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Zu den Gemeinplätzen wissenschaftlichen wie populären Nachdenkens über den Menschen gehört, dass es die Sprache ist, die ihn gegenüber allen anderen Lebewesen auszeichnet. Die naheliegende Folgerung, dass Sprachwissenschaft deshalb immer auch eine anthropologische Wissenschaft ist, wird dennoch eher selten gezogen. Dies obwohl es praktisch nicht möglich ist, sprachtheoretische Überlegungen zum ‚Wesen‘ der Sprache oder zu zentralen Fragestellungen der Linguistik anzustellen, ohne zumindest implizit auch ein Bild des Menschen selbst zu entwerfen. Der folgende Beitrag geht von Humboldt über Benveniste bis zur neueren conversation analysis denjenigen sprachtheoretischen Traditionslinien nach, welche den sprachlichen Menschen als einen basal auf ein Gegenüber bezogenen Menschen entwerfen – eine Konstellation, die zudem die Figur des ‚Dritten‘ erzeugt – und welche Sprachlichkeit als prägendes Formativ menschlicher Sozialität verstehen. Sprache wird entsprechend nicht nur als Medium referenzieller ‚Aboutness‘, sondern ebenso performativer ‚Withness‘ betrachtet. Im Horizont der Überlegungen steht dann allerdings auch die Frage, in welcher Weise die an gesprochener Sprache ausgerichtete, interaktionsorientierte Neukonturierung der Sprachwissenschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen neuen Blick auf Schriftsprachlichkeit und ihre Leistungen in der Selbstformierung des Menschen ermöglicht.
Den Wortschatz einer Sprache auf hohem Niveau zu dokumentieren und in all seinen Eigenschaften zu beschreiben, ist gleichermaßen wichtig wie schwierig. Verschiedene Gründe haben dazu geführt, dass die Tradition der großen Wörterbücher derzeit zusammenbricht. An ihre Stelle werden in der Zukunft flexibel handhabbare digitale lexikalische Systeme treten.
Der Beitrag zum 50-jährigen Bestehen des IDS gibt einen Überblick über die Entstehung und Entwicklung der Satzsemantik, der am Wahrheitswert von Aussagen orientierten Lehre von zusammengesetzten sprachlichen Ausdrücken. Er tut dies am Beispiel der Negation, insbesondere an der syntaktischen Realisierung der Negation mit dem Negationsartikel ‚kein‘, an Negativen Polaritätselementen wie ‚jemals‘, an der doppelten Negation wie in ‚nicht unglücklich‘ und an der pleonastischen Negation nach ‚bevor‘. Auch die Negation in Fragen und Antwortpartikeln wie ‚nein‘ kommen zur Sprache.
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Perspektive auf den Gegenstand der Sprachwissenschaft immer wieder verändert, vor allem gegen überkommene Reduktionismen erweitert. Hier soll auf Entwicklungen im Zusammenhang mit der Herausbildung einer „Medienlinguistik“ eingegangen werden, die (allgemeiner) die Medialität von Sprache behandelt, auch im Zusammenspiel mit anderen Zeichenarten, (spezieller) die Rolle von Sprache in (technischen) Medien. Von den sehr zahlreichen Varianten der Kombination von Modalitäten und Kodalitäten sollen hier zwei sehr unterschiedliche Schwerpunkte betrachtet werden: Visualität von Sprache, in und von Texten, und sekundäre Audiovisualität.
Interaktionslinguistik
(2015)
Interaktion wird im vorliegenden Beitrag als eine Realisierung von Kommunikation verstanden, deren Konstitutionskriterium nicht Sprachlichkeit, sondern Anwesenheit ist. Anwesenheit ist dabei keine äußerliche Bedingung von Interaktion, sondern wird – im Medium der Wahrnehmungswahrnehmung – erst durch diese hergestellt. Entscheidend für die Rolle der Sprache bei der Konstitution von Interaktion sind die Minima des Sprechens und Zuhörens, die unter den Stichworten Materialität, Sequenzialität und Medialität vorgestellt werden. Anhand dieser Minima lassen sich die Qualitäten der Sprache als Ressource für die Bearbeitung interaktionskonstitutiver Probleme (wie Turn-Taking, Themenorganisation oder Situierung) fassen. Dass es neben der Sprache für die Hervorbringung von Interaktion weiterer, bisher weniger gut untersuchter Ressourcen bedarf, wird am Ende des Beitrags am Beispiel des Beitrags von Architektur zur Lösung des Situierungsproblems erörtert.
