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Komposition als Element nominaler Integration passt zum Sprachtyp des Deutschen. Diese Technik wird in verschiedenen Texttypen in unterschiedlicher Weise genutzt und funktional ausdifferenziert. Zweigliedrige Komposita prägen den alltäglichen Wortschatz. Die Erfahrung damit und ihre formale Offenheit bilden den Grund für spezifische Ausweitungen des Gebrauchs. Das wird gezeigt an der die Öffnung der Muster im literarischen Bereich, dann an der Interaktion von Kompositionstypen im Hinblick auf größtmögliche Explizitheit in juristischen Texten und letztlich an der Mischung von alltäglicher Klassifikation in gängigen Komposita und textfunktionaler Kondensierung in einem Sachtext.
Anhand der Rückmeldungen auf eine Umfrage unter den Mitgliedern der Organisation EFNIL (European Federation of National Institutions for Language) wird in diesem Artikel erfasst, wie die orthographische Norm in den Staaten Europas etabliert und vermittelt wird. Es wird unter anderem beleuchtet, welche Prinzipien bei der Erstellung der Norm angewandt werden, in welchen Teilen der Gesellschaft die Regeln gelten, wie sie an die Öffentlichkeit vermittelt werden, inwieweit sie eingehalten werden, ob es alternative Normen gibt, und mit welchen Mitteln Veränderungen im Sprachgebrauch erfasst und berücksichtigt werden.
Die normgerechte Kommasetzung ist im Deutschen deklarativ und sehr elegant von Beatrice Primus (1993, 2007) erfasst worden. Sie bindet Kommas primär an syntaktische Konzepte wie ‚Satzgrenze‘ und ‚Subordination‘. Nun gibt es allerdings ein Komma, das sich nicht ins System fügen will, das aber immer häufiger wird: das Vorfeldkomma wie in Gegen so eine starke Übermacht, konnten die deutschen Truppen nichts mehr ausrichten. Dieser Beleg stammt aus einer rezenten Abiturarbeit. Hier wird – entgegen den geltenden Rechtschreibregeln – das Vorfeld der Sätze mit einem Komma abgetrennt; es handelt sich um systematische Abweichungen von der Norm. Wir können die Faktoren, die ihre Verteilung steuern, empirisch gut erfassen. Weit weniger klar ist, ob diese Beobachtungen theoretische Konsequenzen haben sollten, und wenn ja, welche. Das soll in diesem Beitrag diskutiert werden, neben einigen anderen Problemfällen, die die Empirie der Theorie beschert.
Das Ziel des Beitrages ist es, die Orthografiereform 1996–2006 in den Entwicklungsprozess der deutschen Rechtschreibung seit der Herausbildung der Einheitsorthografie einzuordnen, ihre Stellung in diesem Prozess zu kennzeichnen und ihre Ergebnisse zu benennen. Ausgehend von einer Charakterisierung der besonderen Merkmale der Orthografie als Norm der Schreibung sowie des Begriffes Orthografiereform, werden zunächst die Endphase der Herausbildung der deutschen Einheitsorthografie und ihr Abschluss durch die Orthografiereform von 1901 beschrieben. Dem folgt die Darstellung der Besonderheiten der deutschen Orthografieentwicklung im 20. Jahrhundert bis zum Jahr 1996. Ein wichtiger Bestandteil des Beitrages ist dann die Herausarbeitung der Grundlagen und Bestimmungsfaktoren einer Orthografiereform unter heutigen Bedingungen und die Anwendung dieser Grundsätze auf den Prozess der Entstehung und Umsetzung der Orthografiereform 1996–2006. Abschließend werden die Ergebnisse dieses Prozesses in vier Punkten zusammengefasst die auch gleichzeitig die Bedeutung dieser Sprachlenkungsmaßnahme in der deutschen Orthografiegeschichte kennzeichnen.
This presentation deals with collaborative turn-sequences (Lerner 2004), a syntactically coherent unit of talk that is jointly formulated by at least two speakers, in Czech and German everyday conversations. Based on conversation analysis (e.g., Schegloff 2007) and a multimodal approach to social interaction (e.g., Deppermann/Streeck 2018), we aim at comparing recurrent patterns and action types within co-constructional sequences in both languages. The practice of co-constructing turns-at-talk has been described for typologically different languages, especially for English (e.g., Lerner 1996, 2004), but also for languages such as Japanese (Hayashi 2003) or Finnish (Helasvuo 2004). For German, various forms and functions of co-constructions have already been investigated (e.g., Brenning 2015); for Czech, a detailed, interactionally based description is still pending (but see some initial observations in, e.g., Hoffmannová/Homoláč/Mrázková (eds.) 2019). Although the existence of co-constructions in different languages points to a cross-linguistic conversational practice, few explicitly comparative studies exist (see, e.g., Lerner/Takagi 1999, for English and Japanese). The language pair Czech-German has mainly been studied with respect to language contact and without specifically considering spoken language or complex conversational sequences (e.g., Nekula/Šichová/Valdrová 2013). Therefore, our second aim is to sketch out a first comparison of co-constructional sequences in German and Czech, thereby contributing to the growing field of comparative and cross-linguistic studies within conversation analysis (e.g., Betz et al. (eds.) 2021; Dingemanse/Enfield 2015; Sidnell (ed.) 2009). More specifically, we will present three main sequential patterns of co-constructional sequences, focusing on the type of action a second speaker carries out by completing a first speaker’s possibly incomplete turn-at-talk, and on how the initial speaker then responds to
this suggested completion (Lerner 2004). Excerpts from video recordings of Czech and German ordinary conversations will illustrate these recurrent co-constructional sequence types, i.e., offering help during word searches (see example 1 above), displaying understanding, or claiming independent knowledge. The third objective of this paper is to underline the participants’ orientation to similar interactional problems, solved by specific syntactic and/or lexical formats in Czech and German. Considering the more recent focus on the embodied dimension of co-constructional practices (e.g., Dressel 2020), we will also investigate the multimodal formatting of a started utterance as more or less “permeable” (Lerner 1996) for co-participant completion, the participants’ mutual embodied orientation, and possible embodied responses to others’ turn-completions (such as head nods or eyebrow flashes, cf. De Stefani 2021). More generally, this contribution reflects on the possibilities and challenges of a cross-linguistic comparison of complex multimodal sequences.
