Orthographie
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Das Verhältnis von Norm und Schreibgebrauch bestimmt die Orthografieforschung und den orthografischen Diskurs nicht erst seit der Rechtschreibreform 1996. Wurde der Normbegriff lange Zeit als relativ statische Größe verortet, so erhielt er durch im 21. Jahrhundert verstärkt zu beobachtende Schreibwandelprozesse signifikante Impulse für Modifikationen, die eine offenere Entwicklung einleiteten. Besonders deutlich ist dies an Fremdwörtern und insbesondere an Fremdwort-Neologismen abzulesen. So belegt die empirische Beobachtung von Anglizismen, wie soziokulturelle Entwicklungen Sprach und Schreibveränderungen bewirken. Mit Bezug auf das Amtliche Regelwerk wird gezeigt, wie ein neu herausgebildeter Usus zur Modifizierung einzelner Regeln und Schreibungen führen kann und damit auch zu einem flexibleren, dynamischeren Normbegriff.
Das 1901er-Regelwerk wird in einem direkten Vergleich mit dem geltenden amtlichen Regelwerk gemeinhin als defizitär eingestuft. Diese Einschätzung basiert auf der Annahme eines Primats des Regelteils. Der vorliegende Beitrag setzt hieran an und bestimmt auf der Basis der Festlegungen zur Getrennt- und Zusammenschreibung Funktion und Verhältnis von Regelteil und Wörterverzeichnis des ersten gesamtdeutschen Regelwerks in seinem historischen Entstehungskontext. Dabei zeigt sich, dass das Regelwerk von 1901 einen anderen Weg in der Kodifikation beschreitet; während im Regelteil Regularitäten aufgezeigt und Kriterien zur Schreibungsfindung an die Hand gegeben werden, erfolgt die Kodifikation rechtschreibschwieriger Fälle über das Wörterverzeichnis.
Exploration und statistisch valide Analysen annotierter Textkorpora helfen bei der induktiven Aufdeckung systematischer Schreibgebrauchsmuster. Umgekehrt lassen sich – deduktiv – Vorgaben der kodifizierten Norm (amtliches Regelwerk) quantitativ überprüfen. Wir präsentieren eine Methodik für die empirisch informierte Beschreibung orthografisch motivierter Phänomene, gehen auf prototypische Fälle ein und werfen ein Schlaglicht auf Fallstricke der Korpusnutzung für die Orthografieforschung. Abschließend skizzieren wir Funktionen und Wirkungsweisen aggregierender Visualisierungen für die Forschungskommunikation am Beispiel des amtlichen Wörterverzeichnisses.