Sprache ist nie homogen, sie weist Varianz auf. Es gibt viele Gründe für diese Vielfalt, und die meisten sind schon sehr gut beschrieben worden (und sollen daher im vorliegenden Beitrag nicht im Vordergrund stehen). Gegenspieler der Varianz sind die mehr oder weniger expliziten Normen - sie sollen dafür sorgen, dass die Varianz ein gewisses Maß nicht überschreitet. Wobei sich natürlich sofort die Frage stellt, wie (und von wem) das „Maß“ definiert wird. Bei der Beurteilung dieser Fragen spielen nicht nur soziolinguistische, sondern auch strukturelle Aspekte eine Rolle, und Letzterem wird der vorliegende Beitrag nachgehen, und zwar anhand von Beispielen aus der Morphophonologie, der Morphosyntax und der Orthografie.
Thema dieses Beitrags sind die komplexen Nominalphrasen im Deutschen, die von außen gesehen unter Umständen monströs anmuten. Ein besonderes, wohl bekanntes Problem bieten dabei sogenannte erweiterte vorangestellte Attribute. Die Komplexitäten geben u.A. zu folgenden Fragen Anlass: Inwiefern lässt sich die ‚Ausuferung‘ der deutschen Nominalphrase funktional begründen? Falls es ein Rationales hinter den Komplexitäten gibt, wie lösen dann Sprachen, die entsprechende Ausbaumöglichkeiten nicht besitzen, die einschlägigen funktionalen Aufgaben? Hier soll primär die erste Frage diskutiert werden anhand von authentischen Text(ausschnitt)en, die das Zusammenspiel zwischen vorangestellten und nachgestellten ‚Erweiterungen‘ der Nominalphrase – Relativsätze eingeschlossen – wie auch die Funktion sogenannter nichtrestriktiver Attribute im Diskurs veranschaulichen können; die zweite Frage wird in relevanten Zusammenhängen mit berücksichtigt.
Der Beitrag beleuchtet unterschiedliche Raumkonzeptionen, welche die Dialektologie als „Raumlinguistik“ im letzten halben Jahrhundert geprägt haben. So spielt Raum als physisch-materieller Erdraum in der Dialektologie nach wie vor eine zentrale Rolle und wird als Bedingungsrahmen für die diatopische Sprachvarianz verstanden. Räume gänzlich anderer Natur sind Räume, die aus dialektgeografischen Abstraktionsprozessen resultieren und sich aus Verteilungen sprachlicher Größen im physisch-materiellen Raum ergeben. Zur außersprachlichen Erklärung diatopischer Variation werden solche sprachräumlichen Verteilungen mit erdräumlichen Gegebenheiten, mit politischen Territorien oder kulturräumlichen Verteilungen abgeglichen. Wegen der Beliebigkeit der für den Abgleich ausgewählten dialektalen Variablen ist dieses Vorgehen lange Zeit etwas in Verruf geraten, wird heute jedoch mit dialektometrischen Verfahren dem willkürlichen Zugriff entzogen und neu lanciert.
Raum als immaterielle Ordnungsstruktur wird – nicht nur in der Linguistik – als probates Instrument genutzt, um Gedachtes metaphorisch zu ordnen. Insbesondere die Sozio- oder kommunikative Dialektologie, die seit ein paar Jahrzehnten die monodimensionale Grundmundarten-Dialektologie aufbricht, hat mit Konzepten wie „Variantenraum“ oder „sozialer Raum“ ihren Gegenstandsbereich faß- und vermessbar gemacht.
Seit einiger Zeit erfährt der „erlebte Raum“ im Rahmen der sogenannten Wahrnehmungsdialektologie lebhaften Zuspruch. Diese dialektologische Ausrichtung erkundet die sprachraumbezogenen Alltagskonzepte und die Perzeption sprachlicher Größen und verspricht sich davon u.a. Aufschluss darüber, ob sprachräumliche Vorstellungen als Steuerungsgrößen für dialektale Stabilität oder dialektalen Wandel veranschlagt werden können. An Beispielen aus einem laufenden Forschungsprojekt, das sich mit einer Region in der Innerschweiz befasst, werden ethnodialektale Raumvorstellungen präsentiert und zu objektiven Sprachbefunden in Bezug gesetzt.
Der Beitrag versteht sich als erster Schritt zur historiographischen Rekonstruktion der Soziolinguistik in der Bundesrepublik Deutschland. Es wird gezeigt, wie in gewolltem Bruch mit der älteren germanistischen Forschung zum Thema Sprache und Gesellschaft in den späten 1960er Jahren die neue Disziplin der Soziolinguistik in Auseinandersetzung mit den Theorien Bernsteins entstand, sich die Soziolinguistik anschließend professionalisierte und das Spektrum ihrer Themen verbreiterte, schließlich auch den Anschluss an ältere Theorien insbesondere in der Dialektologie wiederfand.
