigen orthographischen Varianten über die Anlage von Verweisen auf die einschlägige Bezugsnorm bis zur Dokumentation ausgewählter Korpusbelege mit gebrauchsfrequenten Abweichungs- und Falschschreibungen. Als besondere Herausforderungen für die lexikographische Praxis erweisen sich regelmäßig Lücken und Interpretationsspielräume in der amtlichen Regelung sowie die bei Belegrecherchen in den DWDS-Textquellen zutage tretenden Diskrepanzen zwischen orthographischer Norm und Schreibusus.
Das Ziel des Beitrages ist es, die Orthografiereform 1996–2006 in den Entwicklungsprozess der deutschen Rechtschreibung seit der Herausbildung der Einheitsorthografie einzuordnen, ihre Stellung in diesem Prozess zu kennzeichnen und ihre Ergebnisse zu benennen. Ausgehend von einer Charakterisierung der besonderen Merkmale der Orthografie als Norm der Schreibung sowie des Begriffes Orthografiereform, werden zunächst die Endphase der Herausbildung der deutschen Einheitsorthografie und ihr Abschluss durch die Orthografiereform von 1901 beschrieben. Dem folgt die Darstellung der Besonderheiten der deutschen Orthografieentwicklung im 20. Jahrhundert bis zum Jahr 1996. Ein wichtiger Bestandteil des Beitrages ist dann die Herausarbeitung der Grundlagen und Bestimmungsfaktoren einer Orthografiereform unter heutigen Bedingungen und die Anwendung dieser Grundsätze auf den Prozess der Entstehung und Umsetzung der Orthografiereform 1996–2006. Abschließend werden die Ergebnisse dieses Prozesses in vier Punkten zusammengefasst die auch gleichzeitig die Bedeutung dieser Sprachlenkungsmaßnahme in der deutschen Orthografiegeschichte kennzeichnen.
Das Amtliche Wörterverzeichnis ist ein wesentlicher Teil des für Schulen und Behörden verbindlichen Amtlichen Regelwerks, dem wissenschaftlichen Referenzwerk für die deutsche Orthografie. Dem Wörterverzeichnis kommt eine entscheidende Funktion zu: Es exemplifiziert anhand einzelner Lemmata die Anwendung der Regeln und kodifiziert darüber hinaus Einzelfälle, die aus dem Regelteil nicht eindeutig ableitbar sind. Im vorliegenden Beitrag wird die auf der Basis empirischer Schreibbeobachtung erarbeitete Neukonzeption vorgestellt, die mit der Konzentration auf prototypische Fallbeispiele repräsentative orthografische Zweifelsfälle im gegenwärtigen Wortschatz des Deutschen aufgreift, sie mit Bezug auf die geltende Norm und den Schreibgebrauch klärt, in der neuen digitalen Fassung auch visualisierend veranschaulicht und auf diese Weise aktuellem Nutzungsverhalten Rechnung trägt.
Für die spezifischen Bedürfnisse der Schreibbeobachtung wurde das Orthografische Kernkorpus (OKK) als virtuelles Korpus in DeReKo entwickelt. Mit derzeit rund 14 Mrd. Token deckt es den Schriftsprachgebrauch in den deutschsprachigen Ländern im Zeitraum von 1995 bis in die Gegenwart ab. Der Zugriff über die Korpusanalyseplattform KorAP erlaubt nicht nur die Nutzung verschiedener Annotationen, sondern über die API-Schnittstellen auch die Einbindung in diverse Auswertungsumgebungen wie RStudio über den RKorAPClient und macht es so für zahlreiche Analyse- und Visualisierungsmöglichkeiten zugänglich.
grammis ist ein wissenschaftlich basiertes Online-Informationssystem zur deutschen Grammatik und Orthografie, das Erklärungen und Hintergrundwissen für Sprachinteressierte und Deutschlernende weltweit bietet. Neben genuin grammatischen Themen enthält es auch für das Rechtschreiblernen gewinnbringende Inhalte. Im vorliegenden Beitrag werden seine orthografischen Komponenten veranschaulicht und aktuelle Neuerungen im Zusammenhang mit seiner Integration in eine im Entstehen befindliche digitale Vernetzungsinfrastruktur für die Bildung erläutert.