Das Verhältnis von Norm und Schreibgebrauch bestimmt die Orthografieforschung und den orthografischen Diskurs nicht erst seit der Rechtschreibreform 1996. Wurde der Normbegriff lange Zeit als relativ statische Größe verortet, so erhielt er durch im 21. Jahrhundert verstärkt zu beobachtende Schreibwandelprozesse signifikante Impulse für Modifikationen, die eine offenere Entwicklung einleiteten. Besonders deutlich ist dies an Fremdwörtern und insbesondere an Fremdwort-Neologismen abzulesen. So belegt die empirische Beobachtung von Anglizismen, wie soziokulturelle Entwicklungen Sprach und Schreibveränderungen bewirken. Mit Bezug auf das Amtliche Regelwerk wird gezeigt, wie ein neu herausgebildeter Usus zur Modifizierung einzelner Regeln und Schreibungen führen kann und damit auch zu einem flexibleren, dynamischeren Normbegriff.
Vorwort
(2024)
Thema der 59. Jahrestagung des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache war vom 14. bis zum 16. März 2023 erstmals nach mehreren Jahrzehnten wieder die Orthografie des Deutschen, und zwar „in Wissenschaft und Gesellschaft“. Einen unmittelbaren Anlass dafür bildete der bevorstehende Abschluss der siebenjährigen Arbeitsphase des Rats für deutsche Rechtschreibung Ende 2023, dessen Tätigkeit das IDS seit seiner Gründung wissenschaftlich begleitet. Aber auch die Orthografieforschung selbst hat sich seit der Rechtschreibreform im Jahr 1996 in einer Weise entwickelt, dass die Wahl dieses schriftlinguistischen Querschnittsthemas angezeigt erschien.
Für die spezifischen Bedürfnisse der Schreibbeobachtung wurde das Orthografische Kernkorpus (OKK) als virtuelles Korpus in DeReKo entwickelt. Mit derzeit rund 14 Mrd. Token deckt es den Schriftsprachgebrauch in den deutschsprachigen Ländern im Zeitraum von 1995 bis in die Gegenwart ab. Der Zugriff über die Korpusanalyseplattform KorAP erlaubt nicht nur die Nutzung verschiedener Annotationen, sondern über die API-Schnittstellen auch die Einbindung in diverse Auswertungsumgebungen wie RStudio über den RKorAPClient und macht es so für zahlreiche Analyse- und Visualisierungsmöglichkeiten zugänglich.
Das nationalsozialistische Mobilisierungsregime war darauf angelegt, Zeitgenoss:innen zu Positionierungshandlungen zu bewegen: vom allfälligen ‚Hitlergruß‘ über die Mitwirkung bei Parteiorganisationen oder Spendensammlungen bis hin zur Anleitung zur Selbstreflexion in Tagebüchern nationalsozialistischer Schulungslager. Allerdings sollte eine solche Aufforderung zur affirmativen Positionierung nicht allein als Zwang verstanden werden, denn dies würde ausblenden, dass viele Zeitgenoss:innen tatsächlich Anhänger:innen des Nationalsozialismus waren oder dem nationalsozialistischen Gesellschaftsprojekt zumindest nicht grundsätzlich oder in allen Punkten ablehnend gegenüberstanden. Demzufolge scheint es treffend, eine je nach Kommunikationssituation und Akteursposition variierende Mischung aus Positionierungsdruck und -bedürfnis für den hier untersuchten historischen Kontext anzunehmen.
Sich und andere politisch zu positionieren, ist eine elementare sprachliche und soziale Praxis. Dies zeigen etwa Diskussionen um europäische Identität in Zeiten des britischen EU-Austritts und einer umstrittenen EU-Grenzpolitik oder die Haltung zu Waffenlieferungen in Krisengebiete im Zuge des Kriegs in der Ukraine, der 2022 ausbrach, ebenso wie wiederkehrende Auseinandersetzungen um Themen wie Alltagsrassismus, Sexismus und Diskriminierung. Diese Beispiele, die aktuelle politische Ereignisse ebenso umfassen, wie fortlaufende, immer wieder neu aufflammende gesellschaftliche Debatten um grundlegende Fragen des Zusammenlebens, verdeutlichen: Wo und wie wir uns in der Gesellschaft verorten, ist eine alltägliche Frage. Politische Positionierungen werden nicht nur ständig vorgenommen, sie werden, wie auch Nicht-Positionierungen, ebenso kontinuierlich thematisiert und kontrovers diskutiert. Diese Einführung in das Band soll in die Thematik des politischen Positionierens durch Klärung des Termins und einem Beispiel aus der Praxis einführen.
Conventional terminology resources reach their limits when it comes to automatic content classification of texts in the domain of expertlayperson communication. This can be attributed to the fact that (non-normalized) language usage does not necessarily reflect the terminological elements stored in such resources. We present several strategies to extend a terminological resource with term-related elements in order to optimize automatic content classification of expert-layperson texts.
Anders als bei Sonntagspredigten haben die katholischen und evangelischen AutorInnen von Kirche in 1live nur 90 Sekunden zur Verfügung, um ihre christliche Botschaft zu vermitteln. Vorliegender Beitrag untersucht, wie die katholischen und evangelischen AutorInnen dies tun. Welche Inhalte erachten sie für relevant? Welche sprachliche Gestaltung wählen sie? Greifen katholische und evangelische AutorInnen zu den gleichen Inhalten und sprachlichen Mitteln oder zeigen sich konfessionelle Präferenzen und Differenzen? Diesen Fragen soll an einem Korpus aus Kirche in 1live-Radiopredigten aus den Jahren 2012 bis 2021 (= 2.755 Texte mit insgesamt 726.570 Token) mit einem quantitativen und qualitativen Methoden-Mix nachgegangen werden. Die Studie wird im Rahmen des DFG-Projekts „Sprache und Konfession 500 Jahre nach der Reformation“ am Germanistischen Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster durchgeführt.
National Socialism, one could argue, was all about belonging: belonging to the ‘Volk’ or the ‘Volksgemeinschaft’, belonging to the ‘Aryan’ or ‘Non-Aryan race’, belonging to the National Socialist ‘movement’, and so on. These categories of belonging worked both inclusionary and exclusionary and they were constituted, proclaimed and enacted to a great part through language. What is more, they had to be performed through communicative acts. For the normative side of National Socialist propaganda and legislation, this seems rather obvious and one-directional. On the side of the general population, however, this entailed a mixture of communicative need to position oneself vis-à-vis National Socialism (mostly in affirmative ways), but also the urge to do so willingly. When we look at the language use of ‘ordinary people’ in different communicative situations and texts during National Socialism, we have to focus on these dimensions of discursive collusion, co-constitution and appropriation. People during National Socialism, such is our hypothesis, navigated through discourses of belonging and by that made them real and effective. Besides diaries, war letters and autobiographical writings, one way to grasp this phenomenon is to analyse petitions, i.e., letters of complaint and request sent in large numbers by ‘ordinary people’ to public authorities of the party and the state. As I will show by some examples, letter-writers tried to inscribe themselves within (what they took for) National Socialist discourses of belonging in order to legitimate their claims. By doing so, they co-constituted and co-created the discursive realm of National Socialism.
