Deutsche Mundarten
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Sprache im Gepäck. Von den vielfältigen Dialekten der Deutschen in der ehemaligen Sowjetunion
(2021)
Im Gepäck der etwa 2,5 Millionen der in den letzten rund dreißig Jahren in die Bundesrepublik eingewanderten (Spät-)Aussiedler aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion befand sich ein großes immaterielles Erbe. Dieses war nicht auf alle gleichermaßen verteilt, bei dem einen mehr, bei der anderen weniger spürbar und ist immer weniger geworden. Es handelt sich dabei um die mitgebrachten »russlanddeutschen« Dialekte. Was sind das für Dialekte und wer spricht sie noch?
In diesem Buch werden auf einer großen empirischen Basis die regionalen Sprechweisen von verschiedenen Bevölkerungsgruppen in einem kleinen Gebiet im alemannischen Sprachraum untersucht. Als Datengrundlage dienen aktuelle, spontansprachliche und fragebuchbasierte Daten, die einander gegenübergestellt und diachron mit den Ergebnissen des Südwestdeutschen Sprachatlas (SSA) aus den 1970er Jahren verglichen werden. Es werden vorwiegend datenaggregierende Verfahren angewendet, um die regionale und soziale Gebundenheit der vorgefundenen Variation zu erfassen. Mit Hilfe von Dialektabstandsmessungen werden ausgewählte, überwiegend phonologische Merkmale im Hinblick auf Dialektwandelprozesse untersucht. Außerdem wird gezeigt, dass mit dialektometrischen Verfahren explorative Aggregatanalysen möglich sind, die es erlauben, Sprachräume zu identifizieren und dialektologisch zu beschreiben.
The European language world is characterized by an ideology of monolingualism and national languages. This language-related world view interacts with social debates and definitions about linguistic autonomy, diversity, and variation. For the description of border minorities and their sociolinguistic situation, however, this view reaches its limits. In this article, the conceptual difficulties with a language area that crosses national borders are examined. It deals with the minority in East Lorraine (France) in particular. On the language-historical level, this minority is closely related to the language of its (big) neighbor Germany. At the same time, it looks back on a conflictive history with this country, has never filled a (subordinated) political–administrative unit, and has experienced very little public support. We want to address the questions of how speakers themselves reflect on their linguistic situation and what concepts and argumentative figures they bring up in relation to what (Germanic) variety. To this end, we look at statements from guideline-based interviews. In the paper, we present first observations gained through qualitative content analysis.
This paper explores how attitudes affect the seemingly objective process of counting speakers of varieties using the example of Low German, Germany’s sole regional language. The initial focus is on the basic taxonomy of classifying a variety as a language or a dialect. Three representative surveys then provide data for the analysis: the Germany Survey 2008, the Northern Germany Survey 2016, and the Germany Survey 2017. The results of these surveys indicate that there is no consensus concerning the evaluation of Low German’s status and that attitudes towards Low German are related to, for example, proficiency in the language. These attitudes are shown to matter when counting speakers of Low German and investigating the status it has been accorded.
Historiquement, les variétés germaniques de la Moselle-Est (ancienne région Lorraine) font partie du continuum dialectal de l’allemand. Après la Seconde Guerre mondiale, leur utilisation (y compris celle de l’allemand standard) a été fortement réprimée et la francisation résolument poursuivie. Depuis quelques décennies maintenant, des efforts ont été faits pour élever les dialectes de la Moselle-Est au statut de langue indépendante afin de marquer une distance par rapport à la langue allemande, de permettre leur identification et de pouvoir les réutiliser. Le paysage linguistique donne une bonne indication de la manière dont coexistent les différents groupes linguistiques et une indication sur le statut de leurs langues. Dans le cadre d’une analyse qualitative, les contextes d’apparition, les fonctions et les auteurs des éléments linguistiques visibles dans l’espace public en allemand standard et dialectal seront discutés pour la Moselle-Est. Il s’avère qu’ils constituent des exceptions notables, distribuées de manière significative. L’allemand (standard) apparaît dans les inscriptions historiques ainsi que dans le domaine des relations internationales, et est donc implicitement exogénéisé. En revanche, on trouve le dialecte (appelé « platt ») dans des contextes ayant des références locales et portant sur des aspects identitaires.
