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Komposition als Element nominaler Integration passt zum Sprachtyp des Deutschen. Diese Technik wird in verschiedenen Texttypen in unterschiedlicher Weise genutzt und funktional ausdifferenziert. Zweigliedrige Komposita prägen den alltäglichen Wortschatz. Die Erfahrung damit und ihre formale Offenheit bilden den Grund für spezifische Ausweitungen des Gebrauchs. Das wird gezeigt an der die Öffnung der Muster im literarischen Bereich, dann an der Interaktion von Kompositionstypen im Hinblick auf größtmögliche Explizitheit in juristischen Texten und letztlich an der Mischung von alltäglicher Klassifikation in gängigen Komposita und textfunktionaler Kondensierung in einem Sachtext.
Anhand der Rückmeldungen auf eine Umfrage unter den Mitgliedern der Organisation EFNIL (European Federation of National Institutions for Language) wird in diesem Artikel erfasst, wie die orthographische Norm in den Staaten Europas etabliert und vermittelt wird. Es wird unter anderem beleuchtet, welche Prinzipien bei der Erstellung der Norm angewandt werden, in welchen Teilen der Gesellschaft die Regeln gelten, wie sie an die Öffentlichkeit vermittelt werden, inwieweit sie eingehalten werden, ob es alternative Normen gibt, und mit welchen Mitteln Veränderungen im Sprachgebrauch erfasst und berücksichtigt werden.
Die normgerechte Kommasetzung ist im Deutschen deklarativ und sehr elegant von Beatrice Primus (1993, 2007) erfasst worden. Sie bindet Kommas primär an syntaktische Konzepte wie ‚Satzgrenze‘ und ‚Subordination‘. Nun gibt es allerdings ein Komma, das sich nicht ins System fügen will, das aber immer häufiger wird: das Vorfeldkomma wie in Gegen so eine starke Übermacht, konnten die deutschen Truppen nichts mehr ausrichten. Dieser Beleg stammt aus einer rezenten Abiturarbeit. Hier wird – entgegen den geltenden Rechtschreibregeln – das Vorfeld der Sätze mit einem Komma abgetrennt; es handelt sich um systematische Abweichungen von der Norm. Wir können die Faktoren, die ihre Verteilung steuern, empirisch gut erfassen. Weit weniger klar ist, ob diese Beobachtungen theoretische Konsequenzen haben sollten, und wenn ja, welche. Das soll in diesem Beitrag diskutiert werden, neben einigen anderen Problemfällen, die die Empirie der Theorie beschert.
Das Ziel des Beitrages ist es, die Orthografiereform 1996–2006 in den Entwicklungsprozess der deutschen Rechtschreibung seit der Herausbildung der Einheitsorthografie einzuordnen, ihre Stellung in diesem Prozess zu kennzeichnen und ihre Ergebnisse zu benennen. Ausgehend von einer Charakterisierung der besonderen Merkmale der Orthografie als Norm der Schreibung sowie des Begriffes Orthografiereform, werden zunächst die Endphase der Herausbildung der deutschen Einheitsorthografie und ihr Abschluss durch die Orthografiereform von 1901 beschrieben. Dem folgt die Darstellung der Besonderheiten der deutschen Orthografieentwicklung im 20. Jahrhundert bis zum Jahr 1996. Ein wichtiger Bestandteil des Beitrages ist dann die Herausarbeitung der Grundlagen und Bestimmungsfaktoren einer Orthografiereform unter heutigen Bedingungen und die Anwendung dieser Grundsätze auf den Prozess der Entstehung und Umsetzung der Orthografiereform 1996–2006. Abschließend werden die Ergebnisse dieses Prozesses in vier Punkten zusammengefasst die auch gleichzeitig die Bedeutung dieser Sprachlenkungsmaßnahme in der deutschen Orthografiegeschichte kennzeichnen.
Das Verhältnis von Norm und Schreibgebrauch bestimmt die Orthografieforschung und den orthografischen Diskurs nicht erst seit der Rechtschreibreform 1996. Wurde der Normbegriff lange Zeit als relativ statische Größe verortet, so erhielt er durch im 21. Jahrhundert verstärkt zu beobachtende Schreibwandelprozesse signifikante Impulse für Modifikationen, die eine offenere Entwicklung einleiteten. Besonders deutlich ist dies an Fremdwörtern und insbesondere an Fremdwort-Neologismen abzulesen. So belegt die empirische Beobachtung von Anglizismen, wie soziokulturelle Entwicklungen Sprach und Schreibveränderungen bewirken. Mit Bezug auf das Amtliche Regelwerk wird gezeigt, wie ein neu herausgebildeter Usus zur Modifizierung einzelner Regeln und Schreibungen führen kann und damit auch zu einem flexibleren, dynamischeren Normbegriff.
