P1: Interaktion
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Metadaten zu Gesprächen und den beteiligten Sprecher/-innen enthalten Informationen, die für die Beschreibung, Erschließung und Analyse von Korpora wichtig sind. Bisher werden sie jedoch in der Konversationsanalyse und der Interaktionalen Linguistik so gut wie nicht genutzt. Dieser Beitrag zeigt exemplarisch, wie Metadaten des Gesprächskorpus „Forschungs- und Lehrkorpus Gesprochenes Deutsch“ (FOLK) im Rahmen einer interaktionslinguistischen Untersuchung verwendet werden können, um Regularitäten der Verwendung einer untersuchten Gesprächspraktik zu identifizieren und ihren Zusammenhang mit den Eigenschaften von Aktivitäten und Sprecherrollen zu klären. In allgemeinerer Perspektive diskutiert der Beitrag, wie und an welchen Stellen einer interaktionslinguistischen Untersuchung Metadaten von Nutzen sein können und wie ihr Stellenwert im Rahmen dieser Methodologie kritisch reflektiert werden muss.
This contribution investigates the use of the Czech particle jako (“like”/“as”) in naturally occurring conversations. Inspired by interactional research on unfinished or suspended utterances and on turn-final conjunctions and particles, the analysis aims to trace the possible development of jako from conjunction to a tag-like particle that can be exploited for mobilizing affiliative responses. Traditionally, jako has been described as conjunction used for comparing two elements or for providing a specification of a first element [“X (is) like Y”]. In spoken Czech, however, jako can be flexibly positioned within a speaking turn and does not seem to operate as a coordinating or hypotactic conjunction. As a result, prior studies have described jako as a polyfunctional particle. This article will try to shed light on the meaning of jako in spoken discourse by focusing on its apparent fuzzy or “filler” uses, i.e., when it is found in a mid-turn position in multi-unit turns and in the immediate vicinity of hesitations, pauses, and turn suspensions. Based on examples from mundane, video-recorded conversations and on a sequential and multimodal approach to social interaction, the analyses will first show that jako frequently frames discursive objects that co-participants should respond to. By using jako before a pause and concurrently adopting specific embodied displays, participants can more explicitly seek to mobilize responsive action. Moreover, as jako tends to cluster in multi-unit turns involving the formulation of subjective experience or stance, it can be shown to be specifically designed for mobilizing affiliative responses. Finally, it will be argued that the potential of jako to open up interactive turn spaces can be linked to the fundamental comparative semantics of the original conjunction.
Die Arbeit wurde vom Verein für Gesprächsforschung mit dem Dissertationsförderpreis 2020 ausgezeichnet.
Bis heute gehört die Frage, wie InteraktionsteilnehmerInnen verstehen, welche von mehreren möglichen Lesarten eines sprachlichen Formats im jeweiligen Kontext gilt, zu den größten Herausforderungen der Konversationsanalyse. Aufbauend auf den Erkenntnissen über soziales Handeln in der Interaktion in Sprechakttheorie und Konversationsanalyse beschäftigt sich diese Arbeit mit dem Verhältnis zwischen rekurrenten sprachlichen Formaten und sozialen Handlungen. Im Fokus stehen interrogative und deklarative Modalverbformate: soll ich...?, kannst du...?, willst/magst/möchtest du...?, du kannst... und ich kann...
Eine umfassende, korpusdatengestützte Untersuchung zu diesen Formaten im Deutschen fehlte bisher. In der Forschung zu anderen Sprachen wurden vergleichbare Formate eingehender untersucht, aber fast ausschließlich in Bezug auf direktiv-kommissive Handlungen, wie Bitten, Aufforderungen, Angebote, Vorschläge etc., während das breitere Handlungsspektrum und -potenzial der Formate nicht aufgezeigt wurde.