In diesem Beitrag werden neue, repräsentative Daten zur arealen Variation in Deutschland vorgestellt, die das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache im Rahmen der Innovationsstichprobe des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in der Befragungsrunde 2017/2018 erhoben hat. Zum einen wurde die Dialektkompetenz abgefragt; überindividuell zeigt sich hier das bekannte Nord-Süd-Gefälle, beim individuellen Grad der Kompetenz der Dialektsprecher gibt es aber regional nur geringe Unterschiede. Zum anderen wurden die Bewertungen von Dialekten erhoben; hier werden Norddeutsch und Bayerisch besonders positiv, Sächsisch hingegen besonders negativ bewertet, wobei regionale Muster eine Rolle spielen. Auffällig ist ferner die bundesweit sehr einheitlich positive Bewertung des Hochdeutschen.
Politische Grenzen haben nachweislich sowohl auf den Sprachgebrauch als auch auf die Sprachwahrnehmung einen großen Einfluss. Die vorliegende Arbeit analysiert für den die Länder Deutschland, Österreich und Italien übergreifenden bairischen Sprachraum, wie Sprecher/Hörer diesen räumlich (horizontal-areal) sowie hinsichtlich seines Verhaltensspektrums (vertikal-sozial) gliedern. Dabei werden die Wahrnehmungen sprachlicher und außersprachlicher Merkmale und die Einstellungen dazu genauer betrachtet.
Mithilfe eines pluridimensionalen Erhebungssettings, bestehend aus Tiefeninterview, Online-Fragebogen, Mental-Map-Erhebung und Hörerurteilstest, kann gezeigt werden, dass extralinguistische Barrieren, wie etwa politische Grenzen, stark mit attitudinal-perzeptiven Grenzen korrelieren. Damit stellt im Bewusstsein der Befragten auch die Staatsgrenze zwischen Deutschland und Österreich eine Sprachgrenze dar.
Zur Erforschung der generationsbedingten Variation im pfälzischen Sprachinseldialekt am Niederrhein
(2012)
Albert Verdoodt: Der Stand der deutschen Sprache im Elsaß, Lothringen, Luxemburg und Ostbelgien
(1969)
Dialektologie und interpretative Soziolinguistik am Beispiel des Sprachwandels im Rhein-Neckar-Raum
(2000)
Baiern im Raum
(2018)
Dialektologische Fachtagung Bredevoort und Doetinchem (Niederlande), 14. bis 17. September 1996
(1998)
Der Beitrag referiert Forschungsstand, Behandlung und Bewertung von standardsprachlich regionalen Aussprachevarianten in der Duden-Grammatik, dem Duden-Aussprachewörterbuch sowie dem Aussprachewörterbuch von Siebs. Weiter werden Regionalismen der Standardsprache, an Beispielen aus dem Atlas zur Aussprache des Schriftdeutschen (mit Karten), dargestellt. Abgeschlossen werden die Ausführungen durch einen Vorschlag zur Integration der vorhandenen Forschungsergebnisse in den Unterricht Deutsch als Fremdsprache: „Ausgangssprachenorientierte Lehrnormen”, d.h. Ausrichtung der Lehrnormen an den tatsächlich vorhandenen Ausspracheformen von gebildeten deutschen Sprechern bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Fähigkeiten und der bei den Lernern vorhandenen Artikulationsweisen.
Die traditionelle „mitteldeutsche” Dialektlandschaft zwischen dem niederdeutschen Norden und dem oberdeutschen Süden ist als in Auflösung begriffen zu deuten, wenn man den 'alltäglichen' Gebrauch der Dialekte als Beurteilungskriterium einbezieht. In den verschiedenen Landschaften dieses Raums entwickeln sich - von situativen, sozialen und auch individuellen Parametern gelenkt - neue sprachliche Verwendungsmuster im Alltag, die von einem breiten Vordringen der Standardsprache im nördlichen Westmitteldeutschen und im angrenzenden westlichen Thüringen über die Herausbildung und vorherrschende Verwendung neuer substandardsprachlicher Varietäten in weiten Teilen Thüringens, Sachsens und der Ballungsgebiete entlang des Rheins bis zu einem verwendungsgesteuerten Nebeneinander von alten Dialekten und neuen Varietäten im südlichen Bereich des Westmitteldeutschen reichen. Diese aus punktuellen und kleinräumigen Untersuchungen gewonnenen Einsichten lassen einen umfassenden „Atlas der deutschen Alltagssprache” und einen „Varietätenzensus” als dringende Forschungsdesiderate erscheinen.
