Fachsprache
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Recht und Sprache stehen seit jeher in einer systematischen Verknüpfung. Die Epochenwende um 1500 begründet wichtige rechtliche und sprachliche Gegebenheiten, die bis in die Gegenwart wirksam sind. Ausgehend von der geschichtswissenschaftlichen Formel der ,Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen' werden die Veränderungen im Rechtssystem und in den Kommunikationsformen der Frühen Neuzeit als komplexe Transformation mittelalterlicher Vorstellungen dargestellt. Exemplarisch wird auf die sprachgeschichtlichen Konsequenzen der Rezeption des römischen Rechtes ebenso eingegangen wie auf die Veränderungen in der Wissensverteilung und die Stellung des Deutschen gegenüber dem Latein des Mittelalters wie des Humanismus.
Sprache, Recht und Öffentlichkeit - Gesellschaftliche Relevanz des Themas aus linguistischer Sicht
(2002)
In Zeiten des moralischen oder technischen Wandels werden die in der Allgemeinsprache sedimentierten bzw. aufgehobenen Werte und Grenzlinien fragwürdig, und der allgemeinsprachliche Diskurs gerät in Spannung zu den rechtsprachlichen Spezialdiskursen der Gesetzgebung und der Rechtsprechung. Was man sagt, was sagen wir, wann - im Hinblick auf die Abtreibungsproblematik oder das Klonen von Embryonen - „das Leben" oder „Leben" beginne, ab wann, sagt man, sagen wir, sei - im Hinblick auf die Organverpflanzung - „der Mensch tot"? Soll die gleichgeschlechtliche Partnerschaft eine „Ehe" genannt werden, sollten RU 486 und Viagra „Medikamente" oder „Tötungspille" bzw. „Lifestylepille" heißen? Über diese und ähnliche Sach- und Sprachfragen wird bei der Rechtsformulierung im Parlament und seinen Nebenorganen .parliert' oder bei der Rechtsprechung im Gericht das Urteil „im Namen des Volkes" (heißt das auch im Namen der Sprache des Volkes?) gesprochen. Was in solchen Brisanzphasen aus sprachwissenschaftlicher Perspektive augenscheinlich wird, soll an zwei Beispielen verdeutlicht werden: Einmal geht es um die in den frühen 80er Jahren beobachtbare Wandlung der Verwendung des Wortes Bullen (als Bezeichnung von Polizisten) vom beleidigenden Schimpfwort zur umgangssprachlichen Fremd- und Selbstbezeichnung (in Filmen des Schimanski-Genres bzw. in Ausdrücken wie Bullenballett, Bullenorden) und um die analoge Wandlung in der Rechtsprechung über dieses problematische „Sprachdelikt". Zum anderen geht es um den medien öffentlichen und parlamentarisch-öffentlichen Streit um die Artikulation eines neuen Grenzpunktes zwischen Leben und Tod im Hinblick auf die Organverpflanzung. Dabei besteht das sprachlich Dilemmatische dieses Problemverhalts darin, dass zum Zeitpunkt des Hirntodes der Mensch unter dem Gesichtspunkt des Schutzes durch das Grundgesetz „so tot wie nötig" und vom Standpunkt der Organspende aus „so lebendig wie möglich" sein soll. Immer handelt es sich auch um sprachliche Handlungen mit immensen gesellschaftlichen Folgen.
Fachsprachenerwerb, sprachliche Dressur und versteckte Wertungen in der deutschen Juristenausbildung
(2002)
1. Bestimmte Sprachformen werden in der deutschen Juristenausbildung in einem Maße eingeübt, dass die Bezeichnung Dressur berechtigt ist. Fachsprache in einem anspruchsvollen Sinn des Begriffs spielt dabei Nebenrolle.
2. Die starke Konzentration auf die Einübung bestimmter Wort- und Satzfolgen stehen in Gegensatz dazu, dass Wertungen von rhetorischer Stimmungsmache beeinflusst werden. Als Analyseinstrument sind Regeln der Eristik wichtig, aber wichtiger sind wohl rhetorische Mittel, die die Sprachwissenschaft untersuchen könnte. Die problematische Zusammenführung von Sprachreglementierung und Stimmungsmache ist in der Ausbildung nicht Thema.
3. An die Sprachwissenschaft wird der Appell gerichtet, sich mit der Sprache in der Juristenausbildung zu beschäftigen, weil die Juristenausbildung der wissenschaftlichen Aufklärung über sich selbst dringend bedarf.