Moderne Grammatiktheorien sind statisch, d.h. skriptizistisch und synchronizistisch. Dies bedeutet, dass deren Beschreibungsapparat auf die Strukturen gegenwärtiger Schrift- und Standardsprachen zugeschnitten ist. Im Beitrag wird für einen dynamischen, d.h. nichtskriptizistischen und nichtsynchronizistischen, Perspektivenwechsel in der Grammatikforschung plädiert, der auf folgenden empirisch fundierten Überlegungen basiert:
1. Literalisierung ist eine kulturelle Universalie, die kognitiv verankert ist.
2. Es sind unterschiedliche Phasen der Literalisierung zu unterscheiden.
3. Literalisierung im Allgemeinen und die Phasen der Literalisierung im Besonderen haben Konsequenzen für die grammatische Struktur.
4. Die Interpretation von grammatischen Strukturen ist nur vor der Folie der jeweiligen Phase der Literalisierung möglich.
5. Ein dynamisches Grammatikmodell muss das historische Verhältnis auch begrifflich abbilden. Dies wird an zentralen grammatischen Konzepten wie Aggregation vs. Integration, Wortgruppe vs. Phase und an der Wortstellung (Verbklammer, Stellungsfeldermodell, Satzrandglieder) veranschaulicht.
6. Historisch ist von einem dynamischen Verhältnis von Online- und Offlinesyntax, von syntaktischer Zeitlichkeit und syntaktischer Räumlichkeit, auszugehen. Was zu einer bestimmten Zeit und in einer bestimmten Varietät als Onlinestruktur zu interpretieren ist, hängt von dem jeweiligen historischen Verhältnis von Online- und Offlinestrukturen ab.
The puzzle we consider in this paper is that Merchant (2004) judges certain elliptical utterances in context to be ungrammatical, while Culicover and Jackendoff (2005) judge similar examples to be grammatical. The main difference between the examples appears to be that Merchant’s are introduced by no, while Culicover and Jackendoff’s are introduced by yes. We propose that the different judgments do not reflect grammaticality, but complexity associated with ambiguity. First, there is an ambiguity with respect to the reference of noun phrases in discourse: the relationship of the fragment to the preceding discourse is ambiguous. Second, there is an ambiguity with respect to the discourse function of an utterance, and in particular, whether it is an affirmation triggered by yes or a denial triggered by no. In the case of the denial, it needs to be established, which part of the preceding statement has to be corrected, while in the case of the affirmation, no such ambiguity arises. The interactions between these two interpretive functions may under certain circumstances render particular sentences in discourse difficult to interpret. Interpretive difficulty has the subjective flavor of ‘ungrammaticality’; in the case that we discuss here, these judgments form the basis for a particular linguistic analysis. But, we argue, manipulation of the dis-course context can simplify discourse interpretation by resolving the ambiguity, which removes the interpretive difficulty. The conclusion that we draw is that the phenomenon in question is not a matter of linguistic structure, but of discourse interpretation.
This paper presents some theoretical and methodological foundations of the research project DICONALE, which concerns the development of an online dictionary of verbal lexemes with a special conceptual-onomasiological access and a paradigmatic structure in response to studies which have shown that conventional dictionaries (both monolingual and bilingual), do not satisfy the specific needs of users involved in the production of texts in foreign language.
This article is concerned with the choice of a corpus to be used as the empirical basis of a bilingual, bidirectional and conceptual learner dictionary of German and Spanish. Several standard corpora as well as web corpora for German and Spanish will be compared with respect to their size, the variety of genres they contain, the time span and geographical areas covered and what kind of search facilities they allow (e.g. word queries based on lemmata rather than on word forms). It will be argued that, when standard corpora fail to meet a particular requirement, web data may provide a useful alternative for lexicographical purposes provided they are both linguistically (i.e. morpho-syntactically) and meta-linguistically tagged.
In the German language, there are two central ways of integrating spatial and temporal information by means of word-formation. Firstly, this type of information is typically located in the verbal phrase of sentences. As a consequence, it plays a major role in the area of word-formation of verbs too. The two major classes of such verbs found in German (“Partikelverben” and “Doppelpartikelverben”) are located in the transition zone between syntax and word-formation. The same adverbial relation is found in one type of nominal compounds (“Rektionskomposita”). On the other hand, space and time are prominent among the relations constituting the patterns of the prototypical type of noun compounds (“N+N-Komposita”). The integration of these relations into compounds involves some kind of functional interpretation.