Der Beitrag will zunächst einiges von dem, was über das Südtiroler Deutsch kursiert, zurechtrücken, da die Auffassung von der Überflutung durch italienische Interferenzen auf Untersuchungen zurückgeht, die einmal in einer ganz anderen Situation erfolgt sind und zum anderen mit damals noch wenig ausdifferenzierten soziolinguistischen Parametern gemacht wurden. Es wird zugegeben, daß es Interferenzen gibt, es wird aber auch nachgewiesen, daß es einen kreativen Umgang mit der Situation der Mehrsprachigkeit gibt. Es wird weiters die These vertreten, daß im mündlichen Sprachgebrauch in Südtirol eine österreichische Sprachtradition weiterlebt, während man sich im Schriftlichen seit der Nachkriegszeit immer mehr dem Binnendeutschen zugewandt hat.
Derzeit ist ein interessanter Prozeß der Verschiebungen im Dialekt-Hochsprache-Kontinuum zu beobachten, wie etwa die Bildung eines Ausgleichsdialektes und das Umsichgreifen einer neuen Zwischenstufe, die nach Mattheier als „unfeines Hochdeutsch” definiert wird.
Die sprachliche Situation in Österreich ist ähnlich beschaffen wie im angrenzenden Süddeutschland: starke „allgemeine” Dialektalität in dialektgeographisch sehr verschiedenartiger Gestalt mit wichtigen Binnengrenzen, andererseits aber auch ein äußerst differenziertes Spektrum sogenannter umgangssprachlicher Ebenen und auch eine sehr lebendige gegenwärtig vor sich gehende Hinwendung zu regionalen Verkehrssprachen. Dazu kommt eine vor allem sprachpolitisch motivierte Diskussion um das österreichische Deutsch als einer „eigenständigen” nationalen Variante der deutschen Standardsprache, in der in diesem Beitrag eine sprachraumintegrative, antinationalistische Position bezogen wird.
Der beinahe uneingeschränkte mündliche Gebrauch schweizerdeutscher Dialekte führt zur Frage, ob sich - bedingt durch die aus dieser besonderen Diglossiesituation zwangsläufig resultierenden vielfältigen Dialektkontakte - Veränderungstendenzen abzeichnen, die zu einer Koiné, einem einheitlichen Schweizerdeutschen führen. Anhand von Daten aus einem umfangreichen Korpus können verschiedenartige Wandeltendenzen festgestellt werden, die in ihrer Gesamtheit nicht die Veränderung hin zu 'einer' Koiné Schweizerdeutsch an - zeigen, sondern eher die Ausbildung großräumiger, aber binnenschweizerisch nach wie vor räumlich aufgegliederter Dialekte nahelegen, die ihrerseits einen gewissen linguistischen Abstand zur Standardsprache aufrecht erhalten.
Areale Variation und phonologische Theorie: Überlegungen am Beispiel der mitteldeutschen Epenthese
(1997)
Anhand der vor allem in den mitteldeutschen Orts- und Regionaldialekten verbreiteten sog. Vokalepenthese wird gezeigt, wie phonologische Theorienbildung und dialektologische Beschreibung sich ergänzen und inspirieren können. Um die dialektologischen Fakten im Zusammenhang der sog. Vokalepenthese nicht nur lexikographisch und dialektkartographisch zu erfassen, sondern auch zu verstehen, ist es notwendig, sich über die Art dieses Phänomens Gedanken zu machen. Im vorliegenden Beitrag wird insbesondere diskutiert, ob und wie Modelle aus der Artikulatorischen Phonetik, der Autosegmentalen Phonologie, der Optimalitätstheorie und der zweidimensionalen Variationsphonologie zur Erklärung der Vokalepenthese dienen können.
Nach dialektologischer Theorie verwischen sich die örtlichen und regionalen Unterschiede zwischen den Mundarten immer mehr, wofür eine lange Reihe plausibler Begründungen genannt wird, und heimatfromme Städter beklagen den bevorstehenden Mundarttod.
Die Sprachwirklichkeit entspricht diesem Bilde nicht. Die irrtümlichen Erwartungen der Mundartentwicklung sind zum einen darin begründet, daß immer mehr Menschen auf dem Land mehrere Sprachvarietäten beherrschen, die sie je nach Situation benützen, in der Stadt also eine städtische, und zum anderen darin, daß immer weniger Dialektologen auf die Dörfer gehen, um dort die Selbstverständlichkeit des Mundartgebrauchs zu erleben.
Über "Diglossie"
(1976)
"Dialektverfall" und "Mundartrenaissance" in Westniederdeutschland und im Osten der Niederlande
(1997)
Nach jahrhundertelangen Prozessen der Vereinheitlichung des Sprachgebrauchs in der wachsenden Stadt Berlin kam es infolge der Teilung Berlins nach 1945 zum Bruch und im Ost- und im Westteil zu unterschiedlichen Entwicklungen in der Struktur, Verwendung und sozialen Bewertung der Sprachvarietäten sowie bei Sprachvarianten. Seit der Grenzöffnung 1989 ergaben sich daraus oft auch kommunikative und soziale Probleme. In umfangreichen empirischen Untersuchungen wurden sprachliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede ermittelt. Zahlreiche Textanalysen ermöglichten im Berlinischen Vergleiche der Sprachschichten, der Art der Sprachvariation, der Variantenhierarchie und der Variationsbreite. Ein Teil der sprachlichen Verschiedenheiten dient noch immer auch zur Identifizierung und Abgrenzung.
