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„Unserdeutsch“ – das Kreoldeutsch aus den ehemaligen Südseekolonien und dem heutigen Papua-Neuguinea wird erstmals sprachwissenschaftlich dokumentiert und erforscht. Die Zeit drängt, denn die weltweit einzige und lange nicht beachtete deutschbasierte Kreolsprache steht nach einer wechselvollen Geschichte vor dem Aussterben.
Genau tritt im aktuellen Sprachgebrauch nicht nur in seiner klassischen Bedeutung als Adjektiv oder Adverb auf, sondern wird auch als Fokus- bzw. Gradpartikel sowie Gesprächspartikel verwendet. Bisherige Beschreibungen haben sich nur in geringem Maße und unter Verwendung heterogener Begriffe mit seinem interaktionalen Gebrauch auseinandergesetzt. In diesem Beitrag werden mit Hilfe eines sequenziellen und multimodalen Ansatzes verschiedene interaktionale Verwendungen von genau in Videoaufnahmen deutscher Alltagsgespräche untersucht. Ausgehend von seiner Funktion als Gradpartikel wird genau sowohl als redebeitragsinterne Bestätigungspartikel in Wortfindungsprozessen als auch als responsive Bestätigungspartikel eingesetzt. Da genau häufig das Ende eines Verstehensprozesses bzw. einer Wissensverhandlung markiert, könnte allgemeiner die Bezeichnung des Intersubjektivitätsmarkers in Erwägung gezogen werden. Aus dem responsiven, bestätigenden Gebrauch heraus entsteht eine stärker sequenzschließende und sequenzstrukturierende Funktion von genau, woraus sich auch der zunehmende Gebrauch dieses Lexems als rein diskursstrukturierende Partikel innerhalb eines Redezugs erklären könnte.
Für die sprachbasierte Forschung in den Geistes- und Sozialwissenschaften stellt CLARIN eine Forschungsinfrastruktur bereit, die auf die hochgradig heterogenen Forschungsdaten in diesen Wissenschaftsbereichen angepasst ist. Mit Werkzeugen zum Auffinden, zur standardkonformen Aufbereitung und zur nachhaltigen Aufbewahrung von Daten sowie mit der Bereitstellung von virtuellen Forschungsumgebungen zur kollaborativen Erstellung und Auswertung von Forschungsdaten unterstützt CLARIN alle wesentlichen Aspekte des Datenmanagements und der Datenarchivierung. Diese CLARIN-Angebote werden durch Beratungs- und Schulungsmaßnahmen begleitet.
Die Idee hinter dem Projekt – einen schnellen und einfachen Einstieg in die Analyse großer Korpusdaten mittels CorpusExplorer geben. Diese frei verfügbare Software bietet aktuell über 45 Analysen/Visualisierungen für vielfältige korpuslinguistische Zwecke und ist durch ihre Nutzerfreundlichkeit auch für den Einsatz in der universitären Lehre geeignet. Als Beispiel dient das EuroParl-Korpus, man kann aber auch eigenes Textmaterial (z. B. Textdateien, eBooks, Xml, Twitter, Blogs, etc.) mit dem CorpusExplorer annotieren, analysieren und visualisieren. Die Videos zeigen Schritt-für-Schritt die einzelnen Funktionen.
Überspannt werden die Videos von einer kleinen zweistufigen Aufgabe: Zuerst sollten ein paar Fragen/Thesen/Annahmen überlegt werden, die sich mit den Plenarprotokollen des EuroParl auswerten lassen – einige Videos geben auch explizite Anregungen oder man nutzt die Inspiration der anderen Beiträge im Issue #3. Die einfachsten Fragen/Thesen lassen sich bereits mit den hier vorgestellten Videos beantworten. Sobald es komplexer wird, betritt man den zweiten – reflexiven Teil der überspannenden Aufgabe: Es ist zu überlegen, wie durch (mehrfache) Kombination der einzelnen Video-/Wissensbausteine das Ziel erreicht werden kann (ein Beispiel – siehe Script). Im Zweifelsfall stehen außerdem ein Handbuch und ein E-Mail Support zur Verfügung.
Die kontinental-westgermanischen Sprachen und Dialekte zeichnen sich durch das Vorkommen von mehrteiligen Verbformen in einem satzfinalen Verbalkomplex (im Folgenden VK) aus. Charakteristisch für diesen VK ist sein hohes Maß an Stellungsvariation, wie sie sich bei drei oder mehr Verben bereits innerhalb des Standarddeutschen zeigt (vgl. Duden 2005, 481-482, § 684). Im vorliegenden Beitrag werden Aspekte des VKs im Ostpommerschen untersucht, jenem ostniederdeutschen Dialekt, der bis 1945 östlich der Oder im heutigen Polen gesprochen wurde. Dies geschieht anhand spontansprachlicher Aufnahmen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts; der Beitrag ist also als eine sprachhistorische Untersuchung zu verstehen.