In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung spielen derzeit Entwicklungen in den theoretischen und empirischen Erkenntnissen zur Orthographie(entwicklung), zum Schrift- und Orthographieerwerb und zur Orthographiedidaktik sowie aktuelle Entwicklungen im Schreibgebrauch eine zentrale Rolle. Globalisierung und Internationalisierung befördern in der gesprochenen und der geschriebenen Sprache die Aufnahme zahlreicher neuer Fremdwörter, vor allem Entlehnungen aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum, in den deutschen Fach- und Allgemeinwortschatz und damit Entwicklungen im Schreibgebrauch. Auch neue digitale Medien begünstigen veränderte, nutzungsorientierte Vermittlungsstrategien orthographischer Inhalte. Und nicht zuletzt stellt die intensiv geführte Debatte über gendersensible Schreibung unter Verwendung von Sonderzeichen (wie Asterisk oder Doppelpunkt im Wortinneren) die Schreibgemeinschaft vor Herausforderungen.
Das Verhältnis von Norm und Schreibgebrauch bestimmt die Orthografieforschung und den orthografischen Diskurs nicht erst seit der Rechtschreibreform 1996. Wurde der Normbegriff lange Zeit als relativ statische Größe verortet, so erhielt er durch im 21. Jahrhundert verstärkt zu beobachtende Schreibwandelprozesse signifikante Impulse für Modifikationen, die eine offenere Entwicklung einleiteten. Besonders deutlich ist dies an Fremdwörtern und insbesondere an Fremdwort-Neologismen abzulesen. So belegt die empirische Beobachtung von Anglizismen, wie soziokulturelle Entwicklungen Sprach und Schreibveränderungen bewirken. Mit Bezug auf das Amtliche Regelwerk wird gezeigt, wie ein neu herausgebildeter Usus zur Modifizierung einzelner Regeln und Schreibungen führen kann und damit auch zu einem flexibleren, dynamischeren Normbegriff.
Das Rechtschreiben ist digital automatisierbar. Ist der Orthographieerwerb dann noch notwendig für den Aufbau einer bildungssprachlichen literalen Kompetenz? Der Beitrag fragt nach den Zusammenhängen zwischen der Orthographie und den sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten, die für das Schreiben und Lesen von Texten gebraucht werden. Argumente und Forschungsergebnisse zu drei konkurrierenden Hypothesen zu diesem Zusammenhang werden vorgestellt und diskutiert: Entlastungsthese, Bewusstheitsthese, Literalisierungsthese. Auf der Grundlage der Literalisierungsthese wertet der Beitrag den Orthographieerwerb als nicht substituierbare Komponente einer Sprachkompetenz, die den Umgang mit Texten ermöglicht.
Der Beitrag behandelt Schreibvarianten der Gegenwartssprache. Es werden auf der Grundlage von vier Fallgruppen (1. Binnenmajuskel, 2. Kompositaschreibung mit Leerzeichen, 3. Kompositaschreibung mit Bindestrich, 4. genderfokussierende Schreibweisen) zwei Typen von Normvarianz unterschieden – ein politischer und ein unpolitischer. Dabei wird der Frage nachgegangen, ob unpolitische Ad-hoc-Bildungen auf dem Weg der Konventionalisierung sich von als politisch wahrgenommenen Normvarianten unterscheiden. Zur Beschreibung des Phänomens wird der Begriff der elastischen Norm eingeführt, um divergierende Schreibkonventionen im Spannungsfeld von Faktizitätsherstellung und kodifizierter Setzung zu modellieren. Zur soziolinguistischen Unterscheidung von Schreib- und Leseperspektiven werden die Schreibvarianten als drei unterschiedliche Gesten kategorisiert – als unmarkierte Nullgeste, als markierte Nullgeste und als indexikalisierte Signalgeste.
Die geltende amtliche Regelung der deutschen Rechtschreibung geht auf einen Kompromiss aus dem Jahre 2006 zurück, der im Bereich der Kommasetzung bei Infinitivgruppen einen neuerlichen Paradigmenwechsel bedeutete: Während für die Vorreformregelung das Konzept des sog. erweiterten Infinitivs konstituierend war und die Reformregelung sich wesentlich auf schreibstilistische Kriterien gründete, bilden die Basis der aktuellen Regelung grammatisch beschreibbare Fallgruppen. Dieser Umstand schon allein, mehr aber der zentrale Auftrag einer Beobachtung des Schreibgebrauchs durch den Rat für deutsche Retschreibung waren der Rahmen für die vorliegende Pilotstudie, in der das freie Schreiben Grundlage einer differenzierten Analyse des Kommagebrauchs bei Infinitivgruppen ist.
