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„Man sollte den Buchstaben des Gesetzes ins Alphabet aufnehmen“ : hintergründige Wörtlichkeiten
(2005)
„An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, ein Roßhändler, namens Michael Kohlhaas, Sohn eines Schulmeisters, einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit.“
So beginnt einer der besten Meister der deutschen Syntax Heinrich von Kleist vor zweihundert Jahren seine berühmte Novelle „Michael Kohlhaas“, die ihren Ursprung nach Angaben des Autors in einer alten Chronik aus dem 16. Jh. hat. Dieser Satz besteht aus dem zweiwertigen Verb „leben“ und drei Satzgliedern: Lokalbestimmung „An den Ufern der Havel“, Temporalbestimmung „um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts“ und Subjekt „ein Roßhändler, namens Michael Kohlhaas, Sohn eines Schulmeisters, einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit“. Da der Autor über ein Ereignis aus der Vergangenheit berichtet, nennt er, wie heute in der Zeitung üblich, gleich am Anfang den Ort, den Zeitpunkt und den Hauptakteur des Geschehens. Wir erfahren, dass der Hauptakteur „ein Roßhändler, namens Michael Kohlhaas“ ist und dazu noch einige Informationen aus seiner Biografie, mit denen bei den Lesern das Interesse an der Novelle erweckt werden sollte: „einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit“. Dass der „Roßhändler“ „Michael Kohlhaas“ heißt, wissen wir aufgrund der Bedeutung des Wörtchens namens, das diese zwei Nominalphrasen verbindet (oder auch trennt). Und um dieses Wörtchen geht es in diesem Text.
Als ich hier zum ersten Mal stand, hingen in Mannheimer Bäckereien Pappschilder, auf denen zu lesen war: „Hurra, die Berliner sind da. Das Stück zu 30 Pfennig!“ Ich habe das damals für eine besonders freundliche Begrüßung der mehr als 20 Berliner Mitarbeiter des gerade aufgelösten Berliner Zentralinstituts für Sprachwissenschaft gehalten, auch wenn der Preis etwas untertrieben war. Dass wir damals überhaupt nach Mannheim kommen konnten, hatten wir ganz wesentlich Gert Stickel und seinen Mitstreitern an der IDS-Spitze, dem Präsidenten Siegfried Grosse und dem Mitdirektor Rainer Wimmer, zu verdanken. Ich freue mich, dass ich unseren Dank heute hier auch vor Ihren Ohren wiederholen darf. Ihr gemeinsamer Entschluss, das IDS für Mitarbeiter des Berliner ZISW zu öffnen, hat uns die fachliche Weiterarbeit ermöglicht und war für die alten IDSler zumindest auch deshalb interessant, weil die personelle Erweiterung eines der wichtigsten Argumente für den Umzug des IDS aus den Obergeschossen der Tankstelle in der Friedrich-Karl-Straße in dieses schöne Gebäude hier in R 5 war. Erinnern möchte ich bei dieser Gelegenheit aber auch an Dieter Viehweger, der in der entscheidenden Phase die Berliner Seite in den Gesprächen mit dem IDS vertreten hat. Als ich nach Viehwegers viel zu frühem Tod zum Direktor des ZISW gewählt wurde, war nur noch die „Abwicklung“ des Akademie-Instituts, darunter auch die Abwicklung längst getroffener Verabredungen zwischen IDS und ZISW zu sichern. Ich möchte die heutige Gelegenheit nutzen, Ihnen zu demonstrieren, welches unkontrollierte Gut wir Berliner damals in unseren Köpfen mit uns führten: sprachliche „Errungenschaften“, schöne und hässliche. Die DDR liebte Errungenschaften, solche und solche. „Auferstanden aus Ruinen“ ist die deutsche Sprache im 20. Jahrhundert allerdings mehrmals. Ein Gesamtbild sprachlicher Errungenschaften des vergangenen Jahrhunderts entwerfen zu wollen, wäre vermessen, deshalb die im Thema angekündigte Konzentration auf ganz wenige ausgewählte Erbstücke.