Vorwort des Herausgebers
(1997)
Der nicht selten als dialektfrei geltende norddeutsche Raum erweist sich in Wahrheit als ein kompliziertes Mehrsprachenland. Neben der in der Regel gut beherrschten Standardsprache finden sich die dem Standard gegenüber deutlich unterschiedenen Abstandsprachen Niederdeutsch und Friesisch sowie das Dänische. Ihre Statusproblematik, die geographische Verteilung und die Kommunikativität der die norddeutsche Sprachsituation bildenden Sprachen werden erläutert, wobei auch das kulturelle Umfeld, in dem sich das Sprachennebeneinander entfaltet, beschrieben wird. Der Schwerpunkt der Ausführungen liegt auf dem Niederdeutschen, für dessen vielfältige Verwendung Textbeispiele angeführt werden.
Vorbemerkung
(1988)
Traditionally, research on language change has been a post-mortem activity, focused on isolated changes that are complete and often only documented in written texts. In the 1960s the field was advanced considerably by Labovian sociolinguistics and the investigation of “change in progress” adduced through patterns of community-internal linguistic variation correlated with external facts about speakers such as age and class (see Labov 1994 for an overview). However, despite the many benefits of such work on “dynamic synchrony,” we still know relatively little about how language change unfolds over the lifetimes of individual speakers, that is, in real time (cf. Bailey et al. 1991). The logistical challenges of such research are, of course, considerable. Whereas it is straightforward for psycholinguists to observe language development in children over the course of a few years, documenting changes in the verbal behavior of individuals over several decades is by contrast much less feasible. Nevertheless, present theoretical models of language change could be considerably improved by the results of real-time studies.
The most important modern research on characteristic features and the history of language usage in Berlin are those of Agathe Lasch and Hermann Tetjchebt. Both authors disagree on the question of Upper Saxon influence on early Berlin language. As early as the end of the 18th century there was a lively discussion of problems concerning the representative standard of German pronunciation and other regional differences by teachers of Berlin grammar schools. They recommended a Northern German variant of pronunciation instead of the traditional Saxon one. The membership of the Royal Academy of Sciences gave them an occasion to find a public audience and to produce a noticeable effect.
When collecting linguistic data using translation tasks, stimuli can be presented in written or in oral form. In doing so, there is a possibility that a systematic source of error can occur that can be traced back to the selected survey method and which can influence the results of the translation tasks. This contribution investigates whether and to what extent both of the aforementioned survey methods result in divergent results when using translation tasks. For this investigation, 128 informants provided linguistic data; each informant had to translate 25 Wenker sentences from Standard German into either East Swabian, Lechrain or West Central Bavarian dialect, as the case may be. The results show two tendencies. First, written stimuli lead to a slightly higher number of dialectal translation in segmental variables. Second, when oral stimuli are used, syntactic and lexical variables are translated significantly more often in such a manner that they diverge from the template. The results can be explained in terms of varying cognitive processing operations and the constraints of human working memory. When collecting data in the future, these tendencies should be taken into account.
Der Beitrag beleuchtet unterschiedliche Raumkonzeptionen, welche die Dialektologie als „Raumlinguistik“ im letzten halben Jahrhundert geprägt haben. So spielt Raum als physisch-materieller Erdraum in der Dialektologie nach wie vor eine zentrale Rolle und wird als Bedingungsrahmen für die diatopische Sprachvarianz verstanden. Räume gänzlich anderer Natur sind Räume, die aus dialektgeografischen Abstraktionsprozessen resultieren und sich aus Verteilungen sprachlicher Größen im physisch-materiellen Raum ergeben. Zur außersprachlichen Erklärung diatopischer Variation werden solche sprachräumlichen Verteilungen mit erdräumlichen Gegebenheiten, mit politischen Territorien oder kulturräumlichen Verteilungen abgeglichen. Wegen der Beliebigkeit der für den Abgleich ausgewählten dialektalen Variablen ist dieses Vorgehen lange Zeit etwas in Verruf geraten, wird heute jedoch mit dialektometrischen Verfahren dem willkürlichen Zugriff entzogen und neu lanciert.
