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Der Beitrag thematisiert einen in der Forschung bislang kaum beachteten Parameter für grammatische Variation im Standard: die Arealität. Im ersten Teil folgen Begriffsklärungen, zunächst zum Terminus areal (mit einer Stellungnahme zur Debatte um das Deutsche als plurizentrische bzw. pluriareale Sprache), dann zu der Frage, wie Standard als Gebrauchsstandard definiert werden kann und in welcher Relation dazu der Terminus Kodex steht. Danach wird mit Blick auf das Projekt „Variantengrammatik des Deutschen“ aufgezeigt, wie areale grammatische Variation im Deutschen empirisch zu beschreiben ist. Der letzte Teil präsentiert Fallbeispiele, anhand derer sich das Erfassen von Varianten - von der Recherche in einem areal ausgewogenen Korpus bis zu ihrer Kodifikation in den Gebrauchsstandards des Deutschen - nachzeichnen lässt.
In diesem Beitrag wird die phonologische Variation angesprochen. Ein großer Teil des Artikels widmet sich der Allophonie der Frikative in den hessischen Dialekten. Es wird gezeigt, dass die standarddeutsche Allophonie zwischen den beiden dorsalen Frikativen - der palatalen Variante [c] und der velaren Variante [x] - durch eine Allophonie der alveo-palatalen Varianten ersetzt wird. Hier alterniert die gerundete Variante [∫] mit der ungerundeten Variante [ɕ]. Die palatale Variante [ç] ist weitgehend verschwunden, und der dorsale Frikativ [x] hat dieselbe Distribution wie in der Standardsprache.
Einleitung
(2017)
Traditionell wird das Genus der Nomina im Lexikon verortet. Die beiden anderen Erscheinungen des Genus, nämlich syntaktische Integration bei der Kongruenz sowie pragmatische Identifikation von Partizipanten im Diskurs, werden als Folgeerscheinungen der lexikalischen Verankerung des Genus betrachtet.
Wir wollen der lexikalistischen Theorie eine Alternative gegenüberstellen, bei der das Genus in der Syntax und Pragmatik verwurzelt ist. Erst in der Produktion einer Nominalphrase greift der Sprecher auf das Genusmerkmal (GM) für die morphologische Gestaltung der Phrase zurück. Dabei ist die Genuskodierung von Einzellexemen im Lexikon nur eine von vielen Quellen für die Gewinnung der Merkmale.
Vorgestellt werden unterschiedliche Auslösertypen für das Genus. Unter anderem werden Merkmale diskutiert, die durch den Referenten, durch morphologische und syntaktische Prozesse oder auch durch ein Begriffsfeld im Lexikon bedingt sind. Genusvariation ergibt sich demnach aus der Konkurrenz zwischen verschiedenen Auslösertypen, die auf die gleiche NP (und deren nominalen Kopf) zielen.
Grammatik und Variation im Spannungsfeld von Sprachwissenschaft und öffentlicher Sprachreflexion
(2017)
Der Beitrag bezieht systematische und funktionale Faktoren zur Erklärung grammatischer Variation aufeinander, indem er ausgehend von der Annahme eines rekursiven Systems mit konfligierenden Teilsystemen ‚System‘ als Möglichkeitsraum für (funktional ausdifferenzierte) Variation versteht. Inwiefern die vom System bereitgestellten Möglichkeiten grammatischer Variation im Sprachgebrauch genutzt werden, diskutiert der Beitrag anhand der lexikographischen Praxis der Erfassung von grammatischer Variation im Dudenband 9 „Richtiges und gutes Deutsch“. Mit diesem Material werden nicht nur zentrale Bereiche grammatischer Variation rekonstruiert, sondern auch Zentralbereiche grammatischer Variation mit diasystematischen Variationsdimensionen korreliert.
Für die mediale Dimension grammatischer Variation spielt die Unterscheidung von Gespräch und Text eine wichtige Rolle. Implizit wird dabei die Kategorie Text mit schriftlich realisierter Sprache und die Kategorie Gespräch mit mündlich realisierter Sprache identifiziert. Diese Zuordnung wird in Anbetracht der mediatisierten, hypermedialen Präsentations- und Kommunikationsformen im Internet zunehmend fragwürdig. Der Beitrag zeichnet die Diskussion um die varietätenlinguistische Einordnung der internetbasierten Kommunikation nach und führt das Oppositionspaar „textorientiert“ vs. „interaktionsorientiert“ ein, das es ermöglicht, auf der schriftlichen (medial graphischen) Ebene zwischen zwei Konstellation zu unterscheiden, in denen nähesprachliche Sprachmerkmale gehäuft auftreten: (1) Das interaktionsorientierte Schreiben in der internetbasierten Kommunikation und (2) die fingierte Mündlichkeit in literarischen Texten, die dem textorientierten Schreiben zuzuordnen ist. Am Fallbeispiel der interaktiven Einheit HM wird illustriert, wie frei verfügbare Korpusressourcen genutzt werden können, um die Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Interferenzen zwischen der Verwendungen interaktiver Einheiten in Gespräch, Text und internetbasierter Kommunikation zu untersuchen.