Die Tagung Kommunikative Praktiken im Nationalsozialismus im virtuellen Paderborn hatte zum Ziel, die unterschiedlichen Perspektiven der geschichts- und sprachwissenschaftlichen NS-Forschung unter dem Dach der Praxeologie zusammenzubringen und so zu koordinieren, dass möglichst viele Anknüpfungspunkte für ein gemeinsames Verständnis der Hervorbringung von ns-spezifischen Deutungsrahmen entstehen (vgl. allgemein als Forschungsüberblick dazu Scholl 2019). Dabei haben sich Unterschiede in der Definition und Reichweite von kommunikativen Praktiken gezeigt, mehr noch aber wurden konvergierende Verständnisse freigelegt. Diese richten sich vor allem auf die kommunikative Bearbeitung zentraler Diskursgegenstände wie Gemeinschaft, Arbeit oder Freiheit durch sprachliche o. a. Verfahren, die situiert und unter konkreten historischen Bedingungen aus einem bestimmten Akteurskreis heraus entstehen.
In diesem Beitrag werden Ergebnisse einer Studie präsentiert, die im Rahmen meines Habilitationsprojektes zu Somatismen des Deutschen mit der Konstituente Hand durchgeführt wurde. Das Projekt insgesamt ist korpusbasiert, qualitativ orientiert und verfolgt im Kern semantische Interessen. Empirische Grundlage für die Studien ist das Schriftspracharchiv W des IDS (Institut für Deutsche Sprache). Ziel der insgesamt über 20 Projektstudien ist jeweils die korpusbasierte Beschreibung der Bedeutungsentfaltung phraseologischer Einheiten in der Verwendungsbreite und nicht die Reduktion auf die Übersetzung einer als eine Bedeutung oder gar DIE Bedeutung wiedergebenden Paraphrase in formalsprachliche oder formalsymbolische Beschreibungsabstraktionen. In die Breite zu gehen bedeutet, die beschreibungsmäßig häufig verborgenen, aber im konkreten Sprachgebrauch jeweils sich zeigenden semantischen Feinheiten der untersuchten Einheiten ins Zentrum der Analyse zu stellen. Dafür ist es notwendig, die jeweilige Einheit zunächst überhaupt zu identifizieren (über welche Einheit wird geredet) und ihre formseitigen Manifestationen zu erfassen (welche strukturellen Verfestigungen liegen vor). Anschließend werden über die Beschreibung der Kotexte dieser Einheiten in Belegkorpora die an formseitige Ausprägungen gekoppelten Pfade der Bedeutungsentfaltung - ausgehend von einer ermittelten Ausgangsbedeutung - nachgezeichnet. Auf diese Weise können auch Bedeutungsaspekte eingeholt werden, die als bloße Konnotationen oder Modifikationen zu randständig, als Kernbedeutung zu unhandlich und als semantischer Mehrwert zu uneigenständig konzipiert sind. Es handelt sich um wesentliche Bedeutungszüge der untersuchten Einheiten und Aufgabe der Studien ist es, diese Aspekte durch Kopplung an verschiedene formseitige Ausprägungen gebrauchsangemessen erfassen und beschreiben zu können.
mentales Lexikon
(2018)
Der Umgang mit längeren, komplexeren Redebeiträgen hat als Gegenstand der Mündlichkeitsdidaktik in Sprachvermittlung sowie Sprachbildung viel Aufmerksamkeit erfahren. Empirische Untersuchungen dazu, in welchen Sprachverwendungskontexten lange Redebeiträge in natürlichen Gesprächssituationen häufig vorkommen und damit die Fähigkeit, sie verstehen und produzieren zu können, eine Anforderung für Lernende bildet, stehen jedoch noch aus. Der Beitrag stellt eine explorative Studie auf der Basis des Forschungs- und Lehrkorpus Gesprochenes Deutsch (FOLK) vor, die zeigt, wie durch korpuslinguistische Analysen anhand von Interaktionskorpora eine Beschreibung der Gebrauchsspezifika langer Redebeiträge für ein weites Spektrum an Gesprächskontexten gewonnen und damit eine Grundlage für die zielgruppenspezifische Vermittlung diskursiver Fähigkeiten im DaF/DaZ-Unterricht bereitgestellt werden kann.
Im Streit um Migration soll der Gebrauch von Disclaimern in erster Linie ein positives Bild des Produzenten liefern oder wenigstens Ansprüche auf die Berechtigung seiner kritischen Stellungnahme erheben, ohne dass der Produzent als Rassist abgestempelt wird. Im vorliegenden Beitrag werden die Ergebnisse einer Fallstudie über den Gebrauch eines solchen Disclaimers in Deutschland und in Italien zusammengefasst, nämlich von „Ich bin kein Rassist, aber“ und seiner italienischen Entsprechung „Non sono razzista, ma“. Es wird gezeigt, (i) wie diese Disclaimer zum Ausdruck ausländerkritischer Stellungnahmen verwendet werden und (ii) wie ihre Verwendung in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.
Gegenstand des nachfolgenden Beitrags sind emotionale Positionierungen. Auf der Grundlage dieser Egodokumente, die 1934 entstanden sind und die von den Jahren vom Ersten Weltkrieg bis zum Jahr 1934, mit der Kernzeit der Weimarer Republik, erzählen, wird nach der Funktion von Gefühlsthematisierungen gefragt. Dabei wird vorausgesetzt, dass gerade in der sogenannten »Bewegungsphase« der NSDAP, der Phase des Aufstiegs zwischen Mitte der 1920er Jahre bis zur Machtübergabe 1933, bei aller Politisierung der Akteure dennoch Emotion und Affekt von großer, den Nationalsozialismus stabilisierender Bedeutung waren. Der nachfolgende emotionsgeschichtlich orientierte Versuch wird also auf der Grundlage retrospektiver sprachlicher Konstituierungen seitens der NSDAP-Mitglieder nach 1933 rekonstruiert. Sie formulieren diese Retrospektiven nach dem aus ihrer Sicht erfolgreichen Ende des »Kampfes«.
