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Das Verhältnis von Norm und Schreibgebrauch bestimmt die Orthografieforschung und den orthografischen Diskurs nicht erst seit der Rechtschreibreform 1996. Wurde der Normbegriff lange Zeit als relativ statische Größe verortet, so erhielt er durch im 21. Jahrhundert verstärkt zu beobachtende Schreibwandelprozesse signifikante Impulse für Modifikationen, die eine offenere Entwicklung einleiteten. Besonders deutlich ist dies an Fremdwörtern und insbesondere an Fremdwort-Neologismen abzulesen. So belegt die empirische Beobachtung von Anglizismen, wie soziokulturelle Entwicklungen Sprach und Schreibveränderungen bewirken. Mit Bezug auf das Amtliche Regelwerk wird gezeigt, wie ein neu herausgebildeter Usus zur Modifizierung einzelner Regeln und Schreibungen führen kann und damit auch zu einem flexibleren, dynamischeren Normbegriff.
Mehrsprachigkeit gehört zu den Themen, zu denen wohl viele Menschen eine Meinung haben. Der Wert traditioneller schulischer Fremdsprachen wird dabei häufig hervorgehoben, während Wert und Erhalt von Herkunftssprachen Zugewanderter hinterfragt werden. Einstellungen gegenüber Sprachen sind demnach abhängig vom Prestige der jeweiligen Sprachen und ihrer Sprecher:innen. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass Deutschland überwiegend als ein einsprachiges Land mit einer einsprachigen Gesellschaft angesehen wird. Ähnliches gilt im Übrigen auch für Österreich. So schreibt beispielsweise der Sprachwissenschaftler Heiko Marten, „dass in der Wahrnehmung großer Teile der österreichischen Gesellschaft Monolingualismus nach wie vor die Norm ist“ (Marten 2016, S. 165). Diese Annahme gilt auch für den schulischen Kontext, wie die Erziehungswissenschaftlerin Ingrid Gogolin mit dem Begriff des „monolingualen Habitus“ herausgearbeitet hat (vgl. Gogolin 2008). Gründe für einen monolingualen Habitus könnten darin liegen, dass „von Teilen der Allgemeinheit oft übersehen [wird], dass in Deutschland auch zahlreiche weitere Sprachen gesprochen werden“ (Marten 2016, S. 148). Doch was passiert nun, wenn eine Sprache einen Statuswechsel von Landessprache zu Herkunftssprache durchläuft? Was lässt sich beobachten, wenn beispielsweise das Deutsche zu einer Minderheitensprache wird?
In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung spielen derzeit Entwicklungen in den theoretischen und empirischen Erkenntnissen zur Orthographie(entwicklung), zum Schrift- und Orthographieerwerb und zur Orthographiedidaktik sowie aktuelle Entwicklungen im Schreibgebrauch eine zentrale Rolle. Globalisierung und Internationalisierung befördern in der gesprochenen und der geschriebenen Sprache die Aufnahme zahlreicher neuer Fremdwörter, vor allem Entlehnungen aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum, in den deutschen Fach- und Allgemeinwortschatz und damit Entwicklungen im Schreibgebrauch. Auch neue digitale Medien begünstigen veränderte, nutzungsorientierte Vermittlungsstrategien orthographischer Inhalte. Und nicht zuletzt stellt die intensiv geführte Debatte über gendersensible Schreibung unter Verwendung von Sonderzeichen (wie Asterisk oder Doppelpunkt im Wortinneren) die Schreibgemeinschaft vor Herausforderungen.
