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Sprache ist nie homogen, sie weist Varianz auf. Es gibt viele Gründe für diese Vielfalt, und die meisten sind schon sehr gut beschrieben worden (und sollen daher im vorliegenden Beitrag nicht im Vordergrund stehen). Gegenspieler der Varianz sind die mehr oder weniger expliziten Normen - sie sollen dafür sorgen, dass die Varianz ein gewisses Maß nicht überschreitet. Wobei sich natürlich sofort die Frage stellt, wie (und von wem) das „Maß“ definiert wird. Bei der Beurteilung dieser Fragen spielen nicht nur soziolinguistische, sondern auch strukturelle Aspekte eine Rolle, und Letzterem wird der vorliegende Beitrag nachgehen, und zwar anhand von Beispielen aus der Morphophonologie, der Morphosyntax und der Orthografie.
Deutsch hat außer Indikativ und Imperativ zwei weitere Modi: Konjunktiv I und Konjunktiv II. Dies ist gegenüber Ansätzen zu betonen, die von einem einzigen Konjunktiv ausgehen und Formen wie „er käme“, „er stünde“ als Konjunktiv Präteritum bezeichnen. Diese Terminologie verschleiert die Leistung des Konjunktivs II - ja man kann geradezu sagen, dass die morphologischen Probleme, die der Konjunktiv II in der Gegenwartssprache hat, damit zusammenhängen, dass er gerade nicht das morphosyntaktische Merkmal Präteritum aufweist, sondern unter Verlust dieses Merkmals - also nur der äußeren Form nach - vom Indikativ Präteritum abgeleitet ist. Mit anderen Worten: Der deutsche Konjunktiv II hat ein Ikonizitätsproblem. In den einzelnen Regionen des deutschen Sprachraums haben die Sprecherinnen und Sprecher dieses Problem mit unterschiedlichen Strategien bewältigt. Allerdings hat kaum eine dieser Strategien Eingang in die Standardsprache gefunden - gerade die traditionelle normative Grammatik hat nicht nur Einwände gegen Funktionswörter wie etwa „von“ oder „tun“, sondern auch gegen kreative Morphologie. Am Anfang des 21. Jahrhunderts lässt sich nun konstatieren, dass die Bemühungen um die Erhaltung der alten Konjunktivformen und der Kampf gegen morphologische und syntaktische Neuerungen ausgesprochen kontraproduktiv waren: Das tatsächlich verwendete Konjunktiv-II-System der Gegenwartssprache ist ärmlicher, als es - von der Ausgangslage aus gesehen - hätte werden können.