Der vorliegende Beitrag skizziert in einem ersten Abschnitt Gegenstandsbereich und kodifizierte Regelung, bevor er im Weiteren das Studiendesign und die Ergebnisse vorstellt. Die Ergebnisse werden nach Fallgruppen sowie im Hinblick auf übergreifende Tendenzen und Beobachtungen besprochen. Sie sind Ausgangspunkt der im Ausblick formulierten Thesen.
Das 1901er-Regelwerk wird in einem direkten Vergleich mit dem geltenden amtlichen Regelwerk gemeinhin als defizitär eingestuft. Diese Einschätzung basiert auf der Annahme eines Primats des Regelteils. Der vorliegende Beitrag setzt hieran an und bestimmt auf der Basis der Festlegungen zur Getrennt- und Zusammenschreibung Funktion und Verhältnis von Regelteil und Wörterverzeichnis des ersten gesamtdeutschen Regelwerks in seinem historischen Entstehungskontext. Dabei zeigt sich, dass das Regelwerk von 1901 einen anderen Weg in der Kodifikation beschreitet; während im Regelteil Regularitäten aufgezeigt und Kriterien zur Schreibungsfindung an die Hand gegeben werden, erfolgt die Kodifikation rechtschreibschwieriger Fälle über das Wörterverzeichnis.
Eine wichtige und häufig unterschätzte Aufgabe beim Erwerb einer zweiten Sprache ist es, sich die rhythmisch-prosodischen Muster der Zielsprache anzueignen (Kaltenbacher 1998; Gut/Trouvin/Barry 2007; Rautenberg 2012). Wie erfolgreich Lerner/innen dabei sind, ist auch davon abhängig, ob sie analoge Muster in ihrer Ausgangssprache vorfinden und damit bereits für eine zielsprachennahe Rhythmus- und Akzentwahrnehmung sensibilisiert sind. Liegen solche analogen Muster nicht vor, ist es Aufgabe von Lehrprogrammen, die Rhythmus- und Akzentstrukturen als relevante Lernhilfen sichtbar zu machen.
Soweit ich sehe, liegen hier bislang kaum zielführende Konzepte vor (so auch Richter 2008). Findet der Zweitspracherwerb in der Grundschule statt, ist sogar das Gegenteil der Fall. Denn im Schriftspracherwerb, der den weitaus intensivsten Teil des Deutschunterrichts der Grundschule ausmacht, werden die Kinder mit noch genauer zu beschreibenden Schreib- und Lese-Lern-Verfahren auf die phonologische Segmentstruktur festgelegt; Rhythmus und Akzent werden nivelliert bzw., wie zu zeigen sein wird, für andere Arbeitsaufgaben funktionalisiert, so dass eine zielsprachennahe Orientierung an rhythmisch-prosodischen Strukturen tendenziell blockiert wird.
Das hat Auswirkungen nicht nur auf den Erwerb der gesprochenen Sprache, sondern auch auf den Schriftspracherwerb selbst. Denn die Schrift buchstabiert nicht einfach Lautketten aus, sondern ist selbst rhythmus-sensitiv. Verschriftet werden neben segmentalen Lauteigenschaften, Silben- und Akzentmuster, morphologische und syntaktische Strukturen. Eine einseitige Fixierung der Kinder auf die lautlich-segmentale Seite der Schrift führt nicht nur zu einer vereinseitigten Schrifttheorie, sondern zugleich dazu, dass weitere strukturelle Eigenschaften, darunter Silben- und Akzentmuster, weder in den Aufmerksamkeitsfokus der Kinder gelangen noch für das Schreiben und Lesen genutzt werden können. Wie u.a. Ashby (2006) gezeigt hat, ist aber gerade die Realisierung der prosodisch-rhythmischen Struktur eine wesentliche Komponente für die Leseflüssigkeit.
Im vorliegenden Beitrag geht es nach einem Abriss über herkömmliche, im Erstunterricht zugrundegelegte Schriftspracherwerbsmodelle und ihre Folgen für die Sprachwahrnehmung um die Rekonstruktion der Wortschreibung des Deutschen; gezeigt wird, wie phonographische, silbische, prosodische und morphologische Eigenschaften im Kernwortschatz miteinander interagieren, um eine reguläre Wortschreibung zu erzeugen.