In diesem Beitrag argumentiere ich, dass das grammatische Regelwerk „Lücken“ hat und dass „realistische“ Grammatikschreibung das in Theorie und Praxis berücksichtigen muss; insbesondere sind eventuelle Äußerungen in Lückensituationen außergrammatisch zu modellieren. Diese Konzeption wird anhand morphologischer und syntaktischer so genannter Zweifelsfälle intuitiv plausibilisiert und ihr Nutzen für die Grammatikschreibung in vergleichender Auseinandersetzung mit prominenten „lücken-losen“ Analysen von zwei Beispielen - ‚Right Node Raising‘- und gewissen Ersatzinfinitiv-Strukturen - nachgewiesen.
Eine am Gebrauch orientierte Sprachbeschreibung ist auch in der Grammatik mit sprachlicher Variation und mit Veränderungen des Gebrauchs konfrontiert. Anhand dreier Beispiele aus dem zentralen Bereich der deutschen Grammatik soll gezeigt werden, dass sich in der Variation, die man dort beobachtet, eine funktionale Nutzung des vorhandenen Inventars darstellt. Diese funktionale Nutzung ist dadurch gekennzeichnet, dass seltenere und daher synchron auffälligere Konstruktionen für spezifische Funktionen genutzt werden. Der Genitiv ist tatsächlich aus formalen Gründen seiner Morphologie auffällig. Er ist nicht vom Dativ unterschieden beim Femininum, doppelt markiert bei den starken Maskulina und Neutra und nur beschränkt bildbar im Plural. Diese Eigenheiten beschränken seine Nutzung als normaler Kasus. Gerade aber die auffällige Markierung mit dem Element {-(e)s} hat dazu geführt, dass der Genitiv nun zur Anzeige genereller Abhängigkeit genutzt wird, und zwar als Genitivattribut wie als unmarkierte Form bei einer Gruppe von Präpositionen (wie ‚dank‘, ‚trotz‘, ‚wegen‘, ‚entlang‘ usw.). Beim zweiten Fall, dem Verhältnis von starken und schwachen Verben, zeigt sich, dass der Übergang von der starken zur schwachen Flexion, die erkennbar den Normalfall im morphologischen System darstellt, gerade häufige und in ihrer Bedeutung grundlegende Verben (wie ‚geben‘, ‚nehmen‘ usw.) nicht betrifft, so dass die starke Flexion als Markierung für solch einen zentralen Status gelten kann. Der dritte Punkt hängt damit zusammen: das Ausgreifen der ‚würde‘-Form als Konjunktiv II (auch bei gut markierten starken Verben) ist so im größeren Zusammenhang der Nutzung von Klammerformen zu sehen.
Grammatische Variation ist der Sprache inhärent und auch aus dem Standarddeutschen nicht wegzudenken. Man beobachtet, dass ein und dieselbe grammatische, semantische oder pragmatische Funktion mit unterschiedlichen grammatischen Mitteln realisiert wird, und umgekehrt, dass eine grammatische Struktur unterschiedliche Funktionen ausüben kann. Die Variation kann mit grammatikinternen Faktoren, grammatikexternen Parametern wie Medium oder Textsorte und außersprachlichen Dimensionen wie Zeit oder Raum korrelieren. In diesem Band werden zunächst verschiedene Perspektiven auf Variation fokussiert wie die historische, die laienlinguistische, die lernerorientierte, die geographische oder die medienorientierte Sicht. Im Weiteren wird in exemplarischen Studien gezeigt, wie grammatische Variation mit Methoden der Korpus-, Computer-, Psycho- und Neurolinguistik empirisch erschlossen wird. Schließlich werden ausgewählte Variationsphänomene aus den Bereichen Phonologie, Morphologie und Syntax analysiert, und es wird demonstriert, wie sich die aktuelle Grammatikforschung zwischen der immer weiter gehenden Spezifizierung von Variationsgründen und der Annahme der freien Variation sowie zwischen Empirie und Theorie hin- und herbewegt.
