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Einleitung
(1997)
Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, wie unter den organi- sations- und situationsstrukturellen Bedingungen einer spezifischen sozialen Situation - das Filmset als professioneller Handlungsrahmen - Verstehen hergestellt und als empirisch manifestes Phänomen dokumentiert wird. Es geht zum einen darum, spezifische, für das konkrete professionelle Handlungsfeld konstitutive Verstehensanforderungen zu rekonstruieren. Zum anderen sollen auf der Grundlage dieses Profils spezifischer Handlungsanforderungen zwei Verfahren der Verstehensdokumentation im Detail analysiert werden.
Der Beitrag beschäftigt sich auf der Grundlage einer Einzelfallanalyse mit der Frage, wie Personen erkennbar machen, dass sie an einer Interaktion beteiligt sind. Die Frage, wer auf welche Weise und mit welchen Rechten und Pflichten an einer Interaktion teilnimmt/teilnehmen darf, und woran dies die Beteiligten und der Analytiker erkennen, gehört zu den etablierten Fragestellungen der Interaktionsanalyse. Im vorliegenden Beitrag wendet sich der Autor diesem Thema mit einem spezifischen Erkenntnisinteresse zu: Ihn interessiert, wie Personen, die über eine längere Phase keinen verbalen Beitrag zur Interaktion leisten, verdeutlichen, dass sie sich ungeachtet ihrer verbalen Abstinenz als Teil der laufenden Interaktion verstehen und verhalten. Oder, um es im Vorgriff auf spätere konzeptuelle Überlegungen zu formulieren: Dass sie Mitglieder/Beteiligte eines Interaktionsensembles sind, ohne sich verbal an dessen Konstitution zu beteiligen. Im Zentrum des Erkenntnisinteresses steht die Frage nach den Ressourcen, die von den verbal abstinenten Interaktionsbeteiligten eingesetzt werden, um zu verdeutlichen, dass sie an einer laufenden Interaktion teilnehmen und die Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden in den Beteiligungsformaten, die sie dabei produzieren.
Die Fallanalyse rekonstruiert aus multimodaler Perspektive eine Unterstützungsinteraktion im Unterricht. Die Unterstützung wird dabei als gemeinsame Herstellung des daran beteiligten Schülers und Lehrers konzeptualisiert. Es werden detailliert die vom Schüler produzierten Hinweise auf seine „Hilfsbedürftigkeit“ und die vom Lehrer eingesetzten Ressourcen bei seiner Hilfeleistung konstitutionsanalytisch rekonstruiert. In der falltranszendierenden Theoretisierung wird mit Bezug auf das gesprächsrhetorische Konzept „Unterstützen“ die Spezifik interaktiver Hilfeleistungen im Unterricht als konstitutive Anforderung an das professionelle Handeln von Lehrer/innen reflektiert.
Aus psychologischer Sicht wird Verstehen als ein kognitiver Prozess begriffen. Im Gegensatz dazu stellt der Aufsatz einen konversationsanalytischen Zugang zu Verstehen dar. Es wird rekonstruiert, wie Verstehen in Gesprächen durch verschiedene Verfahren der Verstehensdokumentation verdeutlicht und durch wechselseitig aufeinander bezogene Reaktionen ausgehandelt wird. Anhand von sechs Gesprächssequenzen wird eine linguistische Typologie von Verstehensdokumentationen in der Interaktion vorgestellt. Auf Basis der Fallanalysen werden grundlegende Eigenschaften von Verstehensdokumentationen sowie Aufgaben, die die Interaktionsteilnehmer bei der Produktion von und bei der Reaktion auf Verstehensdokumentationen bearbeiten, rekonstruiert. Dazu gehören: Identifikation des Bezugs von Verstehensdokumentationen, Interpretation des Verstehensgegenstands, Sicherung der Verständlichkeit und Legitimität (accountability) der Verstehensdokumentation, Herstellung des Bezugs der Verstehensdokumentation zu den praktischen Zwecken der laufenden Interaktion, Aushandlung intersubjektiven Verständnisses, rhetorische Nutzung von Verstehensdokumentationen und ihr indikativer Bezug auf Beteiligungsrollen und sozialstrukturelle Rahmen der Interaktion.