In this paper we present Trendi, a monitor corpus of written Slovene, which has been compiled recently as part of the SLED (Monitor corpus and related resources) project. The methodology and the contents of the corpus are presented, as well as the findings of the survey that aimed to identify the needs of potential users related to topical language use. The Trendi corpus currently contains news articles and other web content from 110 different sources, with the texts being collected and linguistically annotated on a daily basis. The corpus complements Gigafida 2.0, a 1.13-billion-word reference corpus of standard written Slovene. Also discussed are the ways in which the corpus will be integrated into various lexicographic projects, helping not only in the identification of neologisms but also in monitoring changes in already identified language phenomena.
In diesem Beitrag wird der in den vorliegenden zwei Bänden häufig verwendete Terminus ›Exklusion‹ systematisch und empirisch fundiert als akteursdifferenziertes Beschreibungselement interpretiert. Diese Akteursdifferenzierung(nach NS-Apparat, NS-affin, ausgeschlossen) bedeutet, Exklusion im Sinn einer sprachlich-kommunikativen Praktik bzw. Strategie und unter der Voraussetzung, dass wir es hinsichtlich der entsprechenden sprachlichen Realisate mit Identitätszu- und -abschreibungen zu tun haben, als Identitätsmanagement in den drei Handlungsperspektiven zu beschreiben.
Einleitung
(2022)
Führer
(2022)
Die folgende Analyse trägt der Zentralität des Führerkonzepts während des Nationalsozialismus Rechnung und skizziert – orientiert an der leitenden Akteurseinteilung in zentrale Repräsentanten des NS-Apparats, verschiedene Akteursgruppen der integrierten Gesellschaft und der Ausgeschlossenen sowie Akteure des Widerstands – ein differenziertes Bild des zeitgenössischen Sprachgebrauchs und der unterschiedlichen Verwendungsweisen des Führerkonzepts. Führer wird als nationalsozialistisches Leitkonzept konturiert, das eng mit weiteren Leitkonzepten wie Volk, Nation und Reich verknüpft war. Es besaß einerseits hohe integrative und affektive Kraft, diente andererseits – auf Seiten der Ausgeschlossenen, Dissidenten und des Widerstands – als Einsatzpunkt von Distanzierung und Kritik.
Einleitung
(2022)
Dieses Kapitel gibt einen Überblick über Korpora internetbasierter Kommunikation, die als digitale Ressourcen frei zur Verfügung stehen und für eigene linguistische Forschungsarbeiten genutzt werden können. In Abschnitt 1 erläutern wir korpuslinguistische Basiskonzepte, die für die Arbeit mit Korpora internetbasierter Kommunikation benötigt werden, und präzisieren die Sprachgebrauchsdomäne Internetbasierte Kommunikation, die den Gegenstand des hier beschriebenen Ressourcentyps bildet. Abschnitt 2 gibt einen Überblick zu existierenden Korpusressourcen für das Deutsche und stellt ausgewählte Korpora zu weiteren europäischen Sprachen vor. In Abschnitt 3 geben wir abschließend einen kurzen Einblick in aktuelle Forschungsfelder, die sich im Bereich der Korpuslinguistik und Sprachtechnologie in Bezug auf den Aufbau und die Aufbereitung von Korpora internetbasierter Kommunikation stellen.
Der Beitrag lässt sich hinsichtlich seines Gegenstands dem Bereich ,Sprache und Emotion' zuordnen. Seine Fragestellung bezieht sich auf die Kodierung von Gefühlen und auf deontisch markierte Ausdrücke. Datengrundlage sind Texte, die bisher von der Linguistik noch nicht erschlossen wurden. Es sind Berichte von Nationalsozialist*innen, die ihren Weg zur NSDAP schildern, in die sie in der späten Weimarer Republik eintraten. Der Beitrag analysiert diese Texte mit einem quantitativ-qualitativen Ansatz, indem er danach fragt, welche Gefühlsbezeichnungen in den untersuchten Texten verwendet werden und worauf sie referieren. Die Beantwortung dieser Fragen besteht in der Darstellung der lexikalisch-semantischen Kodierung von Gefühlen seitens der positiv und negativ emotionalisierten NS-affinen Mitglieder der Gesellschaft. Er leistet damit einen linguistischen Beitrag zur Entstehungsgeschichte des Nationalsozialismus.
Dieses Kapitel lotet Möglichkeiten und Methoden aus, digitale Diskursanalysen nationalsozialistischer Quellentexte durchzuführen. Digitale Technologie wird dabei als heuristisches Werkzeug betrachtet, mit dem der Sprachgebrauch während des Nationalsozialismus im Rahmen größerer Quellenkorpora untersucht werden kann. In einem theoretischen Abschnitt wird grundsätzlich dafür plädiert, während des Analyseprozesses hermeneutisches Sinnverstehen mit breitflächigen korpusbasierten Abfragen zu kombinieren. Verdeutlicht wird diese Herangehensweise an zwei empirischen Beispielen: Anhand eines Korpus von Hitler- und Goebbels-Reden wird dem Auftauchen und der diskursiven Ausgestaltung des nationalsozialistischen Konzepts „Lebensraum“ nachgespürt. Schritt für Schritt wird offengelegt, welche Analysewege durch das Abfragen von Schlüsseltexten, Keywords, Konkordanzen und Kollokationen verfolgt werden können. Das zweite Beispiel zeigt anhand von Eingaben, die aus der Bevölkerung an Staats- und Parteiinstanzen gerichtet wurden, wie solche Quellen mithilfe eines digitalen Tools manuell annotiert werden können, um sie danach auf Musterhaftigkeiten im Sprachgebrauch hin auswerten zu können.
In diesem Beitrag steht die sprachliche Konstitution von Eigengruppen und mit diesen assoziierten Partnergruppen im Vordergrund, deren zentrale Sprachgebrauchsmuster gezeigt werden. Der Beitrag basiert auf Auswertungen der im Projekt „Heterogene Widerkulturen: Sprachliche Praktiken des Sich-Widersetzens von 1933 bis 1945“ erstellten manuellen, soziopragmatisch orientierten Annotationen von 140 Widerstandstexten sowie auf korpuslinguistischen Auswertungen des Gesamtkorpus (554 Texte). Es soll gezeigt werden, dass eine linguistische Auseinandersetzung mit dem Gegenstand Ergebnisse der Widerstandsgeschichte produktiv vertiefen kann. So lässt allein schon die Betrachtung des pronominalen Referierens Schlüsse auf die sozialkulturelle Bindung der Widerstandsakteur/-innen zu.