Eine Gegenüberstellung des Deutschen und des Türkischen wird zeigen, dass sowohl in Bezug auf die Akzent- als auch in Bezug auf die Rhythmusstrukturen relevante Unterschiede bestehen, die bei Kindern mit Türkisch als erster Sprache zu Problemen beim Zugriff auf die für die Verschriftung deutscher Wörter wichtigen prosodischen Strukturen führen können, die durch fehlgehende Lehr-Lernprogramme weiter verschärft werden.
Zuletzt werden neuere Modelle des Schriftspracherwerbs vorgestellt, die es auf der Grundlage einer ausgebauten Schrifttheorie erlauben, den Lerner/innen von Beginn an einen Zugriff auf diejenigen Einheiten zu ermöglichen, die Fixpunkte für das geschriebene und für das gesprochene Deutsch darstellen.
Anhand von Texten aus den Jahren 1972 und 2002 wurden die Schreibkompetenzen von 530 Viertklässlern aus dem östlichen Ruhrgebiet untersucht und miteinander verglichen. In einer Nachfolgestudie kamen im Dezember 2012 noch 437 Texte hinzu, die zurzeit ausgewertet werden. Als außersprachliche Variablen wurden u.a. soziale Schicht, Ein-/Mehrsprachigkeit, Geschlecht und die Sekundarschulempfehlung erfasst. Die Texte wurden in Bezug auf Schriftbild, Textlänge, Wortschatz, Textgestaltung, Rechtschreibung, Zeichensetzung und Grammatik untersucht. Neben der grundsätzlichen Frage nach den historisch bedingten Unterschieden im Schreibverhalten ermöglicht das Untersuchungsdesign eine differenzierte Analyse des Schriftsprachwandels in der Grundschule über einen Zeitraum von 40 Jahren.
Die Ergebnisse zeigen, dass sich generell keine Entwicklung zu defizitären Texten („Sprachverfall“) beobachten lässt. Stattdessen ergibt sich ein differenziertes Bild schriftsprachlichen Wandels mit erfreulichen und weniger erfreulichen Tendenzen. Während beispielsweise für die Bereiche Wortschatz und Textgestaltung beachtliche Verbesserungen erzielt werden konnten, finden sich in den neueren Texten beinahe doppelt so viele Rechtschreibfehler. Es zeigt sich auch, dass 2002 und 2012 die soziale Schicht und die Zuordnung der Schülerinnen und Schüler nach Sekundarschulen (Übergangsempfehlung) in einem wesentlich stärkeren Bezug zu den schriftsprachlichen Leistungen stehen als 1972. Positive Entwicklungen lassen sich vor allem bei Kindern aus der oberen Mittelschicht beobachten, während Kinder aus der Unterschicht mit einer Hauptschulempfehlung gegenüber 1972 deutlich schlechtere Leistungen zeigen. Gegenwärtig wird untersucht, ob sich der Trend bis heute fortgesetzt hat. Zur Rechtschreibung liegen bereits erste Ergebnisse vor.
In diesem Aufsatz geht es um einen Vergleich der Prinzipien der Wortschreibung im Englischen und Deutschen. Konkret werden Schreibdiphthonge und Doppelkonsonanten behandelt. Beide Phänomene eignen sich gut, um Prinzipien zu verstehen, nach denen die Wortschreibung funktioniert: So lassen sich Schreibdiphthonge nicht immer so aussprechen, wie es die einzelnen Vokalbuchstaben suggerieren, das heißt, sie sind nicht immer über die entsprechenden Graphem-Phonem-Korrespondenzen der einzelnen Segmente zu interpretieren, etwa <ei> für /ai/ im Deutschen und <ea> für /i/ im Englischen. Auf einer ,höheren‘ Ebene (der silbischen) zeigen sich aber systematische Züge, die in beiden Sprachen vergleichbar sind. Auch die Schreibungen der Doppelkonsonanten sind nicht einfach auf der Segmentebene zu verstehen, sondern sie ergeben sich aus einem Zusammenspiel der silbischen, der suprasegmentalen und der morphologischen Ebene. In beiden Sprachen wirken Prinzipien auf allen diesen Ebenen, aber zum Teil auf unterschiedliche Art und Weise.