This article explores how close one can come to a cultural-scientific perspective on the basis of a constitution-analytical methodology. We do this on the basis of a comparison of the celebration of Totensonntag in Zotzenbach (Southern Hesse) and Sarepta (Wolgograd). In both places, there are protestant churches that perform this ritual to commemorate the dead on this “Sunday of the Dead” as a part of their church service. Our scientific interest lies in the reconstruction of the rituality produced during the in situ execution. In both services, the names of the deceased are read out and a candle is lit for each deceased person. In Zotzenbach the priest reads out the names and an assistant ignites the candles for the deceased, whereas in Sarepta the bereaved are responsible for this. Since the ritual is organised in very different ways in terms of architecture-for-interaction (statically in Zotzenbach, spatially dynamic in Sarepta), we can reconstruct two completely different models of rituality: a demonstrative one (Zotzenbach) and a participative one (Sarepta). The demonstrative model works on the basis of a finely tuned coordination between the two church representatives and is aimed at a dignified execution. The model in Sarepta is not suitable for the production of formality due to its participatory structure. Here, however, the focus is also on the aspect of socialization, which goes beyond the church service and offers the Russian-German worshipers the opportunity to situationally constitute as a culturally homogeneous group.
In diesem Aufsatz wird einzelfallanalytisch der Frage nachgegangen, wie die Struktur einer Kirchenbesichtigung aussieht. Im theoretischen Rahmen, der die Kirchenbesichtigung als kulturelle Praktik konzeptualisiert, wird „Objektkonstitution“ als eine aktive Leistung des Kirchenbesichtigers in den Blick genommen. Bei den Aufnahmen zum Kirchenbesichtigungskorpus wurden die Besichtiger nicht nur bei ihrem Gang durch den Kirchenraum und der visuellen Wahrnehmung bestimmter Raumaspekte gefilmt. Sie wurden vielmehr darum gebeten, ihre visuelle Wahrnehmung durch begleitendes Sprechen auch zu kommentieren. Aufgezeichnet wurde das Besichtigungskorpus mit zwei Kameras: einer Actionkamera, die den Wahrnehmungsraum der Besichtiger dokumentiert, und einer Kontextkamera, die ihnen bei ihrem Weg durch den Raum folgt.
Dieses experimentelle Erhebungsdesign, bei dem exothetisches Sprechen bewusst als wissenschaftliche Erhebungsmethode eingesetzt wird, macht es möglich, das Besichtigungskonzept der Personen als dynamisches Zusammenspiel ihrer visuellen Wahrnehmung des Kirchenraums und ihrer wahrnehmungsbegleitenden Exothese zu rekonstruieren. Dass Objektkonstitution eine aktive Herstellung ist, durch die der Kirchenraum in den Relevanzen seines Betrachters teilweise neu entsteht, zeigt die Fallanalyse in exemplarischer Klarheit: Anton, der analysierte Besichtiger, der sich ausführlich mit zwei großen Gemälden beschäftigt, konstituiert diese de facto als „Bilderrahmen“, ohne überhaupt auf die dargestellten Szenen einzugehen.
Das Konzept De-facto-Didaktik ist der theoretische Rahmen, in dem wir aus multimodal-interaktionsanalytischer Sicht Unterrichtskommunikation analysieren. Es integriert neue Entwicklungen im Bereich Interaktionstheorie, empirische Interaktionsanalyse und Raumlinguistik. Aus einer dezidiert interaktionistischen Perspektive fokussiert das Konzept zunächst bewusst allgemeine Anforderungen der Interaktionskonstitution, um spezifische Aspekte der Unterrichtskommunikation - im konkreten Fall primär das didaktische Handeln der Lehrer - neu perspektivieren zu können. Wie immer man das Geschehen im Unterricht auch konzeptualisieren mag, es ist und bleibt in seiner grundlegenden Struktur und - jenseits seiner institutionellen Prägung und Bedingtheit - ein Ereignis, das in der konkreten Interaktionsarchitektur des Klassenraums, sequenziell-simultan durch das multimodale Verhalten aller Anwesenden gemeinsam hervorgebracht wird. Dabei unterliegen alle Beteiligten ungeachtet ihrer besonderen Beteiligungsrolle den Bedingungen der Interaktionskonstitution.
Wir werden nachfolgend die interaktionstheoretischen Grundlagen skizzieren, auf der unsere Methode der de-facto-didaktisehen Analyse basiert, und führen dann an einem ausgewählten Beispiel vor, wodurch sich dieser analytische Zugang auszeichnet. Zum Abschluss weisen wir nach einem fallspezifischen Resümee auf die anwendungsbezogene Relevanz de-facto-didaktischer Analysen hin.