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Die germanistische Linguistik wendet in jüngster Zeit Fragen des Wortschatzes - seiner Herausbildung, seiner Entwicklung, seiner Verwendung, seiner Kodifikation - verstärkt ihre Aufmerksamkeit zu. In diesem Zusammenhang gewinnt auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Neologie und mit der Neologismenlexikographie innerhalb der Germanistik an Bedeutung. Das ist vor allem deshalb zu begrüßen, weil die germanistische Sprachwissenschaft der Erforschung und Erfassung lexikalischer Innovationen in der Vergangenheit nicht in dem Maße gerecht geworden ist, das der gesellschaftlichen Bedeutung dieses Wortschatzbereiches und dem Widerhall, den das Thema in der interessierten Öffentlichkeit seit langem findet, entsprechen würde.
Einem bisher nicht in angemessener Weise gelösten Teilproblem - der lexikographischen Darstellung DDR-spezifischer Neologismen - wollen wir diesen Beitrag widmen.
Es gibt triftige theoretische und praktische Gründe — wir werden im Weiteren auf sie eingehen —, die Diskussion um die Funktion von Rechtschreibwörterbüchern und um ihre Gestaltung in Bezug auf das Deutsche zu führen. Das Erscheinen der „20., völlig neu bearbeitete[n] und erweiterte] Auflage“ der „Rechtschreibung der deutschen Sprache“ (Dudenverlag Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 1991) ist der äußere Anlass, um diese Diskussion in der ZGL zu eröffnen.
Die Erfassungsfunktion der Schreibung und ihre Realisierung in der deutschen Gegenwartssprache
(1986)
Einen Markstein in der Geschichte der Bemühungen um die verbesserte Gestaltung der seit 1901 verbindlich geltenden deutschen Rechtschreibung stellen die unter der Bezeichnung „Stuttgarter Empfehlungen“ bekannt gewordenen „Empfehlungen zur Erneuerung der Rechtschreibung“ dar. Dieses vieldiskutierte Reformprogramm von 1954 war das Ergebnis intensiver Beratungen einer Arbeitsgemeinschaft von gleichberechtigt mitwirkenden Vertretern aller vier deutschsprachigen Staaten. Für die DDR hatte an seinem Zustandekommen - neben Akademiemitglied Wolfgang Steinitz, Ruth Klappenbach und Wolfgang Ebert - Akademiemitglied Theodor Frings aktiven Anteil.
Doch selbst bei diesem im ganzen ausgewogenen und von Realitätssinn geprägten Reformvorschlag ist - wie bei den meisten anderen vorher und später unterbreiteten Programmen - ein Mangel an theoretischer Grundlegung nicht zu übersehen.
Der Erforschung dieser Grundlagen wird in der germanistischen Sprachwissenschaft erst seit Beginn der siebziger Jahre stärkere Aufmerksamkeit gewidmet, und die DDR-Germanistik hat dazu im Rahmen der interinstitutionellen Forschungsgruppe Orthographie (Leitung: D. Nerius) einen nicht unwesentlichen Beitrag geleistet. Auf Positionen dieses Kollektivs, an deren Herausbildung der Autor mitbeteiligt war, bauen die folgenden Ausführungen auf.