Ausgehend von spezifischen historischen Diskursbedingungen und anknüpfend an Ansätze der Positionierungstheorie untersucht der Beitrag sprachliche Praktiken politischer Positionierung von Akteuren der integrierten Gesellschaft während des Nationalsozialismus. Am Beispiel einer Eingabe eines Katholiken sowie eines abgehörten Zellengesprächs zweier Wehrmachtssoldaten wird diskursanalytisch herausgearbeitet, wie verschiedene Identitätsdilemmata sprachlich verhandelt wurden und wie die Akteure dabei auf vorliegende politische Positionierungsangebote zurückgriffen, zugleich aber versuchten, ihre Positionen individuell auszugestalten.
Forschungskontext
(2022)
Die folgenden Beiträge von Heidrun Kämper, Britt-Marie Schuster, Nicole Wilk, Friedrich Markewitz, Mark Dang-Anh und Stefan Scholl stehen im Kontext zweier von der DFG geförderter Forschungsprojekte, die unter dem Gesichtspunkt einer sprachlichen Sozialgeschichte 1933 bis 1945 – als Tandemprojekte – seit 2018 von Britt-Marie Schuster, Nicole Wilk und Friedrich Markewitz in Paderborn und von Mark Dang-Anh, Stefan Scholl und Heidrun Kämper am IDS realisiert werden. Es sind jeweils Dreijahresprojekte, die 2021 abgeschlossen werden. Zur Einordnung der genannten Beiträge soll zuvor kurz in die Projektkonzeption eingeführt und ein Überblick über die Forschungsgegenstände gegeben werden.
Mit der Jahrestagung 2021 lenkte das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) den Blick auf die Wechselbeziehung zwischen Sprachgebrauch bzw. sprachlichem Handeln und der gesellschaftlich-politischen Wirklichkeit. Damit ist der Gegenstandsbereich der Tagung umrissen: Es geht um die politische und gesellschaftliche Dimension von Sprache. Das Institut entspricht mit diesem Tagungsthema in besonderer Weise seiner Aufgabe, die Sprache in der Gegenwart und in ihrer jüngeren Geschichte zu untersuchen.
Vorwort
(2022)
Das Archiv für Gesprochenes Deutsch und das Forschungs- und Lehrkorpus für Gesprochenes Deutsch
(2022)
Der Beitrag stellt das Archiv für Gesprochenes Deutsch (AGD) und das
Forschungs- und Lehrkorpus für Gesprochenes Deutsch (FOLK) als Ressourcen für die sprachwissenschaftliche Forschung vor. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf deren Potenzial für die sprachwissenschaftliche Forschung zu Sprachgebrauch in Gesellschaft und Politik.
Technische Innovationen, historische Ereignisse, sich wandelnde gesellschaftliche Gegebenheiten
oder politische Neuerungen – für eine funktionierende Verständigung muss sich
der Wortschatz ständig anpassen. Da kann es schnell passieren, dass man ein Wort hört oder
liest, das man noch nicht kennt oder bei dem man sich unsicher ist, wie man es schreibt oder
spricht. Und beim Nachschlagen in einem Wörterbuch, das neue Wörter verzeichnet, stellen
sich weitere Fragen: Welche Quellen werden für ein solches Neologismenwörterbuch ausgewertet,
wie kommt ein Wort dort hinein, und ab wann gilt es als gut integriert? Welche
Typen von Neologismen gibt es eigentlich?
Corona- und andere Partys
(2021)
Maske oder Mundschutz?
(2021)
Von Gummistiefelmomenten
(2021)
Zwischen den Jahren oder Eine Zeit zwischen den Zeiten. Sprachliche Betrachtungen zur „Normalität“
(2021)
Shutdown, Lockdown und Exit
(2021)
„systemrelevant“ – eine sprachwissenschaftliche Betrachtung des Begriffs aus aktuellem Anlass
(2021)
Between January 2020 and summer 2021, many new words and phrases contributed to the expansion of the German vocabulary in order to enable communication under the new conditions during the corona pandemic. This rapid expansion of vocabulary has most notably affected lexicography as a discipline of applied linguistics. General language dictionaries or terminological dictionaries have quickly reflected on how the German lexicon evolved during the corona pandemic: new entries were added, others were revised. This paper, however, focuses on the ways in which a German (specialized) neologism dictionary project, the "Neologismenwörterbuch" at the "Leibniz Institute for the German Language, Mannheim" published (online, see https://www.owid.de/docs/neo/start.jsp) has chosen to capture and document lexicographic information in a timely manner. Neologisms are (following the definition applied here) lexical units or senses/meanings which emerge in a language community over a specific period of time of language development, which diffuse, are generally accepted as language norms, and which the majority of speakers perceive as new for some time. Thus, the "Neologismenwörterbuch" used to record neologisms only retrospectively, that is after their lexicalization. As a consequence, users of the dictionary were often not able to obtain details on words that were particularly conspicuous at a particular time in a specific discourse, thus raising questions concerning their meaning, correct spelling, etc. This, however, did not imply that the lexicographers of the project had not already collected these words with some preliminary information in a list of candidates for inclusion in an internal database. Therefore, the project started to publish online an index of monitored words including lexical units that had emerged since 2011, for which only time will tell whether they will diffuse and manifest as language norms. This list format was used since April 2020 to also issue a compilation of corona-related neologisms as part of the "Neologismenwörterbuch". In October 2021, this inventory included more than 1.800 Corona-related neologisms, and still, more than 700 candidates in an internal database awaited lexicographic description and inclusion into the online index (see https://www.owid.de/docs/neo/listen/corona.jsp). In this paper many examples are presented to illustrate how new words, new senses and new uses in the context of the Covid-19 pandemic are reflected in the dictionary.