Raum als immaterielle Ordnungsstruktur wird – nicht nur in der Linguistik – als probates Instrument genutzt, um Gedachtes metaphorisch zu ordnen. Insbesondere die Sozio- oder kommunikative Dialektologie, die seit ein paar Jahrzehnten die monodimensionale Grundmundarten-Dialektologie aufbricht, hat mit Konzepten wie „Variantenraum“ oder „sozialer Raum“ ihren Gegenstandsbereich faß- und vermessbar gemacht.
Seit einiger Zeit erfährt der „erlebte Raum“ im Rahmen der sogenannten Wahrnehmungsdialektologie lebhaften Zuspruch. Diese dialektologische Ausrichtung erkundet die sprachraumbezogenen Alltagskonzepte und die Perzeption sprachlicher Größen und verspricht sich davon u.a. Aufschluss darüber, ob sprachräumliche Vorstellungen als Steuerungsgrößen für dialektale Stabilität oder dialektalen Wandel veranschlagt werden können. An Beispielen aus einem laufenden Forschungsprojekt, das sich mit einer Region in der Innerschweiz befasst, werden ethnodialektale Raumvorstellungen präsentiert und zu objektiven Sprachbefunden in Bezug gesetzt.
Der Beitrag versteht sich als erster Schritt zur historiographischen Rekonstruktion der Soziolinguistik in der Bundesrepublik Deutschland. Es wird gezeigt, wie in gewolltem Bruch mit der älteren germanistischen Forschung zum Thema Sprache und Gesellschaft in den späten 1960er Jahren die neue Disziplin der Soziolinguistik in Auseinandersetzung mit den Theorien Bernsteins entstand, sich die Soziolinguistik anschließend professionalisierte und das Spektrum ihrer Themen verbreiterte, schließlich auch den Anschluss an ältere Theorien insbesondere in der Dialektologie wiederfand.
Vielbeachtete neue Studien zeigen, dass zwischen aktuellem ökonomisch relevantem Handeln und den traditionellen Dialekträumen ein signifikanter Zusammenhang besteht. In dem Beitrag wird dieser Zusammenhang aus der Dynamik der modernen Regionalsprachen erklärt. Unter dem Druck der omnipräsenten Standardsprache wird einerseits das alte landschaftliche Hochdeutsch zum Regiolekt um- und abgewertet, andererseits hat sich im Regiolekt die alte sprachraumkonstituierende und identitätsstiftende Funktion der großräumigen Dialektlandschaften bewahrt. In Abhängigkeit von der diffusionsabweisenden oder diffusionslizensierenden Qualität sprachkognitiver Gegensätze fallen alte Dialektgrenzen mit den Grenzen regiolektaler Neuerungsräume zusammen. Da für die Sprecher die sprachkognitiven Gegensätze, die sich hinter den vermeintlich geringen, die Verstellbarkeit nicht behindernden Unterschieden zwischen benachbarten Regiolekten verbergen, nicht erkennbar sind, bewerten sie diese nicht linguistisch-regional, sondern emotional, auf der Beziehungsebene und ästhetisch. Die „mentalen Gegensätze“, die die Raumwahrnehmung konstituieren, beruhen auf empirisch zugänglichen sprachkognitiven Differenzen. Die kulturelle Identität hat — jedenfalls soweit es die modernen deutschen Regionalsprachen betrifft — eine direkte linguistische Basis.
Nach Aufrufen der Zarin Katharina II und ihrer Nachfolger haben sich viele Menschen „aus deutschen Landen“ – aus Hessen und Baden, aus der Pfalz und Württemberg, aus Bayern, aus Mittel- und Norddeutschland – im 18. und später im 19. Jahrhundert auf den Weg nach Russland gemacht. Mitnehmen konnten sie nicht viel – außer ihren Heimatmundarten. Diese haben sie nicht nur in den ersten Jahrzehnten bewahrt, sondern für viele Generationen und Jahrhunderte danach.
Vom Zarenreich bis Putin folgt die Autorin dem Schicksal der russlanddeutschen Dialekte. Sie reist in die entlegensten Winkel der ehemaligen Sowjetunion, in die kleinen und großen Sprachinseln, besucht Wolhyniendeutsche und Mennoniten im Norden, Schwaben in Kasachstan, Bayern und Pfälzer im Altai-Gebiet und entdeckt überall quicklebendige Mundarten, eine reiche, vielfältige, für die Außenwelt noch weitgehend verschlossene Dialektlandschaft, deren besonderer Reiz das Neben- und Miteinander des Ursprünglichen, Mitgebrachten und des in den russischen Weiten Neuentwickelten und Hinzugekommenen ausmacht. Einen allgemeinen und gleichzeitig detaillierten Einblick in die heute weitgehend verschwundenen deutschen Sprachinselgebiete Russlands und deren Mundarten gibt das gut illustrierte Buch von Nina Berend.