Mit dem Fokus auf Medienpraktiken bündelt dieses Heft aktuelle Positionen zur empirischen Erforschung von Medien. Die Beiträge gehen davon aus, dass Medien erst durch ihren Gebrauch zu Medien werden. Medienpraktiken zu erforschen, bedeutet jedoch nicht nur herauszufinden, was Menschen mit Medien tun, sondern auch was Medien mit Menschen machen. Diese für die Medienpraktikenforschung zentrale Einsicht lösen die interdisziplinären Beiträge des Bandes ein, indem sie aus den jeweiligen Positionen und Konstellationen verdeutlichen, wie Medien und Praktiken sich gegenseitig bedingen. Medienpraktikenforschung erfordert erstens, medienpraktische Phänomene in einem hohen Detailgrad zu fassen, um die Relation der beteiligten menschlichen und medialen Akteure zueinander in situ und in actu nachzuvollziehen. Erst durch die analytische Durchdringung dieser situativen Vollzugsmomente lässt sich zweitens der Status von Medien klären: was durch Praktiken zu einem Medium wird und wie die Praktiken unter Berücksichtigung der an ihnen konstitutiv beteiligten Medien beschaffen sind. Dadurch lassen sich ebenso übersituative Bezüge zur Praxis herstellen, durch die die Praktiken zur situativen Entfaltung kommen. Drittens muss dabei berücksichtigt werden, inwiefern die eigenen Medienpraktiken der Erforschung in ihren jeweiligen situativen Stadien die (Analyse der) Medienpraktik zurichten. Die Beiträge dieses Bandes lösen diese Forderungen in unterschiedlicher Gewichtung ein. Sie befassen sich aus medienethnologischer, kultursoziologischer, literaturwissenschaftlicher, historischer, soziologischer und medienwissenschaftlicher Perspektive damit, was jeweils als situierte Medienpraktik verstanden werden kann. Gemeinsam ist damit allen Beiträgen, dass sie erst aus ihren jeweiligen Untersuchungen und Perspektiven heraus bestimmen, was genau als Medienpraktik und Medien, die in ihnen zum Tragen kommen, gefasst werden kann.
Sprachnormen und Sprachnormierungsprozesse hängen unmittelbar mit Sprachreflexion und Sprachkritik zusammen. Entweder werden Sprachnormen und Sprachnormierungsprozesse linguistisch be- schrieben oder linguistisch / laienlinguistisch bewertet. In der linguistisch begründeten Sprachkritik der 1980er Jahre wird unter dem Paradigma der Sprachnormenkritik der Prozess der Sprachnormierung beobachtet und beschrieben. Sprachnormen und Sprachnormierungsprozesse werden in sprachhistorischer Perspektive aber bereits viel früher in intellektuel- len Kreisen reflektiert und kritisiert. Auch in gegenwärtiger Perspektive sind im laienlinguistischen Bereich Bestrebungen zu verzeichnen, mittels Sprachkritik Einfluss auf Sprachnormen und Sprachnormierungsprozesse zu nehmen. Seit den 2000er Jahren setzen sich wiederum Linguistinnen und Linguisten zum Ziel, Sprachnormen und Sprachnormierung zunächst zu beschreiben und dann nach linguistischen Kriterien zu bewerten. In dem Artikel wird ein Sprachnormenkritikbegriff vertreten, der auf einem Kontinuum von eher Ausdrucksmöglichkeiten abwägenden bis hin zu eindeutig positionsbezogenen Sprachbetrachtungen zu verorten ist, und sowohl die linguistische als auch die laienlinguistische Perspektive mit einbezieht. Unter Sprachnormenkritik wird hier also eine Reflexion der Sprachnormen und Sprachnormierungsprozesse verstanden, in der die Kriterien explizit (eher beschreibend oder eher bewertend) formuliert oder implizit praktiziert werden.
Der Artikel beschäftigt sich mit einem ganz spezifischen Blick auf Sprachnormen: Ausgehend von der Sprachnormenkritik der Germanistik fokussiert der Artikel die sozio-politischen Implikationen sprachlicher Normfragen. Der Terminus Sprachnormenkritik hat weder im Englischen noch im Französischen oder Italienischen und auch nicht im Kroatischen eine ausdrucksseitige Entsprechung. Das Konzept der ›Sprachnormenkritik‹ bzw. bestimmte Teilkomponenten sind dessen ungeachtet im Englischen, Französischen, Italienischen und Kroatischen seit Jahrhunderten in der Diskussion. Aus vergleichend europäischer Perspektive ist besonders interessant, dass nicht in jedem nationalsprachlichen Diskurs über Sprachnormen der unmittelbare Zusammenhang von sprachlichen Normen einerseits und sozio-ökonomischer Macht bzw. politischer Handlungsfähigkeit andererseits als korrelierende Phänomene diskutiert wird – und genau dies ist der Kern der ursprünglichen Sprachnormenkritik im Deutschen. Besonders eindrücklich lässt sich der politische Charakter der Sprachnormenkritik im Kroatischen demonstrieren. In den 1960er Jahren ist die Sprachnormenkritik im Kroatischen nicht nur eine Kritik, die degressiv erscheinende Zustände aufzudecken versucht, sondern vor allem eine progressive Kritik, die als Vorreiter der politischen Bewegung für die Unabhängigkeit Kroatiens angesehen werden kann.