„Die vo hinge füüre“ – Sprachspott in der Nordwestschweiz am Beispiel der Velarisierung von mhd. nd
(2020)
Der vorliegende Aufsatz untersucht interdialektalen Sprachspott exemplarisch anhand des lautlichen Phänomens der Velarisierung von mhd. nd zu [ŋ]. Es wird einerseits mithilfe einer qualitativen Auswertung von metasprachlichen Laienkommentaren gezeigt, wie Sprachspott von Betroffenen wahrgenommen wird, und andererseits anhand von quantitativen Auswertungen der tatsächliche Sprachgebrauch des verspotteten Merkmals dargestellt. Daraus geht hervor, dass insbesondere junge Pendler/-innen den Sprachspott als negativ empfinden – und es sind denn auch vor allem die jungen Pendler/-innen, die die niedrigsten Velarisierungswerte in der Abfrage verzeichnen. Die Ergebnisse der Untersuchung liefern Evidenz dafür, dass nicht etwa das alleinige Vorkommnis von Sprachspott das Sprachverhalten beeinflusst, sondern dass die individuelle Einstellung der Betroffenen zum erlebten Spott ausschlaggebend ist für das jeweilige Sprachverhalten.
Mit Entwicklungen in der Welt entsteht auch ein neuer Wortschatz, insbesondere in Zeiten großer gesellschaftlicher Umbrüche oder bedingt durch Krisen, denn neue Dinge, neue Umstände, »neue Normalitäten« müssen bezeichnet werden, damit darüber kommuniziert werden kann. Zugleich steigt die Gebrauchshäufigkeit älterer Wörter, weil sie aktuell für die Verständigung besonders relevant werden. Die in diesem Glossar präsentierten Begriffe thematisieren solche sprachlichen Auswirkungen der Coronakrise.
Am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) wurde im Programmbereich „Lexikografie und Sprachdokumentation“ ein neuartiges Wörterbuch entwickelt, das leicht verwechselbare Ausdrücke in ihrem aktuellen öffentlichen Sprachgebrauch deskriptiv beschreibt. Im Jahr 2018 erschien das elektronische Nachschlagewerk „Paronyme – Dynamisch im Kontrast“, das sich durch folgende drei Aspekte auszeichnet:
1) Erstens liegen mehrstufige kontrastive Beschreibungsebenen und flexible Darstellungsformen vor;
2) zweitens sind die Bedeutungserläuterungen kognitiv-konzeptuell angelegt, um einer langen Forderung nach einer stärker kognitiv ausgerichteten Lexikografie Rechnung zu tragen;
3) drittens werden Datengrundlagen und Analysemethoden genutzt, mit denen umfassend Paronyme ermittelt und diese anschließend erstmals empirisch ausgewertet werden konnten.
Ziel des Beitrags ist es, in einer explorativen Untersuchung zu ermitteln, ob und wie in Deutschland und in Polen geschlechtergerechter Sprachgebrauch praktiziert wird. In beiden Gesellschaften wird derzeit mit den einschlägigen Verfahren noch experimentiert. Die feministische Presse spielt dabei eine Vorreiterrolle. Der Beitrag ist in drei inhaltliche Teile gegliedert. Der erste Teil schildert in knapper Form die Entwicklung in der sprachlichen Markierung von Sexuszugehörigkeit und -differenz, wie sie in der deutschen und der polnischen Gesellschaft in der Nachkriegszeit stattgefunden hat. Der zweite Teil befasst sich mit den sprachstrukturellen Grundlagen für die Möglichkeiten des ›Genderns‹ in beiden Sprachen. Hier werden sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede nachgewiesen. Der dritte Teil ist einer kleinen empirischen Studie gewidmet. Es werden Publikationen in erster Linie der feministischen Presse beider Länder aus der jüngsten Zeit auf ihren Umgang mit geschlechterdifferenzierender Sprache hin untersucht.
Sprache und Totalitarismus
(1964)
Türkisch in Deutschland
(2020)
Russisch
(2020)
Einleitung
(2020)
In diesem Beitrag werden neue, repräsentative Daten zur arealen Variation in Deutschland vorgestellt, die das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache im Rahmen der Innovationsstichprobe des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in der Befragungsrunde 2017/2018 erhoben hat. Zum einen wurde die Dialektkompetenz abgefragt; überindividuell zeigt sich hier das bekannte Nord-Süd-Gefälle, beim individuellen Grad der Kompetenz der Dialektsprecher gibt es aber regional nur geringe Unterschiede. Zum anderen wurden die Bewertungen von Dialekten erhoben; hier werden Norddeutsch und Bayerisch besonders positiv, Sächsisch hingegen besonders negativ bewertet, wobei regionale Muster eine Rolle spielen. Auffällig ist ferner die bundesweit sehr einheitlich positive Bewertung des Hochdeutschen.
Grammatik und Variation im Spannungsfeld von Sprachwissenschaft und öffentlicher Sprachreflexion
(2017)
Der Beitrag bezieht systematische und funktionale Faktoren zur Erklärung grammatischer Variation aufeinander, indem er ausgehend von der Annahme eines rekursiven Systems mit konfligierenden Teilsystemen ‚System‘ als Möglichkeitsraum für (funktional ausdifferenzierte) Variation versteht. Inwiefern die vom System bereitgestellten Möglichkeiten grammatischer Variation im Sprachgebrauch genutzt werden, diskutiert der Beitrag anhand der lexikographischen Praxis der Erfassung von grammatischer Variation im Dudenband 9 „Richtiges und gutes Deutsch“. Mit diesem Material werden nicht nur zentrale Bereiche grammatischer Variation rekonstruiert, sondern auch Zentralbereiche grammatischer Variation mit diasystematischen Variationsdimensionen korreliert.
Der Beitrag thematisiert einen in der Forschung bislang kaum beachteten Parameter für grammatische Variation im Standard: die Arealität. Im ersten Teil folgen Begriffsklärungen, zunächst zum Terminus areal (mit einer Stellungnahme zur Debatte um das Deutsche als plurizentrische bzw. pluriareale Sprache), dann zu der Frage, wie Standard als Gebrauchsstandard definiert werden kann und in welcher Relation dazu der Terminus Kodex steht. Danach wird mit Blick auf das Projekt „Variantengrammatik des Deutschen“ aufgezeigt, wie areale grammatische Variation im Deutschen empirisch zu beschreiben ist. Der letzte Teil präsentiert Fallbeispiele, anhand derer sich das Erfassen von Varianten - von der Recherche in einem areal ausgewogenen Korpus bis zu ihrer Kodifikation in den Gebrauchsstandards des Deutschen - nachzeichnen lässt.