Das Amtliche Wörterverzeichnis ist ein wesentlicher Teil des für Schulen und Behörden verbindlichen Amtlichen Regelwerks, dem wissenschaftlichen Referenzwerk für die deutsche Orthografie. Dem Wörterverzeichnis kommt eine entscheidende Funktion zu: Es exemplifiziert anhand einzelner Lemmata die Anwendung der Regeln und kodifiziert darüber hinaus Einzelfälle, die aus dem Regelteil nicht eindeutig ableitbar sind. Im vorliegenden Beitrag wird die auf der Basis empirischer Schreibbeobachtung erarbeitete Neukonzeption vorgestellt, die mit der Konzentration auf prototypische Fallbeispiele repräsentative orthografische Zweifelsfälle im gegenwärtigen Wortschatz des Deutschen aufgreift, sie mit Bezug auf die geltende Norm und den Schreibgebrauch klärt, in der neuen digitalen Fassung auch visualisierend veranschaulicht und auf diese Weise aktuellem Nutzungsverhalten Rechnung trägt.
Diese Monografie setzt sich neu mit Laiengedanken zur deutschen Sprache auseinander. Mit einem kleinen, aber aussagekräftigen Korpus von rund 480 schriftlichen Äußerungen muttersprachlicher und nichtmuttersprachlicher Laien zwischen 1992 und 2023 fokussiert sie sich durch viele Detailanalysen erstens auf Themen, die Laien bewegen, zweitens auf Argumente, die Laien zur Bekräftigung ihrer Ansichten anführen, und drittens auf Ausdruckstopoi, mit denen Laien argumentieren.
Die Monografie ist Ideengeber vor allem für linguistische, soziolinguistische, psychologische und gesellschaftspolitische Projekte zum Laiendiskurs im öffentlichen Raum, speziell für Projekte zu brisanten, aktuell heftig diskutierten Themen wie Antirassismus und Gendern, für Projekte zu Anglizismen, für Projekte zu Sprachwandel, Sprachverfall, Sprachpflege und Sprachpurismus, für Projekte zu Jugendsprache und Generation sowie für Projekte zur Sprache als Herrschaftsinstrument.
In dieser Reihe teilen Tagungsteilnehmende ihre persönlichen Eindrücke vom Forum Citizen Science 2023 in Freiburg. Im zweiten Beitrag berichtet Rahaf Farag, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Programmbereich Dokumentationszentrum der deutschen Sprache am IDS Mannheim, von spannenden Diskussionsrunden, projektübergreifenden Gemeinsamkeiten und der Vielfalt der Projektausrichtungen.
Von Januar bis Juli 2023 gestalten Grundschulkinder aus dem Mannheimer Vielfaltsquartier Neckarstadt-West zusammen mit der Kinderbuchautorin und Illustratorin Anke Faust in Kooperation mit dem Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) ein Buch. Sie erzählen darin von den Abenteuern, die ihre Figuren in der Neckarstadt-West erleben, und welche Sprachschätze sie dabei finden können. Kooperationspartner des IDS für dieses Projekt sind unter anderem der Campus Neckarstadt-West, die Alte Feuerwache Mannheim gGmbH und der Verein Neckarstadt Kids e.V.
Wie können Kinder und Jugendliche ihren mehrsprachigen Alltag im Mannheimer Vielfaltsquartier Neckarstadt-West erforschen – gemeinsam mit Forschenden des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache und seinen Kooperationspartnern, dem Campus Neckarstadt-West, der Alten Feuerwache Mannheim gGmbH und dem Verein Neckarstadt Kids e.V.?
Wir wollen die Potenziale von Citizen Science in einem sprachbezogenen Projekt ausloten:
- für die Etablierung vertrauensvoller Zusammenarbeit zwischen den jungen Citizen Scientists und der sprachwissenschaftlichen Forschung,
- für hochwertige Bildungsangebote im Sinne der UN-Nachhaltigkeitsziele und
- für neue Impulse im Bereich der Sprachkontakt- und Mehrsprachigkeitsforschung.
In diesem Beitrag skizzieren wir die Ziele, Fragen und Methoden unseres Projekts und geben Einblicke in die bisher durchgeführten und im Jahr 2023 geplanten Aktionen.