Einleitung
(2017)
Das Handbuch Europäische Sprachkritik Online (HESO) liefert eine vergleichende Perspektive auf Sprachkritik in europäischen Sprachkulturen. Das Handbuch ist eine periodische und mehrsprachige Online-Publikation. Zu ausgewählten Konzepten der Sprachkritik werden sukzessiv enzyklopädische Artikel veröffentlicht, die ein sprachkritisches Schlüsselkonzept betreffen und die für die europäische Perspektive von kultureller Bedeutung sind. Das Ziel ist demnach, eine Konzeptgeschichte der europäischen Sprachkritik zu präsentieren. Zum einen liefert das Handbuch einen spezifischen Blick auf die jeweiligen Sprachkulturen. Zum anderen werden diese vergleichend in den Blick genommen.
Harold Garfinkel, Begründer der Ethnomethodologie, wäre dieses Jahr 100 Jahre alt geworden, seine Studies in Ethnomethodology werden 50 Jahre. Grund genug diesen doppelten Geburtstag mit einer Tagung zur "deutschsprachigen Vorge-schichte, Wirkung und Rezeption des Werkes und der Person zu würdigen" (so der Ankündigungstext zur Tagung), die nicht ganz zufällig in Konstanz stattfand, lange Zeit und nach wie vor eine Hochburg rekonstruktiver Sozialforschung (auch) ethnomethodologischer Prägung. Die Tagung Harold Garfinkel's 'Studies in Ethnomethodolgy' – Fifty Years After vom 26.-28.10.2017 an der Universität Konstanz, ausgerichtet vom Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie und Kultursoziologie und organisiert von Jörg Bergmann, Christian Meyer und Erhard Schüttpelz, tat dies in einer gebührlichen und beson-deren Weise: Die acht Kapitel der Studies in Ethnomethodology (im Folgenden kurz Studies), ein Konvolut aus Essays und Artikeln, die 1967 erschienen sind, dienten als Grundlage zur Strukturierung der Tagung und als Ausgangspunkt der einzelnen Vorträge.
Der vorliegende Beitrag beschreibt auf der Basis authentischer Alltagsinteraktionen das Formen- und Funktionsspektrum der äußerungsmodalisierenden Kommen-tarphrase ohne Scheiß im gesprochenen Deutsch. Die Konstruktion wird von Inter-agierenden insbesondere als Ressource zur Steigerung des Geltungsanspruchs einer Bezugsäußerung genutzt, wodurch diese als wahr und/oder ernstgemeint modali-siert wird. Damit leistet ohne Scheiß einen wichtigen Beitrag zur Bearbeitung des Erwartungsmanagements durch den/die SprecherIn sowie zur Herstellung von In-tersubjektivität. Die Konstruktion ist syntaktisch variabel und kann somit Äußerun-gen sowohl prospektiv als auch retraktiv modalisieren. Zudem wird mit der Wahl des Lexem Scheiß ein nähesprachliches Register aktiviert, was in Verbindung mit weiteren (prosodischen und/oder lexikalischen) Elementen zu affektiver Aufladung führen kann. Eine abschließende Darstellung häufiger lexikalischer Kookkurrenz-partner und deren funktionaler Bedeutung sowie ein Abgleich zu intrakonstruktio-nalen Varianten wie ohne Witz/ohne Spaß zeigt die Produktivität der Konstruktion im alltäglichen Sprachgebrauch auf.
This article explores how close one can come to a cultural-scientific perspective on the basis of a constitution-analytical methodology. We do this on the basis of a comparison of the celebration of Totensonntag in Zotzenbach (Southern Hesse) and Sarepta (Wolgograd). In both places, there are protestant churches that perform this ritual to commemorate the dead on this “Sunday of the Dead” as a part of their church service. Our scientific interest lies in the reconstruction of the rituality produced during the in situ execution. In both services, the names of the deceased are read out and a candle is lit for each deceased person. In Zotzenbach the priest reads out the names and an assistant ignites the candles for the deceased, whereas in Sarepta the bereaved are responsible for this. Since the ritual is organised in very different ways in terms of architecture-for-interaction (statically in Zotzenbach, spatially dynamic in Sarepta), we can reconstruct two completely different models of rituality: a demonstrative one (Zotzenbach) and a participative one (Sarepta). The demonstrative model works on the basis of a finely tuned coordination between the two church representatives and is aimed at a dignified execution. The model in Sarepta is not suitable for the production of formality due to its participatory structure. Here, however, the focus is also on the aspect of socialization, which goes beyond the church service and offers the Russian-German worshipers the opportunity to situationally constitute as a culturally homogeneous group.