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Zu den Gemeinplätzen wissenschaftlichen wie populären Nachdenkens über den Menschen gehört, dass es die Sprache ist, die ihn gegenüber allen anderen Lebewesen auszeichnet. Die naheliegende Folgerung, dass Sprachwissenschaft deshalb immer auch eine anthropologische Wissenschaft ist, wird dennoch eher selten gezogen. Dies obwohl es praktisch nicht möglich ist, sprachtheoretische Überlegungen zum ‚Wesen‘ der Sprache oder zu zentralen Fragestellungen der Linguistik anzustellen, ohne zumindest implizit auch ein Bild des Menschen selbst zu entwerfen. Der folgende Beitrag geht von Humboldt über Benveniste bis zur neueren conversation analysis denjenigen sprachtheoretischen Traditionslinien nach, welche den sprachlichen Menschen als einen basal auf ein Gegenüber bezogenen Menschen entwerfen – eine Konstellation, die zudem die Figur des ‚Dritten‘ erzeugt – und welche Sprachlichkeit als prägendes Formativ menschlicher Sozialität verstehen. Sprache wird entsprechend nicht nur als Medium referenzieller ‚Aboutness‘, sondern ebenso performativer ‚Withness‘ betrachtet. Im Horizont der Überlegungen steht dann allerdings auch die Frage, in welcher Weise die an gesprochener Sprache ausgerichtete, interaktionsorientierte Neukonturierung der Sprachwissenschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen neuen Blick auf Schriftsprachlichkeit und ihre Leistungen in der Selbstformierung des Menschen ermöglicht.
Seit Anbeginn linguistischer Forschung ist der ontologische Status natürlicher Sprachen in Diskussion: Was ist das Wesen einer Sprache? Die meisten Sprachbegriffe krankten und kranken daran, dass sie verdinglichend und/oder vitalistisch sind, oder die Dynamik der Sprache oder den sozialen Charakter der Sprache ausklammem. Es gilt, einen Sprachbegriff zu entwickeln, der weder verdinglichend kollektivistisch noch auf solipsistische Weise individualpsychologisch ist, und der der Tatsache Rechnung trägt, dass eine sogenannte natürliche Sprache einem Prozess soziokultureller Evolution unterliegt. Einen solchen Sprachbegriff versuche ich in diesem Vortrag zu skizzieren auf der Basis der Prinzipien des methodologischen Individualismus.
Unter Konstruktivismus – in seiner auf Sprache bezogenen Form – wird im Folgenden die Auffassung von der sprachlichen Gebundenheit des Weltzugangs und der wirklichkeitskonstituierenden Kraft der Sprache verstanden. Danach bezeichnen Wörter und Sätze nicht die Dinge an sich, sondern tun dies immer aus einer bestimmten Perspektive. Diese Perspektive ist nicht nur die des individuellen Sprechers, sondern ist auch der Sprache bereits inhärent: Wir eignen uns die Welt entlang der lexikalischen Kategorien und grammatischen Strukturen an, die wir in der Sprache vorfinden und die wir neu in ihr schaffen. Indem Sprache die Dinge der Welt nicht einfach passiv abbildet, sondern unseren geistigen Zugang zu ihnen leitet, prägt sie unser Bild von der Wirklichkeit. In der Trias von Sprache, Denken und Wirklichkeit kommt damit der Sprache das Apriori zu. Je nach Radikalität des linguistischen Konstruktivismus wird diese sprachliche Prägung des Wirklichkeitsbildes als nur in Teilen oder als absolut gegeben verstanden. Im letzteren Fall ist ein Denken‚ an der Sprache vorbei‘, ein sprachfreies Erkennen der Welt, unmöglich.
Dieser Aufsatz behandelt einige offene Fragen des funktionalistischen Ansatzes. Im 1. Abschnitt wird die von Kanngießer postulierte Matrix des funktionalistischen Ansatzes (F-Matrix) - speziell hinsichtlich ihres Erklärungsbegriffs - dargestellt. Im Abschnitt 2.1 wird gegen die Auffassung argumentiert, daß die F-Matrix über einen - methodologisch gesehen - eigenständigen Erklärungstyp verfügt. In 2.2 wird zudem gezeigt, daß es nicht sinnvoll ist, für funktionale Spracherklärungen ein funktionalistisches Erklärungsschema - wie z.B. Stegmüller (1969) es expliziert - in Anspruch zu nehmen. Im Rahmen der Argumentation in diesem 2. Abschnitt wird die Auffassung der Verfasser herausgearbeitet, daß das Spezifische des funktionalistischen Ansatzes nicht in einem eigenständigen Erklärungstyp, sondern in besonderen Gesetzen besteht. Definierend für die F-Matrix ist die Hypothese der Sprachfunktionalität bzw. eine Klasse (noch zu findender) Gesetze, die Zusammenhänge zwischen bestimmten Gesellschaftsstrukturen und spezifischen Kommunikationsbedürfnissen bzw. zwischen bestimmten Kommunikationsbedürfnissen und spezifischen Sprachsachverhalten beschreiben. Die Hypothese der Sprachfunktionalität fungiert dabei als forschungsleitende Orientierungshypothese, indem sie die Menge der möglichen Füllungen der wenn- und dann-Komponenten von Gesetzen restringiert. Abschnitt 3 zeigt die Notwendigkeit der Präzisierung, Operationalisierung und empirischen Prüfung der Hypothese der Sprachfunktionalität und diskutiert Möglichkeiten, wie dies geschehen kann. Abschnitt 4 problematisiert die Hypothese der Sprachfunktionalität in Hinsicht auf die Möglichkeit der Erklärung von Sprachentwicklung, indem der Zusammenhang von Kommunikationsbedürfnissen und Sprachsachverhalten thematisiert wird. Abschließend werden im 5. Abschnitt einige Theoriebildungen der Sprachwissenschaft, die mit dem funktionalistischen Ansatz affin sind, diskutiert, und es wird dargelegt, in welcher Hinsicht die F-Matrix ein sinnvolles Forschungsprogramm ist.
Physicists look at language
(2006)