Die linguistische Fundierung des Praktikenkonzepts kann von der starken Stellung des Konzepts in der Literalitätsforschung profitieren. Hier spielt der Begriff seit Beginn der kontroversen Diskussion zu den „Konsequenzen der Lite- ralität“ ab Beginn der 1980er Jahre eine zentrale Rolle. Die Forschung zeigt, dass „literacy practices“ als institutionell und kontextuell gebundene Formen des schriftlichen Sprachgebrauchs die pragmatischen Transmissionsriemen für den Aufbau literaler Kompetenz sind. An drei empirischen Bereichen, dem Erwerb von Textsortenwissen vor Beginn des eigenen Schreibens (protoliteraler Erwerb), dem Erwerb von phonologischer Bewusstheit und von Prozeduren des Textreferierens (schulischer Erwerb) und schließlich dem Erwerb von intertextuellen Praktiken wissenschaftlichen Zitierens (wissenschaftlicher Erwerb) diskutiert der Beitrag exemplarisch Leistungsmöglichkeiten und Grenzen praktikentheoretischer Konzepte für die Erklärung des beobachtbaren Sprachlernens.
Dieser Beitrag liefert eine Skizze eines gebrauchsbasierten integrativen soziokognitiven Modells des dynamischen Lexikons. Das Modell besteht aus drei Kernkomponenten: Handlungen in der aktuellen Sprachverwendung, kognitiven Prozessen und sozialen Prozessen. Die Komponenten des Modells werden zunächst einzeln beschrieben und dann zusammengefügt. Es wird gezeigt und anhand von zwei Beispielen illustriert, wie das Modell durch die systematische Beschreibung der Interaktion zwischen diesen Komponenten gleichzeitig Stabilität und Struktur sowie Variation und Wandel im Lexikon vorhersagt.
Die Universität als Vorbild/Spiegelbild/Zerrbild für Spracheinstellungen und Sprachgebrauch heute?
(2019)
Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, wie weit der mündliche Sprachgebrauch an der Universität und die damit verbundenen Spracheinstellungen Vorbild, Spiegelbild oder aber Zerrbild des alltäglichen Sprachgebrauchs und allgemeiner Spracheinstellungen sind. Aus heuristischen Gründen liegt der Fokus dabei auf Sprachformen jenseits des Standards, die üblicherweise nicht mit einem universitären Sprachgebrauch in Verbindung gebracht werden. Die Datenerhebung dokumentiert exemplarisch die Situation an der Universität Salzburg, die Auswertung kombiniert in einem Mixed-Methods-Ansatz quantitative und qualitative Methoden.
Für den öffentlichen Sprachgebrauch im Internet ist Facebook, das mit 15 Jahren zur älteren Generation von Social-Media-Sites zählt, nach wie vor hochrelevant. Im deutschsprachigen Raum ist es die am meisten genutzte Social-Media-Plattform (Newman et al. 2019). Zu den Diensten gehören unter anderem Facebook-Seiten (Pages), die von Unternehmen, Parteien, Medien und anderen Institutionen oder Individuen betrieben werden und als öffentliche Angebote prinzipiell auch von nicht bei Facebook angemeldeten Personen eingesehen werden können. Solche öffentlichen Facebook-Seiten sind als sites of engagement zwischen gesellschaftlichen Institutionen und Individuen reichhaltige Quellen für die linguistische Forschung.
Im Vergleich zu anderen Plattformen bietet Facebook aber nur einen eingeschränkten Zugriff auf diese öffentlichen Sprach- und Interaktionsdaten (Freelon 2018). Während beispielsweise für Twitter viele Tools zur Datensammlung existieren und auch die Plattform selbst eine ausgebaute Suchmaske bietet, erschweren die limitierten Suchmöglichkeiten der Facebook-Plattform und das fehlende Angebot von einfach nutzbarer Software linguistische Projekte in Forschung und Lehre. Gleichzeitig stellen sich neben den praktischen Fragen an vielen Stellen auch forschungsethische Fragen im Umgang mit Onlinedaten.
Die MoCoDa 2 (https://db.mocoda2.de) ist eine webbasierte Infrastruktur für die Erhebung, Aufbereitung, Bereitstellung und Abfrage von Sprachdaten aus privater Messenger-Kommunikation (WhatsApp und ähnliche Anwendungen). Zentrale Komponenten bilden (1) eine Datenbank, die für die Verwaltung von WhatsApp-Sequenzen eingerichtet ist, die von Nutzer/innen gespendet und für linguistische Recherche- und Analysezwecke aufbereitet wurden, (2) ein Web-Frontend, das die Datenspender/innen dabei unterstützt, gespendete Sequenzen um analyserelevante Metadaten anzureichern und zu pseudonymisieren, und (3) ein Web-Frontend, über das die Daten für Zwecke in Forschung und Lehre abgefragt werden können. Der Aufbau der MoCoDa-2-Infrastruktur wurde im Rahmen des Programms „Infrastrukturelle Forderung für die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften“ vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen gefordert. Ziel des Projekts ist es, ein aufbereitetes Korpus zur Sprache und Interaktion in der deutschsprachigen Messenger-Kommunikation bereitzustellen, das speziell auch für qualitative Untersuchungen eine wertvolle Grundlage bildet.
Die Kernaufgabe der Projektgruppe des DWDS besteht darin, den in den Korpora enthaltenen Wortschatz lexikografisch und korpusbasiert zu beschreiben. In der modernen Lexikografie werden die Aussagen zu den sprachlichen Aspekten und Eigenschaften der beschriebenen Wörter und zu Besonderheiten ihrer Verwendung auf Korpusevidenz gestutzt. Empirisch können riesige Textsammlungen Hypothesen genauer oder ausführlicher belegen. Dabei wird deutlich, wie vielfältig Sprache im Gebrauch tatsachlich realisiert wird. Zu diesem Zweck bieten wir auf der DWDS-Plattform neben den zeitlich und nach Textsorten ausgewogenen Kernkorpora und den Zeitungskorpora eine Reihe von Spezialkorpora an, die hinsichtlich ihres Gegenstandes oder ihrer sprachlichen Charakteristika von den erstgenannten Korpora abweichen. Die Webkorpora bilden einen wesentlichen Bestandteil dieser Spezialkorpora.
Wie wirkt sich das Schreiben kürzerer Texte in interaktionsorienterter Online-Kommunikation langfristig auf das Schreiben und die Qualität monologischer Texte aus? Auf diese Frage geht der Beitrag ein und präsentiert dazu empirische Daten aus einer Korpus-Vergleichsstudie, in der die Verwendung ausgewählter Konnektoren in einem Facebook-Korpus quantitativ und qualitativ analysiert und mit der Verwendung in dialogischen Texten von Wikipedia-Diskussionsseiten einerseits und in monologischen Texten wie Zeitungskommentaren und Schulertexten anderseits verglichen wurde. Die Analysen fokussieren darauf, wie Konnektoren in Online-Texten eingesetzt werden, ob sich spezifische Online-Verwendungen etablieren und ob „Spuren“ typischer Online-Verwendungen auch in normgebundener Umgebung nachweisbar sind.
