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Augenblicks-Kommunikation: Mikrostruktur und soziale Implikativität einer kommunikativen Minimalform
(2018)
Die hier vorgelegte Studie ist das empirisch-konstitutionsanalytische Ergebnis meiner multi-modal-interaktionsanalytischen Beschäftigung mit einem bestimmten Typ kommunikativer Minimalform. Es handelt sich um den nur wenige Sekunden dauernden und oftmals nur blick-lich-mimisch-körperlich konstituierten sozialen Austausch von Passanten, die an einem Fens-ter vorbeigehen und dabei in das Zimmer blicken, an dem eine Person an einem Tisch sitzt, die ihrerseits die Hereinblickenden anschaut und somit eine Situation der Wahrnehmungs-wahrnehmung (Hausendorf 2003) etabliert. Im Mittelpunkt dieser Untersuchung zu Augenblicks-Kommunikation am Fenster steht die detaillierte Analyse motiviert ausgewählter Fälle aus einem umfangreichen Korpus (siehe Abschnitt 11). Die Fallanalysen dienen dem Nachweis der konstitutiven Bausteine der kom-munikativen Minimalform und der Systematik des Beteiligtenverhaltens über eine Vielzahl unterschiedlicher Konstellationen hinweg. Basierend auf der fallanalytisch produzierten empi-rischen Evidenz und Rekurrenz interaktionsstruktureller und sozial-implikativer Konstituen-ten des dokumentierten Interaktionsereignisses wird es möglich, die Relevanz der interakti-onsanalytischen Beschäftigung mit kommunikativen Minimalformen als relevante Unter-suchungsgegenstände deutlich zu machen. Um den empirisch basierten Nachweis kommunikativer Minimalformen als relevante und bislang übersehene Untersuchungsgegenstände der multimodalen Interaktionsanalyse nicht noch durch die Beschreibung, Reflexion und Problematisierung damit zusammenhängender methodisch-methodologischer Voraussetzungen und Anforderungen zu überfrachten, habe ich letztere Überlegungen – soweit es mir vertretbar erschien – mehr oder weniger konsequent ausgeklammert. Ich habe sie jedoch nicht ausgesondert und zur Seite gelegt. Vielmehr stellt die Reflexion und Diskussion der methodisch-methodologischen Implikationen der multimo-dal-interaktionsanalytischen Untersuchung kommunikativer Minimalform(en) ein zweites Ergebnis meiner bisherigen Beschäftigung mit der Augenblicks-Kommunikation am Fenster dar. Dieses Ergebnis befindet sich augenblicklich noch in Vorbereitung und wird als eigen-ständige Publikation veröffentlicht. Es stellt eine systematische und notwendige Ergänzung der hier vorliegenden Studie mit ihrem empirisch-fallanalytischen Fokus dar. Wer sich also speziell für die (weiterführende) methodisch-methodologische und theoretische Seite der Ana-lyse kommunikativer Minimalformen interessiert, der sei auf diese zweite Publikation (Schmitt/Petrova i. Vorb.) verwiesen.
Der Beitrag beschäftigt sich mit der Interaktion zwischen blinden und sehenden Personen bei der kooperativen Anfertigung einer Audiodeskription. Eine Audio-deskription ist die verbale Beschreibung visueller Inhalte für Sehbeeinträchtigte und stellt eine Sonderform der Translation dar. Auf der Basis von Videodaten wird die Kooperation eines Dreierteams mit den Verfahren der multimodalen Interaktionsanalyse untersucht. Ein Charakteristikum dieser Kooperation besteht darin, dass eines der Teammitglieder blind ist und die beiden anderen sehen können. Das Erkenntnisinteresse richtet sich besonders auf die professionelle Beteiligung des blinden Teammitglieds an der Interaktion. Die Analyse zeigt, wie Blindheit als Ressource für die kooperative Herstellung der Audiodeskription genutzt wird und wie die Beteiligten in einer visuell asymmetrischen Situation interagieren. Der Beitrag ist eine der seltenen Untersuchungen, die sich mit professioneller Interaktion zwischen Blinden und Sehenden beschäftigen. Er diskutiert Aspekte von genereller Relevanz für die weitere Entwicklung der empirischen Interaktionsforschung, vor allem in Bezug auf eine Erweiterung von Beteiligungsperspektiven in Richtung Inklusion.