Vorwort
(2024)
Thema der 59. Jahrestagung des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache war vom 14. bis zum 16. März 2023 erstmals nach mehreren Jahrzehnten wieder die Orthografie des Deutschen, und zwar „in Wissenschaft und Gesellschaft“. Einen unmittelbaren Anlass dafür bildete der bevorstehende Abschluss der siebenjährigen Arbeitsphase des Rats für deutsche Rechtschreibung Ende 2023, dessen Tätigkeit das IDS seit seiner Gründung wissenschaftlich begleitet. Aber auch die Orthografieforschung selbst hat sich seit der Rechtschreibreform im Jahr 1996 in einer Weise entwickelt, dass die Wahl dieses schriftlinguistischen Querschnittsthemas angezeigt erschien.
Für die spezifischen Bedürfnisse der Schreibbeobachtung wurde das Orthografische Kernkorpus (OKK) als virtuelles Korpus in DeReKo entwickelt. Mit derzeit rund 14 Mrd. Token deckt es den Schriftsprachgebrauch in den deutschsprachigen Ländern im Zeitraum von 1995 bis in die Gegenwart ab. Der Zugriff über die Korpusanalyseplattform KorAP erlaubt nicht nur die Nutzung verschiedener Annotationen, sondern über die API-Schnittstellen auch die Einbindung in diverse Auswertungsumgebungen wie RStudio über den RKorAPClient und macht es so für zahlreiche Analyse- und Visualisierungsmöglichkeiten zugänglich.
Sprachliche Zweifelsfälle kommen auf allen linguistischen Ebenen vor. Ihre Einordnung erfolgt zumeist nach Systemebene, nach Entstehungsursache oder nach lexematischer Struktur. Sprachlicher Zweifel kann auch nach intra- und interlingualen Aspekten unterschieden werden. Stehen zwei oder mehrere lexikalische Varianten zur Verfügung, kann es zu Unsicherheiten bezüglich des angemessenen Gebrauchs kommen. Nicht nur Muttersprachler*innen sind mit Schwierigkeiten konfrontiert, Zweifelsfälle stellen auch ein Problem bei der Fremdsprachenproduktion dar.
Dieser Band beschränkt sich auf lexikalisch-semantische, flexivische und wortbildungsbedingte Zweifelsfälle und führt interessierte Leser*innen in Fachliteratur und Nachschlagewerke ein. Er streift Fragen der Sprachdidaktik, der Fehler- und Variationslinguistik, denn die Auseinandersetzung mit typischen Zweifelsfällen zeigt auch das Spannungsfeld zwischen allgemeinem Usus und kodifizierter Norm, zwischen Gegenwart und Wandel, zwischen Dynamik, sprachlichem Reichtum und erlernter Bildungstradition.
Der Beitrag skizziert die Genese und Komplexität des Konzepts ‚Usuelle Wortverbindung‘ (UWV) vor dem Hintergrund der korpuslinguistischen Wende. Die Möglichkeit, sprachliche Massendaten untersuchen zu können, erbrachte neue Einsichten in Hinblick auf Status, Form, Funktion, Festigkeit und Variabilität dieser zentralen Wortschatzeinheiten – gleichzeitig aber auch in Hinblick auf ihre Unschärfen und vielfachen Überlappungen. Eine der folgenreichsten Erkenntnisse ist, dass UWVs auf vorgeprägten Schemata und Mustern basieren und in ein komplexes Netz von Ausdrücken ähnlicher Art eingebettet sind. Für die Aneignung sprachlichen Wissens ist das Verstehen solcher primär funktionalen Musterbildungen elementar.
