Textwissenschaft
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Im vorliegenden Beitrag gehen wir von der Prämisse aus, dass die Angemessenheit sprachlicher Formen nicht pauschal, sondern anhand des jeweiligen Kontexts zu beurteilen ist. Anhand einer Online-Fragebogenstudie mit durch weil eingeleiteten Nebensätzen untersuchen wir die Hypothese, dass Varianten, die nicht dem Schriftstandard entsprechen, in Kommunikationsformen, die sich weniger an standard- und schriftsprachlichen Normen orientieren, als (mindestens) ebenso angemessen oder zumindest unterschiedlich wahrgenommen werden wie eine schriftstandardsprachliche Variante. Wir untersuchen dies anhand von drei Aufgaben: Rezeption, Produktion und Assoziation zu bestimmten Medien und Textsorten. Wir können zeigen, dass die schriftnormgerechte Variante durchweg als am akzeptabelsten eingeschätzt wird. In allen drei Aufgaben finden sich aber auch eindeutige und übereinstimmende Effekte, die nahelegen, dass die verschiedenen Varianten in Abhängigkeit der Textsorte doch unterschiedlich eingeschätzt, produziert und assoziiert werden.
Das Kommunizieren in Sozialen Medien und der Umgang mit Hypertexten ist im Jahr 2020 kein Randphänomen mehr. Die sprachlichen Besonderheiten internetbasierter Kommunikation und Sozialer Medien sind mittlerweile auch gut erforscht und beschrieben, allerdings werden diese bislang in deutschen Grammatiken, mit Ausnahme von Hoffmann (2014), allenfalls am Rande behandelt. Selbst neuere Ansätze zur Textanalyse, z. B. Ágel (2017), konzentrieren sich auf gestaltstabile, linear organisierte Schrifttexte. Dasselbe gilt für Ansätze, die primär für die Bewertung von Schreibprodukten in Bildungskontexten entwickelt wurden.
Der Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, wie und inwieweit korpusbasierte Ansätze zur Untersuchung und Bewertung von Sprachwandel beitragen können. Die Bewertung von Sprachwandel erscheint in dieser Hinsicht interessant, da sie erstens von größerem öffentlichen Interesse ist, zweitens nicht zu den Kernthemen der Sprachwissenschaft zählt und drittens sowohl die geisteswissenschaftlichen Aspekte der Sprachwissenschaft berührt als auch die empirischen, die eher für die so genannten harten Wissenschaften typisch sind. Letzteres trifft bei der Frage nach Sprachverfall (gutem vs. schlechtem Deutsch diachron) vermutlich unbestrittener zu als bei der Frage nach richtigem vs. falschem Deutsch, da zu ihrer Beantwortung offensichtlich einerseits empirische, messbare Kriterien herangezogen werden müssen, andererseits aber auch weitere Kriterien notwendig sind und es außerdem einer Entscheidung zur Einordnung und Gewichtung der verschiedenartigen Kriterien sowie einer Begründung dieser Entscheidung bedarf. Zur Annäherung an die Fragestellung werden zunächst gängige, leicht operationalisierbare Hypothesen zu Symptomen eines potenziellen Verfalls des Deutschen auf verschiedenen DeReKo-basierten Korpora überprüft und im Hinblick auf ihre Verallgemeinerbarkeit und Tragweite diskutiert. Im zweiten Teil werden weitere empirische Ansätze zur Untersuchung von Wandel, Variation und Dynamik skizziert, die zur Diskussion spezieller Aspekte von Sprachverfall beitragen könnten. Im Schlussteil werden die vorgestellten Ansätze in den Gesamtkontext einer sprachwissenschaftlichen Untersuchung von Sprachverfall gestellt und vor dem Hintergrund seines gesellschaftlichen Diskurses reflektiert.