Der Beitrag zeichnet im ersten Teil die historische Entwicklung ethnischer und polyethnischer Sprechweisen im Deutschen nach und skizziert die verschiedenen Transformationen ihrer indexikalischen Bedeutung. Im zweiten Teil des Beitrags wird anhand von Daten aus Stuttgart diskutiert, ob es sich bei den heute verwendeten polyethnischen Markern um Komponenten eines sozialen Stils oder um eine emergente neue Varietät handelt.
Der Beitrag behandelt den Sprachgebrauch in multiethnischen Sprechergemeinschaften im urbanen Raum. Ich zeige, dass die Varietät, die sich hier entwickelt, als neuer Dialekt des Deutschen verstanden werden kann. Dieser Dialekt ist gekennzeichnet durch Charakteristika auf lexikalischer und grammatischer Ebene, die auf systematische Muster sprachlicher Variation und sprachlichen Wandels hinweisen, und erhält durch seine Sprechergemeinschaft mit vielen (aber nicht nur) mehrsprachigen Sprecher/inne/n eine besondere sprachliche Dynamik. Ich diskutiere zwei Beispiele, intensivierend gebrauchtes „voll“ und monomorphematisches, existenzanzeigendes „gib(t)s“, die die quantitative Expansion bzw. die Weiterentwicklung und den qualitativen Ausbau von Phänomenen illustrieren, die auch aus anderen Varietäten des Deutschen bekannt sind. Der multiethnische urbane Dialekt, der hier entsteht, spiegelt damit Entwicklungstendenzen des Deutschen wieder, die in einigen Fällen zusätzlich durch Sprachkontaktphänomene gestützt werden können.
Kollokationen sind nach unserem Verständnis phraseologische Kombinationen aus zwei Lexemen, die in einer Sprachgemeinschaft konventionalisiert und deren Elemente semantisch ungleichgewichtig sind: Eines wird in derselben Weise verwendet wie in kompositionellen Wortkombinationen (Basis), das andere (Kollokator) erhält seine spezifische Bedeutung nur innerhalb der Kollokation.
Der Artikel diskutiert Möglichkeiten, Kollokationen in Texten zu identifizieren, die für die deutschen Nationalvarietäten aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Südtirol typisch sind. Der Schwerpunkt liegt dabei auf methodischen Fragen: Lassen sich mit einfachen, im Wesentlichen frequenzbasierten Werkzeugen Kollokationsunterschiede zwischen Österreich und Deutschland, der Schweiz und Deutschland, usw. aufweisen? Wie können die Spezifika der Kollokationswahl in den einzelnen Nationalvarietäten anhand von Korpora genauer dokumentiert werden? Sind Varietäten nur in Bezug auf die Kollokatorenwahl spezifisch, oder auch bezüglich morphosyntaktischer Präferenzen (z.B. Artikelgebrauch etc.)?
Zur Aussprache nicht haupttoniger Vorsilben mit <e> in Lehnwörtern im deutschen Gebrauchsstandard
(2018)
Vortoniges <e> in Lehnwörtern in offenen Silben (demonstrieren, Elefant) ist in den traditionellen deutschen Aussprachewörterbüchern durchgängig mit gespanntem/geschlossenem [e] kodifiziert. Die Auswertung von insgesamt 17 entsprechenden Belegwörtern aus dem Korpus „Deutsch heute“ zeigt für den deutschen Gebrauchsstandard jedoch eine ausgeprägte Variation zwischen den Lauttypen [e], [ɛ] und [ə], die je nach Lexem in ganz unterschiedlichen Anteilen vorkommen. Als Erklärungsansätze für das differierende Variationsverhalten lassen sich Faktoren wie Wortakzentmuster, Folgekonsonanz, Formalitätsgrad und semantisch-morphologische Durchsichtigkeit der Wortbildung anführen. Außerdem zeigt die Variation auch eine ausgeprägte diatopische Dimension: Während im Norden Deutschlands, aber auch im mittelbairisch geprägten Sprachraum und in der Ostschweiz die [e]-Aussprache dominiert, überwiegen in der südlichen Mitte und im Südwesten Deutschlands, im südbairisch geprägten Sprachraum und vor allem in der Westschweiz Belege mit [ɛ]-Aussprache. Die Ergebnisse von „Deutsch heute“ zeigen sich in ähnlicher Weise auch in zusätzlich ausgewerteten Sprachdaten (Nachrichtensendungen, FOLK-Korpus).