Mögliche Erklärungshorizonte für grammatische Variation in Übersetzungen können durch kontrastive Unterschiede sowie Textsortenkonventionen für die involvierten Sprachen hergeleitet werden. Weiterhin ausschlaggebend sind die vom Übersetzer verwendeten Übersetzungsstrategien, wie Simplifizierung und Explizierung, die mit Methoden der Korpuslinguistik und der Translationsprozessforschung untersucht werden können. Letztere betreffend liefert das Eyetracking Hinweise auf Problemstellen im Ausgangstext; das Keylogging lässt Rückschlüsse auf die Problemlösestrategien im Zieltext zu. Durch die Triangulation der gewonnenen Produkt- und Prozessdaten kann einerseits der ganzheitliche Übersetzungsprozess und andererseits die Produktion der grammatischen Variation empirisch aufgearbeitet werden.
In diesem Beitrag werden zunächst zwei Perspektiven auf sprachliche Variabilität diskutiert: Im Fokus stehen zum einen die Variation der Form und zum anderen die Variation der Funktion. Im Anschluss daran werden im Bereich der formalen Variation zwei Fälle eingehender untersucht: die Acl-Konstruktion mit ihren Kovarianten und die Relativsatzeinleitung mittels das oder was. Dabei wird der zuvor modellhaft entworfene methodische Rahmen auf die differenzierte Praxis linguistischer Forschung angewendet und das heuristische Potenzial des Prinzips der „Variationsreduktion“ genauer illustriert.
Interindividuelle Unterschiede bei der Verarbeitung sprachlicher Strukturen haben bei experimentellen Untersuchungen zur Sprachverarbeitung mittels neurobasierter Verfahren lange Zeit keine oder bestenfalls eine untergeordnete Rolle gespielt. Während individuelle Verarbeitungsstrategien in Abhängigkeit von experimentellen Faktoren (z.B. Aufgabenstellung) relativ gut belegt sind (z.B. probandenspezifisches strategisches Verhalten bei der Verarbeitung von semantischen Relationen; Roehm et al. 2007), wurde der Einfluss von Variation in der Grammatik des Standarddeutschen in Korrelation zu Hirnprozessen bisher kaum berücksichtigt. In diesem Beitrag werde ich auf der Basis dreier EEG-Experimente aus unterschiedlichen Bereichen (Synästhesie, semantische Relationen, Auxiliarselektion bei intransitiven Verben) Beispiele für Verarbeitungskorrelate interindividueller Variation vorstellen und diskutieren.
Ende des 18. Jahrhunderts ist eine Form der deutschen Sprache ausgebildet und verbreitet, die für die verschiedenartigen Anforderungen einer bürgerlich geprägten öffentlichen Diskurswelt brauchbar ist. Sie lässt sich in einem historischen Konzept „Standardsprache“ deuten. In diesem Konzept werden verschiedene Ausgleichs- und Differenzierungsbemühungen – und -richtungen – des 17. Jahrhunderts aufgehoben, die entwickelten Möglichkeiten neu funktionalisiert. Von dieser Basis aus gesehen ist in der Gegenwart die kommunikative Praxis mit Anspruch auf öffentliche Geltung stark von Variation geprägt. Durch die dabei auftretenden Muster wird allmählich ein Modell kontextbezogener Variabilität etabliert, bei dem so etwas wie „Standard“ in einer Bandbreite von Konstellationen der Interaktion, sprachlichen Modellen und Ausdrucksweisen besteht. Um dieses normative Gefüge modellieren zu können, muss man, wie beispielhaft angedeutet wird, zunächst die Tatbestande und Bedingungen der Varianten genau untersuchen.