Die vorliegende Untersuchung zeigt auf,
1. welches Handlungsspektrum die untersuchten Formate aufweisen,
2. wie die Komposition eines Turns, dessen Position (i.e., in der laufenden Sequenz, in der Interaktion, in der Aktivität oder in der Interaktionsgeschichte) sowie weitere kontextuelle Faktoren (wie z.B. die Verteilung von epistemischen und deontischen Rechten) dazu beitragen, wie das Format als diese oder jene Handlung in der Interaktion verstanden wird, und
3. welches Handlungspotenzial bzw. welche globale Handlungsbedeutung das jeweilige Format aufweist.
Die Untersuchung bedient sich der Methodik der Konversationsanalyse und der Interaktionalen Linguistik und beruht auf mehr als 500 Belegen aus Videoaufnahmen natürlicher Interaktion aus dem FOLK-Korpus.
Die vorliegende Arbeit zeigt, welche Handlungen mit den untersuchten Formaten vollzogen werden und welche Rolle unterschiedliche Faktoren (wie die Position des Turns, die Verteilung von deontischen und epistemischen Rechten, und die Verantwortung für das Projekt, auf das sich die Handlung bezieht, das Agens der künftigen Handlung, das nonverbale Verhalten von Interagierenden während der Realisierung des fokalen Turns etc.) dafür spielen, wie das jeweilige Format verstanden wird. Überdies wird nachgewiesen, welche weiteren linguistischen Merkmale (wie z.B. Vorkommen von Adverbien und Modal- bzw. Abtönungspartikeln, Argumentrealisierung, Wortfolge, Semantik des Vollverbs etc.) zusätzlich zum Modalverbformat für Handlungskonstitution und -zuschreibung relevant sein können und wann. Somit werden Faktoren herausgearbeitet, die für die weitere Entwicklung des Konzeptes ‚Format für soziale Handlungen‘ notwendig sind.
Die Arbeit zeigt, dass eine umfassende Analyse des gesamten Handlungsspektrums der Verwendung sprachlicher Formen auf Basis eines großen Korpus notwendig ist, um die für bestimmte Handlungsfunktionen relevanten Realisierungs- und Kontextbedingungen korrekt identifizieren zu können und vorschnellen Schlüssen über die Assoziation von linguistischen Formaten mit bestimmten Handlungen vorzubeugen. Trotz unterschiedlicher feingranularer Funktionen der Formate ist allerdings stets eine Kernbedeutung feststellbar, die zum Handlungspotenzial des jeweiligen Formats beiträgt.
This paper presents observations on the phonetic realisations of the German particles ja – ‘yes’ and naja – approximately ‘well’. As part of a large-scale study on the particle ja, we identified numerous instances in the dataset that had been orthographically transcribed as ja, but were phonetically realised as [nja]. Using phonetic and functional parameters, we explore the question whether these instances can be attributed to either the lexeme ja or naja. While phonetic measurements yield ambivalent results, analyses of pragmatic parameters such as function and turn position seem to indicate that [nja] was predominantly intended to be ja, although some functional differences between ja and [nja] could also be identified.
In this paper, we address two problems in indexing and querying spoken language corpora with overlapping speaker contributions. First, we look into how token distance and token precedence can be measured when multiple primary data streams are available and when transcriptions happen to be tokenized, but are not synchronized with the sound at the level of individual tokens. We propose and experiment with a speaker based search mode that enables any speaker’s transcription tier to be the basic tokenization layer whereby the contributions of other speakers are mapped to this given tier. Secondly, we address two distinct methods of how speaker overlaps can be captured in the TEI based ISO Standard for Spoken Language Transcriptions (ISO 24624:2016) and how they can be queried by MTAS – an open source Lucene-based search engine for querying text with multilevel annotations. We illustrate the problems, introduce possible solutions and discuss their benefits and drawbacks.