Sprecher haben (oft unbewusste) Meinungen und Einstellungen zu Sprachen und Varietäten. Ein Weg, solche Spracheinstellungen zu erfassen, führt über quantitative Verfahren (Fragebogen mit offenen und geschlossenen Fragen), mit denen man Daten großer Gruppen – im Idealfall repräsentativ – erheben kann. Im Beitrag werden solche Erhebungen, die am Institut für Deutsche Sprache durchgeführt wurden, vorgestellt, und es werden zwei Instrumente der Spracheinstellungsforschung, die dabei zum Einsatz kamen, naher erläutert: das Allgemeine Sprachbewertungsinstrument (ASBI) und die Attitudes-Towards-Languages-Skala (AToL). Außerdem wird gezeigt, wie dialektometrische Auswertungs- und Visualisierungsverfahren auf Einstellungsdaten angewendet werden können.
Die Auflösung der Mundart
(1961)
Die pfälzische Sprachinsel am Niederrhein, deren Gründung auf das Jahr 1641 zurückgeht, ist die letzte deutsche Binnensprachinsel. Sie steht unter einem akuten Assimilationsdruck, der sich im funktionellen Wandel des autochthonen dialektalen Systems bemerkbar macht; verstärkt wird dieser Prozess durch den deutschlandweit vielerorts beobachtbaren Rückgang der Dialektkompetenz auf basisdialektaler Ebene. In der vorliegenden Arbeit werden einerseits die Entwicklung in der Struktur des Sprachinseldialekts und andererseits die Rolle des Gebrauchs von sprachlichen Varianten als identitätsmarkierende Mittel untersucht. Dazu werden Sprachproben aus zwei Generationen variablenanalytisch ausgewertet und die Ergebnisse gegenübergestellt. Dabei zeigt sich, dass die dialektkompetenten Sprecher der jüngeren Generation einzelne (ehemals) dialektale Merkmale verstärkt realisieren, um ihre Identität als pfälzische Sprachinsulaner zu markieren.
Sprachvariation bei Polizeinotrufen in Südbaden. Eine Fallstudie im Rahmen des Notruf-Pilotprojekts
(2006)
Was haben Sapir-Whorf, feministische Linguistik und bay(e)risch vs. bairisch miteinander zu tun?
(2005)
In diesem Beitrag soll gezeigt werden, was der kleine orthographische, aber große semantische Unterschied zwischen bay(e)risch ,Bayern bzw. das Gebiet Bayerns betreffend’ und bairisch ,die bairischen Dialekte betreffend’ mit den Aussagen der Sapir-Whorf-Hypothese zu tun hat und welche praktischen Konsequenzen sich daraus ergeben. Als Tertium comparationis wird dabei auf die feministische Linguistik zurückgegriffen und auf deren Annahme, dass die gesellschaftliche Benachteiligung der Frauen sich auch in der Sprache ausdrücke, sich darin festige und durch sprachliche Änderungen diese Benachteiligung auch wieder abgebaut werden könne.
Status und Gebrauch des Niederdeutschen 2016. Erste Ergebnisse einer repräsentativen Erhebung
(2016)
Wer versteht heute Plattdeutsch, und wer spricht es? Wer nutzt die plattdeutschen Medien- und Kulturangebote? Welche Vorstellungen verbinden die Menschen in Norddeutschland mit dem Niederdeutschen, und wie stehen sie zu ihrer Regionalsprache? Diesen und weiteren Fragen widmet sich die vorliegende Broschüre mithilfe von repräsentativen Daten, die durch eine telefonische Befragung von insgesamt 1.632 Personen aus acht Bundesländern (Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein sowie Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt) gewonnen wurden.
Vorwort
(1997)
Die deutsche Standardsprache hat sich durchgesetzt. Sie ist weithin zur Sprache eines öffentlichen und gehobenen Alltags geworden. Dadurch erweitern sich die Anforderungen, die an eine so verwendete Sprachform gestellt werden. Im Gefolge dessen wird eine Art von Variation sichtbar, die dazu zwingt, über die normative Geltung der Konventionen, denen dabei gefolgt wird, nachzudenken und möglichst Übereinkunft herzustellen. In dieser Phase der Verbreiterung der Basis für standardsprachliches Interagieren stehen dabei nicht nur grammatische und ähnliche sprachliche Regelmäßigkeiten zur gesellschaftlichen Diskussion, sondern nicht zuletzt Textkonventionen, die unser situativ und textsortenspezifisch angemessenes Agieren leiten. Von deren Wandel ist im zweiten Teil des Beitrags exemplarisch die Rede.