Der Beitrag untersucht auf der Grundlage der multimodal-raumanalytischen Interaktionsanalyse die Abendmahlfeier in drei lutherisch-protestantischen Gottesdiensten. Die Videoaufnahmen hierzu stammen aus Sarepta (Russland) und Rimbach und Zotzenbach (Deutschland). Nach einer kurzen Einordnung des Beitrags in den relevanten Forschungszusammenhang wird das spezifische raumanalytische Erkenntnisinteresse am Abendmahl als kollektive Positionierungsanforderung erläutert. Drei Fallanalysen rekonstruieren zunächst die interaktionsarchitektonischen Voraussetzungen für die kollektive Bewegung der Gemeinde ins kirchenräumliche Vorne. Diese Bewegung, die Positionierung der Gemeinde zur Einnahme des Abendmahls (der Konsum von Wein und Brot) und der Rückweg zu den Kirchenbänken sind raumbezogene Teilaufgaben, die in der konkreten Situation bearbeitet werden müssen. Die Bewegung der Gemeinde wird in den drei analysierten Gottesdiensten auf sehr unterschiedliche Weise organisiert. Die Rekonstruktion dieser Unterschiede ermöglicht die Formulierung von drei unterschiedlichen Vollzugsmodellen primär auf der Basis der zwei folgenden Aspekte: Relevant ist zum einen das Ausmaß und die Form der Vergemeinschaftung
(als symbolischer Nachvollzugs des überlieferten Abendmahls von Jesus Christus mit seinen Jüngern am Gründonnerstag) und zum anderen die Spezifik, in der die Teilnehmer konkret den Wein und das Brot konsumieren. Auf diesem Wege konnten ein Modell der Vergemeinschaftung mit Kollektivversorgung (Sarepta), ein Modell der Teil-Vergemeinschaftung mit Teil-Gruppenversorgung (Zotzenbach) sowie ein Individualisierungsmodell mit Einzelversorgung (Rimbach) identifiziert werden. Als strukturprägende Einflussgrößen werden einerseits die Möglichkeiten, die die Architektur für den Vollzug des Abendmahls zur Verfügung stellt, und andererseits die Anzahl der Teilnehmer deutlich. Ab einer gewissen Anzahl entsteht eine Art Ökonomisierungszwang, der sich negativ auf die Qualität der Vergemeinschaftung auswirkt. Von Reinhold Schmitt stammt die Idee, das Abendmahl als Koordinations- und Positionierungsaufgabe zu konzeptualisieren. Er hat auch die multimodal-interaktionsanalytische Methodologie entwickelt, die dem Beitrag zugrunde liegt. Darüber hinaus hat er die Videoaufnahmen in Rimbach und Zotzenbach erstellt und transkribiert. Anna Petrova hat die Gottesdienste in Sarepta dokumentiert und transkribiert. Die methodische und theoretische Konzeption des Beitrags stammt von beiden Autoren. Auch die Analysen der ausgewählten Fälle haben sie gemeinsam durchgeführt.
Ziel des Beitrags sind methodisch orientierte Überlegungen zur Analyse interkultureller Kommunikation, deren Relevanz wir an einem Beispielfall demonstrieren wollen. Wir beziehen uns dabei auf das Datenmaterial und den Beitrag von Slavo Ondrejoviö in diesem Band. Angeregt zu diesem Beitrag wurden wir durch unsere zeitweilige Teilnahme an den Sitzungen der Forschungsgruppe. Im Zusammenhang mit dieser Thematik kamen immer wieder Probleme der interkulturellen Kommunikation zur Sprache, konnten aber in dem der Gruppe vorgegebenen Rahmen nicht als eigenständiger Untersuchungsgegenstand behandelt werden. Wir wollen uns nun im Folgenden mit einigen methodisch-methodologischen Problemen der Analyse interkultureller Kommunikation befassen.
Das Konzept De-facto-Didaktik ist der theoretische Rahmen, in dem wir aus multimodal-interaktionsanalytischer Sicht Unterrichtskommunikation analysieren. Es integriert neue Entwicklungen im Bereich Interaktionstheorie, empirische Interaktionsanalyse und Raumlinguistik. Aus einer dezidiert interaktionistischen Perspektive fokussiert das Konzept zunächst bewusst allgemeine Anforderungen der Interaktionskonstitution, um spezifische Aspekte der Unterrichtskommunikation - im konkreten Fall primär das didaktische Handeln der Lehrer - neu perspektivieren zu können. Wie immer man das Geschehen im Unterricht auch konzeptualisieren mag, es ist und bleibt in seiner grundlegenden Struktur und - jenseits seiner institutionellen Prägung und Bedingtheit - ein Ereignis, das in der konkreten Interaktionsarchitektur des Klassenraums, sequenziell-simultan durch das multimodale Verhalten aller Anwesenden gemeinsam hervorgebracht wird. Dabei unterliegen alle Beteiligten ungeachtet ihrer besonderen Beteiligungsrolle den Bedingungen der Interaktionskonstitution.