Auch Linguist*innen, die gesprochene Sprache untersuchen, kommen schon seit längerem nicht mehr ohne digitale Infrastrukturen aus. Seit Beginn der Gesprochene-Sprache-Forschung werden Gespräche aufgezeichnet und anschließend transkribiert, da die flüchtigen, innerhalb von Bruchteilen von Sekunden stattfindenden Feinheiten des Gesprochenen paradoxerweise nur durch Verschriftung im Detail untersucht werden können. Diese Detailuntersuchungen beschränkten sich im vergangenen Jahrhundert meist auf wenige Einzelbelege für ein untersuchtes Phänomen. Das heißt, die Forschenden hatten den unmittelbaren Überblick über ihre Datenkollektionen und benötigten keine elaborierten digitalen Methoden zu deren Aufbereitung, Annotation und Analyse. Dies hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten stark geändert: Es wurden vermehrt gezielt große Datenmengen gesammelt, in Datenbanken organisiert und der Forschungsgemeinschaft zur Nutzung zur Verfügung gestellt. An erster Stelle muss hier das Forschungs- und Lehrkorpus gesprochenes Deutsch (FOLK) genannt werden (vgl. Schmidt 2014). Dieses wird seit 2008 am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) aufgebaut und ist heute das größte Referenzkorpus für das gesprochene Deutsch.
Dieser Beitrag analysiert, wie sich Verbosität als Widerstandsphänomen sprachlich-interaktional manifestiert. Widerstand gilt in der psychodynamischen Therapie als Schutzfunktion der Patienten vor Veränderung, die den Fortschritt der Therapie hemmt, ist aus therapeutischer Sicht jedoch ein wertvoller Indikator für dahinterliegende, bedeutungsvolle Erfahrungen der Patienten. Gegenstand der Analyse sind drei Fallbeispiele aufgezeichneter ambulanter, psychodynamischer Therapiesitzungen. Die folgenden Merkmale von Verbosität sind Ergebnisse der Untersuchung: a) eine Themenverschiebung zu Beginn der jeweiligen Erzählung; b) Erzählgegenstand sind dritte, nicht anwesende Personen und/oder alltägliche Begebenheiten; c) Emotionen werden wenig oder gar nicht thematisiert; d) die Erzählungen weisen einen hohen Detailliertheitsgrad auf. Therapeuten behandeln die Erzählungen nur implizit als verbos durch eine zunächst abwartende Haltung, wenig bis keine Nachfragen sowie die Thematisierung von Emotionen und der Bedeutung des Gesagten für die Patienten selbst. Außerdem lenken sie das Gespräch auf die Patienten bzw. auf das vorherige Gesprächsthema oder übertragen die erzählte Geschichte auf die aktuelle Gesprächssituation.
Sogenannte „Pragmatikalisierte Mehrworteinheiten“ sind im Deutschen hochfrequent und unterliegen bisweilen tiefgreifenden phonetischen Reduktionsprozessen. Diese können Realisierungsvarianten hervorbringen, die in der Rückschau auf mehr als eine lexematische Ursprungsform zurückführbar sind. Die vorliegende Studie untersucht mit [ˈzɐmɐ] einen besonders prägnanten Fall dieser Art anhand eines Perzeptionsexperimentes.
Lean syntax: how argument structure is adapted to its interactive, material, and temporal ecology
(2020)
It has often been argued that argument structure in spoken discourse is less complex than in written discourse. This paper argues that lean argument structure, in particular, argument omission, gives evidence of how the production and understanding of linguistic structures is adapted to the interactive, material, and temporal ecology of talk-in-interaction. It is shown how lean argument structure builds on participants' ongoing bodily conduct, joint perceptual salience, joint attention, and their Orientation to expectable next actions within a joint project. The phenomena discusscd in this paper are verb-derived discourse markers and tags, analepsis in responsive actions, and ellipsis in first actions, such as requests and instructions. The study draws from transcripts and audio- and video-recordings of naturally occurring interaction in German from the Research and Teaching Corpus of Spoken German (FOLK).
Interaktionale Semantik
(2020)