Der Beitrag nimmt die sprachlichen Defizite aufs Korn, die sich in fast allen deutschen Landesverfassungen finden und leider zahlreiche Novellierungen überdauert haben. Verschraubte Syntax und altertümlicher Fachjargon führen zu missverständlichen, oft unfreiwillig komischen Texten. Besonders die Sprache der Verfassungen Bayerns und Baden-Württembergs ist reparaturbedürftig: Diesen beiden Gesetzeswerken sind die meisten Beispiele für solch stilistisches Unvermögen entnommen.
Vom Großen im Kleinen – Über kulturelle Ressourcen juristischer Interaktionen und Darstellungen
(2002)
Aus der Perspektive der linguistischen Verfahrensbeobachtung mit Tonbandaufnahme und anschließender Transkription wird der Versuch unternommen, die sprachlichen Verhaltensformen vor dem Einzelstrafrichter am Amtsgericht genauer zu sichten. Wie jede andere Kommunikation muss auch die gerichtliche Kommunikation darauf gerichtet sein, in der inhaltlichen Thematisierung des verhandelten Falles jeweils Verständigung zu erreichen über das, was verstanden und als was es verstanden wird. Juristisch kodifizierte Verfahrensschritte reichen zur Charakterisierung nicht aus. Anspielungen auf weiterreichende Themen und großräumige' Diskurseinlagerungen sind üblich. Sie bewirken, dass bestimmte Formulierungen und Details eher akzeptiert werden als andere, dass bestimmte Erzählungen leichter über- und angenommen werden als andere. Solche Einlagerungen fungieren als Plausibilisierungsschübe. Die Überzeugungskraft erhöht sich, wo kulturelle Ressourcen in die Formulierungen einfließen: märchenähnliche Analogien, mythische Erzählungen, allgemeinere kulturelle Schemata. Sie tragen dazu bei, dass die Herstellung von Übersichtlichkeit in der Gemengelage der gerichtlichen Interaktionen gelingt. Dies soll in diesem Beitrag aufgezeigt werden (Schwerpunktmäßig werde ich vor allem auf ein Prozessbeispiel - „Verschwörung im Fotohaus" - eingehen).
Für die These, dass Gesetzestexte Grenzgänger zwischen Recht und Politik seien, muss in einem ersten Teil ein Gegensatz aufgebaut werden zwischen dem politischen Diskurs und dem Diskurs des juristischen Normtextes: Der Gesetzestext, wiewohl ein Kind der Politik und von Politik umstellt, ist vom Ideal her etwas ganz anderes als ein politischer Text. Ist die Grenze zwischen den Diskursen dann einmal gezogen, kann in einem zweiten Teil den sprachlichen Elementen des Politischen in Gesetzestexten nachgefragt werden. Das soll mit Beispielen aus der schweizerischen Bundesverfassung, aber auch aus schweizerischen Gesetzen und Verordnungen gezeigt werden. Das Politische hat linguistisch besehen allerlei Gestalt: Es ist zu fassen mit Kategorien der Textfunktion, es zeigt sich in einem bestimmten Umgang mit Implizitheit und Explizitheit, im Einsatz rhetorischer Mittel, vor allem aber im Wortschatz. Bei diesem stellt sich im Besonderen die Frage, welche ausserrechtlichen Bereiche die Gesetzestexte lexikalisch alimentieren und was mit den Wörtern beim Wechsel vom politischen in den juristisch-normativen Diskurs passiert. Anhand von zwei Beispielen wird diesen Fragen etwas intensiver nachgegangen. In einem dritten Teil wechselt die Perspektive: Die Behauptung ist nun, dass die Sprache von Gesetzestexten an sich etwas Politisches ist und die Arbeit an dieser Sprache (Gesetzesredaktion) mithin eine politische: seien das die generellen Bemühungen um Verständlichkeit; der tabulose redaktionelle Eingriff, der immer auch ans Materielle rührt; die bewusste Wahl und Abwahl von Bezeichnungen und damit der Positionsbezug in Wortkämpfen; oder der Einsatz für eine geschlechtergerechte Gesetzessprache. In einem Resümee wird schliesslich die akademische Linguistik von der Praxis der Gesetzesredaktion zu vermehrter Vor-, Mit- und Nacharbeit in Fragen der Gesetzessprache eingeladen.