Wir werden nachfolgend die interaktionstheoretischen Grundlagen skizzieren, auf der unsere Methode der de-facto-didaktisehen Analyse basiert, und führen dann an einem ausgewählten Beispiel vor, wodurch sich dieser analytische Zugang auszeichnet. Zum Abschluss weisen wir nach einem fallspezifischen Resümee auf die anwendungsbezogene Relevanz de-facto-didaktischer Analysen hin.
Der Beitrag hat zwei Schwerpunkte: Zum einen wird die interaktive Struktur einer 12 Sekunden dauernden Pause und deren soziale Bedeutung in einem spezifischen Kontext aus gesprächsanalytischgesprächsrhetorischer Perspektive analysiert. Damit wird ein interaktives Phänomen zum Gegenstand der Untersuchung, das – aus triftigen Gründen und in motivierter Weise – in der bisherigen gesprächsanalytischen Forschung einen eher peripheren Stellenwert besaß: der temporäre Verzicht der Interaktionsbeteiligten auf verbalen Ausdruck. Zum anderen wird diese Abwesenheit von Verbalität zum Anlass genommen, einen Aspekt zu thematisieren, der sich meines Erachtens auf die künftige Entwicklung der Gesprächsanalyse gravierend auswirken wird: die Tatsache, dass die empirische Grundlage gesprächsanalytischer Untersuchungen immer häufiger aus audiovisuellen Daten besteht. Diese „visuelle Revolution“, die durch die technologische Entwicklung in Form problemlos einsetzbarer Videokameras angestoßen wird, hat weit reichende Konsequenzen für die Theorie, Methodologie und Methode eines Analyseansatzes, der sich bislang und programmatisch bei der Analyse interaktiver Ordnungsstrukturen primär auf Verbalität konzentriert hat.
Einleitung
(1997)
Auf der Grundlage videodokumentierter Kirchenbesichtigungen, bei denen exothetisches Sprechen als Erhebungsmethode eingesetzt wurde, analysiert der Aufsatz Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Kirchenbesichtigungen von Aurelia, Saskia und Anton. Alle haben dieselbe Kirche besichtigt und ihre visuelle Wahrnehmung des Kirchenraums – das war die explizit formulierte Aufgabe – durch verbale Kommentare und Beschreibungen begleitet. Übergeordnetes Ziel der Analyse des exothetischen Sprechens war die Rekonstruktion der den Besichtigungen zugrundeliegenden Konzepte, die zum Großteil in mitgebrachten Relevanzen begründet sind. Nach der Skizzierung unseres zentralen Erkenntnisinteresses und der Verortung unseres Ansatzes im relevanten Forschungskontext arbeiten wir zunächst die Gemeinsamkeiten der exothetischen Formen und ihre Funktionen in den drei Kirchenbesichtigungen heraus. Dann konzentrieren wir uns auf die Unterschiede und jeweiligen Besonderheiten der drei Besichtigungen und arbeiten dabei drei eigenständige, in sich schlüssige Besichtigungskonzepte heraus. Diese drei Konzepte zeichnen sich durch die jeweils eigenständige Konstitution des Kirchenraums bei dessen Besichtigung aus. Wir konnten zeigen, dass der Kirchenraum als religiöser Funktionsraum konstituiert wird (Aurelia), als Ort von Christusdarstellungen (Saskia) und als architekturgeschichtlicher Zusammenhang (Anton). Die modellhafte Eigenständigkeit der Konzepte wurde ausschließlich durch das exothetische Sprechen deutlich. Dies weist die wahrnehmungsbegleitende Thematisierung als wichtiges Erhebungs- und Analyseverfahren für den Zugang zur situierten Kognition im Zusammenhang mit dem Vollzug komplexer kultureller Praktiken aus.
Der Beitrag behandelt Gesprächsaktivitäten eingeschränkter Kooperativst, wie sie in vielen Kommunikationssituationen wie z. B. in strittigen Diskussionen geradezu die Normalform darstellen. Zur theoretischen Einordnung und als Grundlage der empirischen Beschreibung derartiger Äußerungen wird das Konzept „Forcieren” im Sinne von „eigene Möglichkeiten erweitern und fremde verringern” entwickelt. Anhand eines komplexeren Beispielfalles wird ein Spektrum von unterschiedlichen Formen des Forcierens untersucht, die anschließend typologisch eingeordnet werden. Abschließend werden die beschriebenen Beteiligungsweisen eingeschränkter Kooperativst als Merkmale von unterschiedlichen Interaktionsstilen beschrieben.