Politisches Positionieren ist eine elementare sprachliche und soziale Praxis. Wo und wie wir uns und andere in der Gesellschaft verorten, ist eine alltäglich verhandelte Frage. Positionierungen werden dabei sowohl explizit thematisiert und kontrovers diskutiert als auch beiläufig durch sprachliche Praktiken hervorgebracht. Im Zentrum von Positionierungen stehen Aushandlungen sozialer Identität. Doch nicht nur persönliche Identitäten werden durch Positionierungen konstituiert, stabilisiert oder umgedeutet, auch die Gesellschaft ist durch die sprachlichen Positionierungspraktiken ihrer Mitglieder unmittelbar oder mittelbar betroffen.
Die Beiträge des Bandes betrachten diese Schnittstelle zwischen Interaktion und Diskurs aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven und erörtern, wie Positionierungen vollzogen werden, ob bzw. inwiefern sie politisch sind und in welchen wechselseitigen Zusammenhängen sie zu gesellschaftlichen, sozialen und politischen Arrangements und Ordnungen stehen.
Anders als bei Sonntagspredigten haben die katholischen und evangelischen AutorInnen von Kirche in 1live nur 90 Sekunden zur Verfügung, um ihre christliche Botschaft zu vermitteln. Vorliegender Beitrag untersucht, wie die katholischen und evangelischen AutorInnen dies tun. Welche Inhalte erachten sie für relevant? Welche sprachliche Gestaltung wählen sie? Greifen katholische und evangelische AutorInnen zu den gleichen Inhalten und sprachlichen Mitteln oder zeigen sich konfessionelle Präferenzen und Differenzen? Diesen Fragen soll an einem Korpus aus Kirche in 1live-Radiopredigten aus den Jahren 2012 bis 2021 (= 2.755 Texte mit insgesamt 726.570 Token) mit einem quantitativen und qualitativen Methoden-Mix nachgegangen werden. Die Studie wird im Rahmen des DFG-Projekts „Sprache und Konfession 500 Jahre nach der Reformation“ am Germanistischen Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster durchgeführt.
National Socialism, one could argue, was all about belonging: belonging to the ‘Volk’ or the ‘Volksgemeinschaft’, belonging to the ‘Aryan’ or ‘Non-Aryan race’, belonging to the National Socialist ‘movement’, and so on. These categories of belonging worked both inclusionary and exclusionary and they were constituted, proclaimed and enacted to a great part through language. What is more, they had to be performed through communicative acts. For the normative side of National Socialist propaganda and legislation, this seems rather obvious and one-directional. On the side of the general population, however, this entailed a mixture of communicative need to position oneself vis-à-vis National Socialism (mostly in affirmative ways), but also the urge to do so willingly. When we look at the language use of ‘ordinary people’ in different communicative situations and texts during National Socialism, we have to focus on these dimensions of discursive collusion, co-constitution and appropriation. People during National Socialism, such is our hypothesis, navigated through discourses of belonging and by that made them real and effective. Besides diaries, war letters and autobiographical writings, one way to grasp this phenomenon is to analyse petitions, i.e., letters of complaint and request sent in large numbers by ‘ordinary people’ to public authorities of the party and the state. As I will show by some examples, letter-writers tried to inscribe themselves within (what they took for) National Socialist discourses of belonging in order to legitimate their claims. By doing so, they co-constituted and co-created the discursive realm of National Socialism.
Die Tagung Kommunikative Praktiken im Nationalsozialismus im virtuellen Paderborn hatte zum Ziel, die unterschiedlichen Perspektiven der geschichts- und sprachwissenschaftlichen NS-Forschung unter dem Dach der Praxeologie zusammenzubringen und so zu koordinieren, dass möglichst viele Anknüpfungspunkte für ein gemeinsames Verständnis der Hervorbringung von ns-spezifischen Deutungsrahmen entstehen (vgl. allgemein als Forschungsüberblick dazu Scholl 2019). Dabei haben sich Unterschiede in der Definition und Reichweite von kommunikativen Praktiken gezeigt, mehr noch aber wurden konvergierende Verständnisse freigelegt. Diese richten sich vor allem auf die kommunikative Bearbeitung zentraler Diskursgegenstände wie Gemeinschaft, Arbeit oder Freiheit durch sprachliche o. a. Verfahren, die situiert und unter konkreten historischen Bedingungen aus einem bestimmten Akteurskreis heraus entstehen.
Die nationalsozialistische Gesellschaft war geprägt von vielgestaltigen kommunikativen Praktiken des sozialen und auch gewaltvollen Ein- und Ausschlusses. Gleichzeitig bildeten sich durch Widerstandshandlungen vielfältige Gegendiskurse heraus. Der Sammelband nimmt konkrete Beispiele kommunikativer Praktiken während des Nationalsozialismus in den Blick und fragt speziell danach, inwiefern diese themen-, textsorten- und akteursspezifisch gebunden waren.