Parlamentarischer Diskurs als Schnittstelle zwischen politischer Allgemeinsprache und Rechtssprache
(2002)
Zu Beginn dieses Beitrages werden Debattenrede und Gesetz als die prototypischen Textsorten des parlamentarischen Diskurses miteinander konfrontiert. Ferner wird skizziert, in welcher Weise auf debattierte Gesetzentwürfe referiert wird. Im zweiten Teil wird der Blick erweitert auf die Vielfalt der Kommunikationstypen, Textsorten und intertextuellen Relationen, die den legislatorischen Prozess als Schnittstelle zwischen politischer Meinungsbildung und dem Formulieren von Gesetzen prägen. Im dritten und letzten Teil wird versucht, auf argumentationstheoretischer Grundlage deutlich zu machen, dass im parlamentarischen Diskurs keine Vermischung der Teilsysteme Politik und Recht stattfindet und dass dies sich insbesondere darin manifestiert, dass der Gesetzestext dort etwas gänzlich anderes ist als der Gesetzestext im Rechtssystem. Als Belegmaterial werden Texte aus drei parlamentarischen Beratungsprozessen beigezogen, die jeweils auf ihre Weise signifikant sind für legislatorische Kommunikation in der Bundesrepublik Deutschland: In Texten aus der Asylrechtsdebatte im Jahre 1993 geht es um eine Grundgesetzänderung. Die Texte zur Änderung des § 34 im Baugesetzbuch aus dem Jahr 1986 gehören dagegen der parlamentarischen Alltagsauseinandersetzung um ein „einfaches Gesetz" von weit geringerer politischer Brisanz an, beachtet vor allem in den betroffenen Fachkreisen. Der dritte Beratungsprozess, aus dem Texte herangezogen werden, betrifft das Ratifizierungsgesetz zu einem Staatsvertrag, und zwar einem der wichtigsten, der in den Jahrzehnten der deutschen Teilung abgeschlossen wurde: dem Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR im Jahre 1973.
Das Recht überbringt seine Verbindlichkeiten durch Sprache, nimmt damit kulturelle Gemeinsamkeiten der Rechtsgemeinschaft auf und regelt in dieser Kontinuität von Sprache und Kultur eine Ordnung des mitmenschlichen Zusammenlebens. Dabei bemüht sich die Rechtssprache um Nüchternheit und Rationalität, um ihre Aussagen möglichst verlässlich zu überbringen. Allerdings ist jeder Rechtssatz auslegungsbedürftig, weil die Vielfalt der regelungsbedürftigen Fälle oft nicht vorausgesehen und auch nicht prägnant begriffen werden kann, das Verstehen der Aussage auch vom Gesetzesadressaten abhängt, die Rechtssprache vielfach wegen ihrer Verbindlichkeit auch auf Sprachumdeuter und Sprachfälscher trifft. Die Bestimmtheit eines Rechtssatzes unterscheidet sich nach der Striktheit der Anordnung, der Spezialität des Regelungsbereichs, der Vervollständigung der Regel durch die Realität oder durch die Autorität des Regelnden. Interpret des Rechts ist dessen Sprecher. Zunächst spricht der Gesetzgeber im Gesetzestext bewusst in einer entpersönlichten Form, um ein Höchstmaß an Objektivität, Problemoffenheit und Allgemeinheit sicherzustellen. Sodann steht der Rechtsstaat für Nachfragen zu dem mit seinem Wort Gemeinten bereit. Er spricht durch die gesetzesanwendende Behörde mit dem Betroffenen über Inhalt und Auswirkungen des Gesetzes in der konkreten Lebenssituation, zieht Folgerungen aus dem Gesetz für den Einzelfall in der sprachlichen Form eines Verwaltungsaktes, eröffnet für den nicht einverstandenen Adressaten die Möglichkeiten von Widerspruch oder Einspruch, garantiert bei zweifelhaftem oder streitigem Recht den Weg zu den Gerichten, zur Recht-Sprechung. Der Verfassungsstaat unterliegt also nicht dem Irrtum, allein durch den Wortlaut des Gesetzes gleiche Rechtsfolgen an alle Gesetzesadressaten überbringen und diese auch für zukünftige, noch nicht vorausgesehene Anfragen an das Recht festschreiben zu können. Die Bindung der Rechtsgemeinschaft an das Recht wird in einem arbeitsteiligen Sprachvorgang gesichert: Der Gesetzgeber regelt die langfristigen, generellen, auf Dauer verbindlichen Vorgaben; die Verwaltung verdeutlicht diese Vorgaben für Gegenwart und Einzelfall; die Rechtsprechung überprüft diese Gesetzesanwendung in der Verantwortlichkeit des letztverbindlichen Sprechers. Der Rechtsstaat ist stets offen für das Gespräch über die geltenden Rechtsverbindlichkeiten und ihre Auswirkungen im individuellen und konkreten Einzelfall.