Freiraum schaffen im Klassenzimmer: Fallbasierte methodologische Überlegungen zur Raumanalyse
(2015)
Der Aufsatz ist ein empirischer und theoretischer Beitrag zur Weiterentwicklung einer multimodalen, interaktionsanalytischen Methodologie. Auf der Grundlage eines minimalen Kontrasts wird im Detail analysiert, wie zwei Konfirmandinnen und zwei Konfirmanden ihren jeweils gleichzeitigen "Kerzengang" in der Vor-phase eines Gottesdienstes realisieren. Während die Konfirmandinnen ihren Gang in den Altarraum, das Anzünden ihrer Kerzen und den Rückweg zur Bank als "gemeinsam gehen" koordinieren, realisieren die beiden Konfirmanden ihren Gang als "hinter jemandem herlaufen". Die Analyse wird theoretisch gerahmt durch das Konzept "Gehen als situierte Praktik", das im Anschluss weiter geschärft wird.
Gesprächstraining
(2004)
Gesprächstraining
(2007)
Gesprächstraining
(2011)
Der Beitrag beschäftigt sich auf der Grundlage einer Einzelfallanalyse mit der Frage, wie Personen erkennbar machen, dass sie an einer Interaktion beteiligt sind. Die Frage, wer auf welche Weise und mit welchen Rechten und Pflichten an einer Interaktion teilnimmt/teilnehmen darf, und woran dies die Beteiligten und der Analytiker erkennen, gehört zu den etablierten Fragestellungen der Interaktionsanalyse. Im vorliegenden Beitrag wendet sich der Autor diesem Thema mit einem spezifischen Erkenntnisinteresse zu: Ihn interessiert, wie Personen, die über eine längere Phase keinen verbalen Beitrag zur Interaktion leisten, verdeutlichen, dass sie sich ungeachtet ihrer verbalen Abstinenz als Teil der laufenden Interaktion verstehen und verhalten. Oder, um es im Vorgriff auf spätere konzeptuelle Überlegungen zu formulieren: Dass sie Mitglieder/Beteiligte eines Interaktionsensembles sind, ohne sich verbal an dessen Konstitution zu beteiligen. Im Zentrum des Erkenntnisinteresses steht die Frage nach den Ressourcen, die von den verbal abstinenten Interaktionsbeteiligten eingesetzt werden, um zu verdeutlichen, dass sie an einer laufenden Interaktion teilnehmen und die Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden in den Beteiligungsformaten, die sie dabei produzieren.
In diesem Aufsatz wird einzelfallanalytisch der Frage nachgegangen, wie die Struktur einer Kirchenbesichtigung aussieht. Im theoretischen Rahmen, der die Kirchenbesichtigung als kulturelle Praktik konzeptualisiert, wird „Objektkonstitution“ als eine aktive Leistung des Kirchenbesichtigers in den Blick genommen. Bei den Aufnahmen zum Kirchenbesichtigungskorpus wurden die Besichtiger nicht nur bei ihrem Gang durch den Kirchenraum und der visuellen Wahrnehmung bestimmter Raumaspekte gefilmt. Sie wurden vielmehr darum gebeten, ihre visuelle Wahrnehmung durch begleitendes Sprechen auch zu kommentieren. Aufgezeichnet wurde das Besichtigungskorpus mit zwei Kameras: einer Actionkamera, die den Wahrnehmungsraum der Besichtiger dokumentiert, und einer Kontextkamera, die ihnen bei ihrem Weg durch den Raum folgt.
Dieses experimentelle Erhebungsdesign, bei dem exothetisches Sprechen bewusst als wissenschaftliche Erhebungsmethode eingesetzt wird, macht es möglich, das Besichtigungskonzept der Personen als dynamisches Zusammenspiel ihrer visuellen Wahrnehmung des Kirchenraums und ihrer wahrnehmungsbegleitenden Exothese zu rekonstruieren. Dass Objektkonstitution eine aktive Herstellung ist, durch die der Kirchenraum in den Relevanzen seines Betrachters teilweise neu entsteht, zeigt die Fallanalyse in exemplarischer Klarheit: Anton, der analysierte Besichtiger, der sich ausführlich mit zwei großen Gemälden beschäftigt, konstituiert diese de facto als „Bilderrahmen“, ohne überhaupt auf die dargestellten Szenen einzugehen.