In diesem Beitrag werden Ergebnisse einer Studie präsentiert, die im Rahmen meines Habilitationsprojektes zu Somatismen des Deutschen mit der Konstituente Hand durchgeführt wurde. Das Projekt insgesamt ist korpusbasiert, qualitativ orientiert und verfolgt im Kern semantische Interessen. Empirische Grundlage für die Studien ist das Schriftspracharchiv W des IDS (Institut für Deutsche Sprache). Ziel der insgesamt über 20 Projektstudien ist jeweils die korpusbasierte Beschreibung der Bedeutungsentfaltung phraseologischer Einheiten in der Verwendungsbreite und nicht die Reduktion auf die Übersetzung einer als eine Bedeutung oder gar DIE Bedeutung wiedergebenden Paraphrase in formalsprachliche oder formalsymbolische Beschreibungsabstraktionen. In die Breite zu gehen bedeutet, die beschreibungsmäßig häufig verborgenen, aber im konkreten Sprachgebrauch jeweils sich zeigenden semantischen Feinheiten der untersuchten Einheiten ins Zentrum der Analyse zu stellen. Dafür ist es notwendig, die jeweilige Einheit zunächst überhaupt zu identifizieren (über welche Einheit wird geredet) und ihre formseitigen Manifestationen zu erfassen (welche strukturellen Verfestigungen liegen vor). Anschließend werden über die Beschreibung der Kotexte dieser Einheiten in Belegkorpora die an formseitige Ausprägungen gekoppelten Pfade der Bedeutungsentfaltung - ausgehend von einer ermittelten Ausgangsbedeutung - nachgezeichnet. Auf diese Weise können auch Bedeutungsaspekte eingeholt werden, die als bloße Konnotationen oder Modifikationen zu randständig, als Kernbedeutung zu unhandlich und als semantischer Mehrwert zu uneigenständig konzipiert sind. Es handelt sich um wesentliche Bedeutungszüge der untersuchten Einheiten und Aufgabe der Studien ist es, diese Aspekte durch Kopplung an verschiedene formseitige Ausprägungen gebrauchsangemessen erfassen und beschreiben zu können.
mentales Lexikon
(2018)
Der Umgang mit längeren, komplexeren Redebeiträgen hat als Gegenstand der Mündlichkeitsdidaktik in Sprachvermittlung sowie Sprachbildung viel Aufmerksamkeit erfahren. Empirische Untersuchungen dazu, in welchen Sprachverwendungskontexten lange Redebeiträge in natürlichen Gesprächssituationen häufig vorkommen und damit die Fähigkeit, sie verstehen und produzieren zu können, eine Anforderung für Lernende bildet, stehen jedoch noch aus. Der Beitrag stellt eine explorative Studie auf der Basis des Forschungs- und Lehrkorpus Gesprochenes Deutsch (FOLK) vor, die zeigt, wie durch korpuslinguistische Analysen anhand von Interaktionskorpora eine Beschreibung der Gebrauchsspezifika langer Redebeiträge für ein weites Spektrum an Gesprächskontexten gewonnen und damit eine Grundlage für die zielgruppenspezifische Vermittlung diskursiver Fähigkeiten im DaF/DaZ-Unterricht bereitgestellt werden kann.
Das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) führt seit den 1990er Jahren regelmäßig Repräsentativerhebungen zu sprachlichen Fragen durch. Über die letzten Umfragen, die Deutschland-Erhebung 2017 und die Erhebung Dialekt und Beruf 2019, wurde bereits in dieser Reihe berichtet. Informationen über die Deutschland-Erhebung 2017 finden sich in Folge 1 bis 6 dieser Reihe. In den Folgen 7 bis 9 wurden Ergebnisse der Erhebung Dialekt und Beruf 2019 vorgestellt. Im Winter 2022 hat das IDS eine neue Repräsentativumfrage durchgeführt: die Deutschland-Erhebung 2022. Darin wurden Einstellungen zum Deutschen und anderen Sprachen sowie die Wahrnehmung von sprachlichen Veränderungen erfasst. In dieser Folge 10 werden die Erhebung und erste Ergebnisse vorgestellt