♀ ☺ = ♂ ☺? Oder: Das Gelächter der Geschlechter 2.0: Emojigebrauch in der WhatsApp-Kommunikation
(2020)
Praktiken des 'doing', 'undoing' und 'indexing' von Gender finden sich auch in der computervermittelten Kommunikation, und es ist zu erwarten, dass sie sich dort ganz besonders im Gebrauch von Emojis niederschlagen. Zu erwarten ist dies, weil Emojis ein wichtiges Mittel zur Hervorbringung von Nähe, Emotionalität und Gruppenzugehörigkeit sind, und Gender ist ein Parameter, der bei diesen Aspekten eine Rolle spielt. In dem vorliegenden Beitrag soll auf der Basis der Mobile Communication Database 2 (MoCoDa2), einer Datenbank mit WhatsApp-Interaktionen, aus quantitativer und qualitativer Perspektive gefragt werden, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sich im Emojigebrauch von Männern und Frauen finden lassen.
Was macht eigentlich die Netzwerkforschung im Zusammenhang mit Beziehungen und deren Struktur in der digitalen Welt? Wie hängt Struktur und die Herausbildung von Kultur und Sprache zusammen? Obwohl Kultur noch mehr als Sprache umfasst, sind die Aushandlung von Kultur und die Anwendung von Kulturelementen kaum ohne Sprache vorstellbar. Sprache ist also integrativer Teil von Kultur - ohne Sprache keine Kultur. Die Herausbildung von Sprachkulturen ist wesentlicher Teil dieser Entwicklungen. Wenn wir nun auf den Zusammenhang von Netzwerken und Kultur schauen, so können wir feststellen, dass hier kaum eine Kausalität behauptet werden kann, sondern beides ist miteinander tief verwoben. Zunächst werden einige wichtige Aspekte der Netzwerkforschung exemplarisch angesprochen und mit eigener Forschung illustriert. Danach gehe ich auf einen Shitstorm ein, an dem ich einige Aspekte aus dem Anfangsteil noch einmal aufnehme.
In den Jahren 1985 bis 1995 hat in der Bundesrepublik Deutschland ein intensiver geschichtlicher Selbstdeutungsdiskurs stattgefunden, dessen Besonderheit darin besteht, daß es sich größtenteils um einen staatlichen Selbstverständigungsprozeß handelt, dessen Wurzeln sozusagen bis in die Embryonalphase der zweiten deutschen Republik zurückreichen. Es ging um das Verhältnis der Deutschen zum Nationalsozialismus und seinen bzw. ihren Verbrechen und um ihr Verhältnis zur geschichtlichen Zäsur vom 8. Mai 1945. Der Vortrag zeigt die wesentlichen Stationen des bereits 1945 einsetzenden Diskurses, in dessen Zentrum die Frage steht, ob sich Deutsche als Opfer des „Hitler-Terrorismus", d.h. von vornherein am 8. Mai 1945 als „Befreite“ fühlen oder interpretieren durften (wie es in der SBZ geschah), oder ob sie wegen ihrer Mitschuld (bzw. Kollektivschuld) als „besiegtes Volk", das eine „Niederlage" erlitten hatte, zu gelten hatten. Die Analyse zeigt die Diskrepanz von subjektiven Erlebniskategorien und politischen Interpretationen im Hinblick auf den 8. Mai 1945. Anhand der öffentlichen Interpretationen dieses Datums an den jeweiligen Jahrestagen ab 1955 wird versucht, den westdeutschen politischen Lernprozeß nachzuzeichnen, demzufolge sich die Deutschen angesichts ihrer Mitschuld am Nationalsozialismus nach dem 8. Mai 1945 als von außen Befreite verstehen durften und dürfen. Der oft verkürzte, als 'Streit über Befreiung oder Niederlage' wahrgenommene Diskurs ist situiert in einem Netz geschichtsdeutender Selbstinterpretationen, in dem es u. a. um Vokabeln wie 'Machtergreifung', 'Machtübernahme', 'Machtübergabe'; 'Kollektivschuld', 'Schuld', 'Mitschuld'; 'Reichskristallnacht', 'Reichspogromnacht', 'Pogromnacht'; 'Drittes Reich' und 'Viertes Reich'; 'Invasion' oder 'Landung der Alliierten' geht. Der Vortrag zeigt, wie sich in öffentlichen, zumal in staatlichen Diskursen über geschichtsinterpretierende Vokabeln die Kontroversen und sich wandelnden Bewertungen und Einstellungen zu unserer eigenen Geschichte artikulieren, wie also mit der öffentlichen Durchsetzung lexikalisch ‘autorisierter' Geschichten eine Herstellung und Modifikation unserer eigenen Geschichte einhergeht.
Variation im Sprachgebrauch - 'angenommen' und 'vorausgesetzt' als einbettende Prädikatsausdrücke
(2019)
„[…] die Partei soll weg. Aber sonst soll sich nicht viel am Regierungssystem ändern. Man hat an sich nichts gegen das Hakenkreuz und auch nichts gegen Hitler, wiewohl die Kritik jetzt Hitler keineswegs noch immer ausnimmt. Oft heißt es: ,Er hats a net zusammenbracht.‘" (Deutschlandberichte II, 896)
Dieser Bericht vom August 1935 gibt die Haltung der Bevölkerung zum NS-Regime mit in diesem Fall dialektal gefärbter Alltagssprache wieder. Unter anderem Texte wie dieser sind Grundlage eines Projekts, dessen Konzeption im Folgenden vorgestellt wird. Der Projektplan sieht eine kulturlinguistische Verortung des Gegenstands ‚Sprachliche Sozialgeschichte 1933 bis 1945‘ vor. Die Umsetzung des kulturlinguistischen Zugangs richtet sich auf zwei Kernideen, die eine Idee ist die der Perspektivendifferenz - wir werden unsere Analysen nach Akteuren unterschieden anlegen. Die zweite Kernidee orientiert die Analysen an dem anthropologischen Leitkonzept des Authentischen. Dieses Forschungskonzept werde ich im Folgenden erläutern.
Einleitung
(2018)