Aktuelle Regionalsprachforschung zum Deutschen. Das IDS-Projekt Variation des gesprochenen Deutsch
(2010)
Der Beitrag beschreibt die Grundstruktur des Forschungsprojekts ‚Standardization in Diversity (SDiv). The case of German in Luxembourg 1795–1920‘, das im Zeitraum 2013–2016 vom Fonds National de la Recherche (Luxemburg) und der DFG gefördert wird. Weitere Informationen auf der Internetseite des Projekts unter http://infolux.uni.lu/standardization.
Linguistic variation and linguistic virtuosity of young “Ghetto”-migrants in Mannheim, Germany
(2011)
In this paper, we provide an insight into the life world and social experiences of young Turkish migrants who are categorised by German society as “social problem cases”. Based on natural conversational data, we describe the communicative repertoire of one migrant adolescent and that of his friends. Our aims are (a) to isolate those linguistic features that convey the impression of “foreignness”, and stand out among other German speakers’ features, and (b) to analyse the variability in our informants’ discursive practices - i.e. code- or style-switching, as it is commonly referred to in the literature - in order to show how variation serves as a communicative resource. Our findings show that these adolescents’ remarkable linguistic proficiency and communicative competence contrast markedly to their low educational and professional status.
By evaluating two corpora containing linguistic data on spoken standard language usage (with a total of 770 speakers), the current range of variation of lexical stress in loanwords will be analyzed. In doing so, the focus will be on the age and background of the speakers to be able to document processes of linguistic change and regionalisms. Regarding the phenomenon studied here, it becomes apparent that more detailed and multicausal separate analyses are required to interpret the results conclusively in spite of an overall trend that was at irst convincing (and that would support the theoretical assumptions concerning the loanwordʼs age and the source language inluencing the rate of assimilation). The results of the individual analyses contradict the assumed “overall trend”. One of the corpora was collected by experienced ield workers, while the other was collected by students. By comparing both corpora, some light can be shed onto the question as to what extent “undirected” and less rigidly collected data can support or complement more extensive and costly research projects.
The contribution will focus on aspects of pluricentricity in spoken Standard German. After a brief overview over the historical and dialectal background of the linguistic diversity in the German speaking area, the regionally balanced speech-corpus "German today” is presented, which has been collected for the analysis of the (regional) variation of spoken Standard German. Aspects of pluricentric German will be discussed by means of both the distribution of certain phonetic variables and a short analysis of regional differences in the use of certain conversational constructions. It is argued that pluricentric structures are constituted by a set of linguistic features on different levels of description. Above all, the analysis tries to reveal traces of the impact of both traditional dialects and national or even subnational political units on the constitution of the standard varieties.
Varietäten im Diskurs
(2011)
Der Beitrag präsentiert ausgewählte Ergebnisse einer Untersuchung zum Dialekt-Standard-Gebrauch in einer Schulklasse im mittelschwäbischen Sprachraum (vgl. KNÖBL 2008). Dabei wird auf das Erkenntnisinteresse, die Datengrundlage und die Analysemethode eingegangen. An Analysebeispielen wird gezeigt, dass sich die in der Untersuchung kombiniert eingesetzten quantitativ und qualitativ orientierten methodischen Verfahren ergänzen. Die variablenanalytisch und interaktionsanalytisch gewonnenen Ergebnisse belegen, dass bei den untersuchten Lehrern und Schülern der Gebrauch linguistischer Formen strukturiert ist und in Bezug zu kommunikativen Anforderungen steht.
In dem Beitrag werden Dialekt-Standard-Variationsphänomene im schwäbischen Dialektraum behandelt. Zunächst wird kurz auf die soziolinguistische Situation des südwestdeutschen Raums sowie auf methodische Aspekte eingegangen. Darauf wird das Konzept Kontextualisierungshinweis (Gumperz 1982) und die Typologie von Variationsphänomenen nach Auer (1998a) vorgestellt, um deren Anwendbarkeit auch in der binnensprachlichen Variationssituation an Beispielen zu zeigen. Im Zentrum der Analyse stehen funktionale Aspekte der Variation einer Lehrerin und von Schülern in der Schulsituation.
Die präsentierten Daten stammen aus einem laufenden Dissertationsprojekt mit dem Arbeitstitel „Sprachvariation in einer schwäbischen Kleinstadt - Varietäten im Diskurs“ (Knöbl i.V.), bei dem ein intralingualer Varianzraum durch die Analyse der Funktionalität und Relevanz von Sprachvariation für die Sprecher beschrieben werden soll.