Abstufung
(2015)
Vorwort
(2015)
Der Beitrag befasst sich mit der Beschwerdenexploration und Diagnosemitteilung als zentrale Elemente eines Arzt-Patient-Gesprächs. Damit verbunden sind verschiedene komplementäre Handlungsaufgaben, die von Arzt und Patient bearbeitet werden müssen. So ist es etwa Aufgabe des Arztes, beschwerdenrelevante Sachverhalte zu erfragen, die Ausführungen des Patienten mit dem eigenen medizinischen Fachwissen abzugleichen, körperliche Untersuchungen vorzunehmen und zu erläutern sowie prädiagnostische und schließlich diagnostische Mitteilungen zu formulieren. In den Aufgabenbereich des Patienten fallen indes Aktivitäten wie die Darstellung der Beschwerden vor dem Hintergrund des persönlichen Erfahrungs- und Erlebenswissens, die Relevanzmarkierung wichtiger Beschwerdenaspekte sowie die Legitimation des Arztbesuches. Eine adäquate Bearbeitung dieser Aufgaben ermöglicht einen Abgleich der verschiedenen Wissenswelten von Arzt und Patient und ebnet so den Weg für eine effektive therapeutische Zusammenarbeit.
Medizin betrifft „alle Menschen, Ärzte wie Patienten, Fachleute wie Laien, gleichermaßen zu allen Zeiten. Die Medizin steht daher wie kein zweiter Bereich des Lebens im Spannungsfeld von fachwissenschaftlicher Spezialisierung und menschlichen Alltagserfahrungen“ (Riecke 2004). In diesem Spannungsfeld ist medizinisches Wissen und Handeln ohne Sprache nicht denkbar. Medizin- und Gesundheitskommunikation bilden fachintern wie fachextern, in mündlichen und medialen Diskursen ein prominentes Themenzentrum der medi(k)alisierten Gegenwart. Das Handbuch Sprache in der Medizin bietet einen Überblick über Formen und Funktionen von Arzt-Patient-Kommunikation und ihrer gesprächslinguistischen Erfassung, medizinischen Fachsprachen in Geschichte und Gegenwart sowie Medizin und Gesundheit in medialen Diskursen. Das hierzu notwendige interdisziplinäre Methodenspektrum umfasst sprachwissenschaftliche, Gesprächs- und diskurslinguistische Methoden ebenso wie medien- und kommunikationswissenschaftliche Perspektiven.
Der Beitrag strebt an, Kategorien der bisher an der Ausgestaltung methodischer und theoretischer Zugänge zu Gedächtniskonzepten beteiligten Kulturwissenschaften einerseits, die Anschlussfähigkeit der bisher nicht beteiligten Linguistik andererseits im Sinn eines integrierten kulturanalytischen Ansatzes reflektieren und exemplarisch zu prüfen.
This article presents a system which allows components of situations referred to by communication verbs to be combined in different ways to yield representations of different reference situation types. These are subsequently used as the basis of a comparison of the corresponding communication verbs in German and Spanish. Verbs referring to the same special reference situation type are shown to constitute a lexical field. Concentrating on the lexical fields of German and Spanish forbid-verbs, specific types of inform-verbs and persuade-verbs, we show that the procedure applied may in principle be used to cover the whole inventory of communication verbs in a bilingual conceptual (i.e. onomasiological) dictionary.
This article presents empirical findings about what criteria make for a good online dictionary, using data on expectations and demands collected in an online questionnaire (N~684), complemented by additional results from a second questionnaire (N-390) which looked more closely at whether respondents had differentiated views on individual aspects of the criteria rated in the first study. Our results show that the classical criteria of reference books (such as reliability and clarity) were rated highest by our participants, whereas the unique characteristics of online dictionaries (such as multimedia and adaptability) were rated and ranked as (partly) unimportant. To verify whether or not the poor ratings of these innovative features were a result of the fact that our subjects are unfamiliar with online dictionaries incorporating such features, we incorporated an experiment into the second study. Our results revealed a learning effect: participants in the learning-effect condition, i.e. respondents who were first presented with examples of possible innovative features of online dictionaries, judged adaptability and multimedia to be more useful than participants who were not given that information. Thus, our data point to the conclusion that developing innovative features is worthwhile but that it should be borne in mind that users can only be persuaded of their benefits gradually. In addition, we present data about questions relating to the design of online dictionaries.