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Im Folgenden werten wir Daten zu jeweils zehn Lexemen von mehreren hundert Sprechern aus, um die Realisierungspraxis von hiatfähigen Silbengrenzen im Gebrauchsstandard empirisch aus regionaler und sozialer Perspektive darzustellen. Wir stellen die Ergebnisse in Zusammenhang mit der Entstehung des Neuhochdeutschen unter Substratwirkung des Niederdeutschen und zeigen, was dies für die Hypothese eines typologischen Wandels des Deutschen von einer Silben- zu einer Wortsprache nach sich zieht.
Dieser Beitrag skizziert einen paradoxen Wandelprozess, den wir „Denaturierung" nennen: Ursprünglich natürlichsprachige, orale, ersterworbene Varietäten werden durch sprachplanerische Maßnahmen zu literalen, nicht ersterworbenen Systemen. Wir diskutieren zunächst die Grundlagen dieses Prozesses: Die Literalisierung von Sprachsystemen und Gesellschaften bringt orale Non-Standard-Varietäten in funktionale Konkurrenzsituationen mit Standardvarietäten. Der Wunsch nach Bewahrung und (Re-)Vitalisierung dieser Varietäten erzwingt - um ihre funktionale Leistungsfähigkeit auszubauen - Standardisierungsprozesse der betroffenen Varietäten, wodurch in ihren Systemen Elemente auftreten, die nicht durch L1-Erwerb weitergegeben werden (können). Paradoxerweise soll also das Verschwinden natürlicher Sprachen (der muttersprachlich erworbenen Dialekte), die sich definitorisch gerade durch die funktionale Distanz zur Standardsprache auszeichnen, durch Eingriffe unterbunden werden, die ihrem Status als natürliche Sprachen entgegenwirken. Wir postulieren, dass diese Denaturierung eine Konsequenz der Faktoren Attrition und Standardisierung ist. Dazu illustrieren und kontrastieren wir den Verlauf dieses Prozesses anhand von drei germanischen Varietäten: Während das Bairische noch am Anfang einer möglichen Denaturierung steht, kann das sowohl von starker Attrition als auch gezielter Standardisierung betroffene Niederdeutsche in dieser Hinsicht bereits als fortgeschritten angesehen werden. Im modernen Färöischen, wo bei bewahrter hoher mündlicher Variation eine stark historisierende, unifizierende Schriftvarietät installiert wurde, fällt die Denaturierung mangels Attrition dagegen nur schwach aus.
In diesem Artikel wird der Tempus-Modus-Gebrauch in indirekter Redewiedergabe im Niederdeutschen im Vergleich mit dem Hochdeutschen, Englischen und Norwegischen untersucht. Die hochdeutsche Standardsprache verfügt über eine voll ausgebaute Indikativ-Konjunktiv-Unterscheidung, wobei eine der Funktionen des Konjunktivs in der Markierung indirekter Rede besteht. Viele andere germanische Sprachen, hier vertreten durch das Englische und Norwegische, kennen keine vergleichbare Konjunktivkategorie (mehr). Indirekte Rede steht dort im Indikativ, wobei häufig das Phänomen der Tempusverschiebung zu beobachten ist. Das nördliche Niederdeutsche kennt ebenfalls keine distinkten Konjunktivformen, womit sich die Frage stellt, ob auch die Redewiedergabe wie in den anderen konjunktivlosen Sprachen funktioniert. Der vorliegende Beitrag geht dieser Frage im Rahmen einer empirischen Untersuchung nach. Als Datengrundlage dienen nordniederdeutsche Radionachrichten. Es zeigt sich, dass die Verteilung von Präsens und Präteritum in den niederdeutschen Radiodaten weiter ausfällt als in den konjunktivlosen Vergleichssprachen: Das Präsens tritt, wie im Hochdeutschen, auch dort auf, wo im Englischen und Norwegischen mit einer Verschiebung zum Präteritum zu rechnen wäre. Und für das Präteritum ergibt sich eine reportiv-konjunktivische Verwendung, die keine Entsprechung im Englischen oder Norwegischen hat.