Vorgestellt werden Ziele und erste Ergebnisse des Projektes „Univerbierung“ am Institut für Deutsche Sprache. Das Projekt untersucht in verschiedenen Korpora, ob sich Prozesse der Univerbierung quantitativ belegen lassen. In Form von Univerbierungsprofilen sollen Univerbierungsverläufe dargestellt werden, d.h. die quantitativen Veränderungen, die zeitlich im Verhältnis der Getrennt- und Zusammenschreibungen eintreten (Kap. 1 und 2). Zugleich wird dabei methodologisch reflektiert, ob und inwieweit diese Korpora für solche Untersuchungen geeignet sind (Kap. 3). Exemplarisch werden einige Univerbierungsprofile vorgestellt (Kap. 4). Es handelt sich zum einen um Beispiele, bei denen sich die Normlage im Zuge der Rechtschreibreform nicht geändert hat, und zum anderen um solche, bei denen sie im Untersuchungszeitraum (1985-2008) verändert wurde. Die Untersuchungen zielen in der Perspektive darauf ab, Faktoren herauszuarbeiten, die Univerbierungsprozesse fördern bzw. hemmen, und aufzuklären, was Schreiber(-innen) als ein Wort gilt. Dies kann dazu beitragen, empirisch gestützt Komponenten des Wortkonzepts zu ermitteln (Kap. 5).
Concurrent standardization as a necessity: The genesis of the new official orthographic guidelines
(2009)
The new official orthographic guidelines were brought into force by the official state authorities on August 1st, 1998 and its principle goals were a standardized representation of the guidelines and a «gentle simplification in respect of content». This regulation was not supported by the public and in fact it was the starting point for a struggle for conceptual solutions and a quest for the achievement of' a consensus between different possible norms. Since orthography is an officially codified standard taking up a prominent position among linguistic standards, it is of particular socio-political importance. It was the foremost task of the Council for German Orthography (Rat für deutsche Rechtschreibung), instituted in December 2004, to elaborate a compromise in order to bring the «Orthographical war» (Die Zeit) to an end, which was led enthusiastically for more than a decade. - The concern of this article is to classify historically the agreement reached in 2006. Against this background, it can be stated that official guidelines will only be accepted, if they are based upon the usage in writing and if they take into account the interests of the reader. Both principles are characterizing the proposal made by the Council for German Orthography. An outlook on the Council's activities concerning orthographic standardization expected in the future will conclude this article.
Orthographie (Kapitel B.IV.)
(2003)
Bei den Beratungen des Internationalen Arbeitskreises für Orthographie über die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung lagen in Bezug auf die GZS zwei Reformvorschläge auf dem Tisch. Neben dem Vorschlag der IDS-Kommission für Rechtschreibfragen, der dann als Grundlage für die später beschlossene Reformregelung diente (vgl. dazu 3.4 Schaeder in diesem Band), lag der Vorschlag der DDR-Forschungsgruppe Orthographie, der das gemeinsame Ziel einer Vereinfachung der bisherigen Regelung mit einem zum Teil anderen Ansatz zu erreichen versuchte. Da dieser Reformvorschlag, der von mir im Rahmen der Forschungsgruppe Orthographie ausgearbeitet worden ist (vgl. Herberg 1981, 1986), in seiner endgültigen Fassung, die den Teilnehmern der Züricher Tagung vom September 1987 vorlag, noch nicht veröffentlicht worden ist, nehme ich gern die Gelegenheit wahr, im Rahmen dieser Publikation auf ihn zurückzukommen.
Nach einem kurzen Rückblick auf die Behandlung der GZS-Problematik im Internationalen Arbeitskreis (1.) gehe ich auf die Funktion der GZS in der deutschen Gegenwartssprache ein (2.), leite daraus die Grundsätze für den Neuregelungsvorschlag ab (3.), gebe den Vorschlag im Wortlaut vollständig wieder (4.) und gehe abschließend auf die wesentlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieses Vorschlages in Bezug auf die beschlossene Neuregelung ein (5.).
Wörterverzeichnis
(1995)
Deutsche Rechtschreibung: Regeln und Wörterverzeichnis. Vorlage für die amtliche Regelung. Nachwort
(1995)
Laut-Buchstaben-Zuordnungen
(1992)
Zeichensetzung
(1992)
Groß- und Kleinschreibung
(1992)
Wörterverzeichnis
(1992)