In der Syntaxtheorie gibt es verschiedene Ansätze, um die grammatische Variation zwischen Sprachen zu erfassen. Grundsätzlich lassen sich diese auch auf die grammatische Variation innerhalb einer Sprache anwenden, etwa bei der Beschreibung zweier Dialekte. Innersprachliche Variation weist aber Eigenschaften auf, die nahelegen, eine andere Modellierung vorzunehmen: Die Syntax der Sprache ist unterspezifiziert für die Strukturen, bezüglich derer Variation vorliegt. Sie erzeugt eine Menge von Konstruktionen, die allesamt zur passiven Kompetenz der Sprecher gehören. Im soziolinguistischen Regelsystem der Sprache können dann einige dieser Konstruktionen regionalen oder sozial konstituierten Sprechergruppen oder bestimmten Registern zugeordnet werden, und (nur) diese Zuordnung definiert Dialekte, Soziolekte oder Register. Die Syntax selbst sagt dazu nichts. Neben der Variation durch Auswahl aus einer Konstruktionsmenge liegt auch Variation vor, die aus unterschiedlicher Flexibilität im Umgang mit Konstruktionen resultiert, und - weil verarbeitungsbezogenen - nicht Gegenstand soziolinguistischer Etikettierungen sein kann.
Syntactic theory has tended to vacillate between implausible methodological extremes. Some linguists hold that our theories are accountable solely for the corpus of attested utterances; others assume our subject matter is unobservable intuitive feelings about sentences. Both extremes should be rejected. The subject matter of syntax is neither past utterance production nor the functioning of inaccessible mental machinery; it is normative - a system of tacitly grasped constraints defining correctness of structure. There are interesting parallels between syntactic and moral systems, modulo the key difference that linguistic systems are diverse whereas morality is universal. The appropriate epistemology for justifying formulations of normative systems is familiar in philosophy: it is known as the method of reflective equilibrium.
Der vorliegende Aufsatz beschäftigt sich mit einigen Aspekten der variationistischen Annotation von Korpusdaten. Anhand von mehreren Beispielen wird gezeigt, dass der Vergleich von Kategorien in einem Korpus oder der Vergleich von zwei Korpora nur unter bestimmten Bedingungen variationistisch interpretiert werden kann. Da die Definition von Variablen oft schwierig ist und die Zuordnung von Varianten zu Variablen je nach Forschungsfrage unterschiedlich sein kann, müssen Variablen und Varianten in einem Korpus (für alle transparent und nachvollziehbar) annotiert werden. Dabei wird für eine offene Korpusarchitektur argumentiert, in der in einem bestehenden Korpus jederzeit Variablen und Varianten hinzugefügt werden können.
In diesem Beitrag werden nach einer kurzen methodischen Vorstellung der Elektroenzephalographie und der Ereignis-korrelierten Potenziale einige Eckpunkte, die bei der Gestaltung eines linguistischen EEG-Experimentes Beachtung finden sollten, ausgeführt. Der Beitrag schliest mit Überlegungen, die bei der Untersuchung grammatischer Variation besonders berücksichtigt werden sollten.
Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Beobachtung, dass bestimmte Verwendungsweisen der deutschen Sprache zwar grammatisch und lexikalisch richtig sind, aber dennoch in einem bestimmten Kontext für einen Muttersprachler merkwürdig klingen und gewöhnlich nicht gebraucht werden. Man findet diese Formen der Variation zum Beispiel bei sehr fortgeschrittenen Lernern des Deutschen und auch in Übersetzungen, die sich der Originaltreue verpflichtet sehen. In dem Beitrag soll gezeigt werden, dass Abweichungen dieser Art auf eine Komponente unseres sprachlichen Wissens verweisen, die man als Prinzipien der Informationsorganisation bezeichnen kann. Es wird argumentiert, dass solche sprachspezifischen Prinzipien, die sich u.a. auf Informationswahl, Perspektivensetzung und Kohärenzmuster beziehen, aus Eigenschaften der einzelsprachlichen Grammatik abzuleiten sind. Gezeigt werden soll dies am Beispiel von empirischen Daten zum Ausdruck von Bewegungsereignissen und zum Textaufbau in unterschiedlichen Sprachen und in Lernersprachen.
Die historische Variation als eine der zentralen Variationsdimensionen der Sprache ist gekennzeichnet durch große Variantenvielzahl, Fluktuation der Häufigkeit und zeitliche Überlagerung unterschiedlich alter Muster, aber auch durch Distributionsverschiebungen von Varianten. Sie weist enge Bezüge zur synchronen Mikro- und Makrovariation auf. Die Muster historischer Variation stellen zudem wichtige Argumente für die grammatiktheoretische Analyse dar. Die Spezifik und Dynamik historischer Variation wird exemplarisch anhand der Entwicklung der Vergleichskonstruktionen in der Geschichte des Deutschen veranschaulicht, die durch den Komparativzyklus, d.h. wiederholte Distributionsverschiebungen der Vergleichspartikeln von Äquativ- zu Komparativvergleichen gekennzeichnet ist.