Sprache, Recht und Öffentlichkeit - Gesellschaftliche Relevanz des Themas aus linguistischer Sicht
- In Zeiten des moralischen oder technischen Wandels werden die in der Allgemeinsprache sedimentierten bzw. aufgehobenen Werte und Grenzlinien fragwürdig, und der allgemeinsprachliche Diskurs gerät in Spannung zu den rechtsprachlichen Spezialdiskursen der Gesetzgebung und der Rechtsprechung. Was man sagt, was sagen wir, wann - im Hinblick auf die Abtreibungsproblematik oder das Klonen von Embryonen - „das Leben" oder „Leben" beginne, ab wann, sagt man, sagen wir, sei - im Hinblick auf die Organverpflanzung - „der Mensch tot"? Soll die gleichgeschlechtliche Partnerschaft eine „Ehe" genannt werden, sollten RU 486 und Viagra „Medikamente" oder „Tötungspille" bzw. „Lifestylepille" heißen? Über diese und ähnliche Sach- und Sprachfragen wird bei der Rechtsformulierung im Parlament und seinen Nebenorganen .parliert' oder bei der Rechtsprechung im Gericht das Urteil „im Namen des Volkes" (heißt das auch im Namen der Sprache des Volkes?) gesprochen. Was in solchen Brisanzphasen aus sprachwissenschaftlicher Perspektive augenscheinlich wird, soll an zwei Beispielen verdeutlicht werden: Einmal geht es um die in den frühen 80er Jahren beobachtbare Wandlung der Verwendung des Wortes Bullen (als Bezeichnung von Polizisten) vom beleidigenden Schimpfwort zur umgangssprachlichen Fremd- und Selbstbezeichnung (in Filmen des Schimanski-Genres bzw. in Ausdrücken wie Bullenballett, Bullenorden) und um die analoge Wandlung in der Rechtsprechung über dieses problematische „Sprachdelikt". Zum anderen geht es um den medien öffentlichen und parlamentarisch-öffentlichen Streit um die Artikulation eines neuen Grenzpunktes zwischen Leben und Tod im Hinblick auf die Organverpflanzung. Dabei besteht das sprachlich Dilemmatische dieses Problemverhalts darin, dass zum Zeitpunkt des Hirntodes der Mensch unter dem Gesichtspunkt des Schutzes durch das Grundgesetz „so tot wie nötig" und vom Standpunkt der Organspende aus „so lebendig wie möglich" sein soll. Immer handelt es sich auch um sprachliche Handlungen mit immensen gesellschaftlichen Folgen.
Author: | Georg Stötzel |
---|---|
URN: | urn:nbn:de:bsz:mh39-91961 |
DOI: | https://doi.org/10.1515/9783110622836-003 |
ISBN: | 3-11-017457-X |
Parent Title (German): | Sprache und Recht |
Series (Serial Number): | Jahrbuch / Institut für Deutsche Sprache (- 2001) |
Publisher: | de Gruyter |
Place of publication: | Berlin [u.a.] |
Editor: | Ulrike Haß-Zumkehr |
Document Type: | Part of a Book |
Language: | German |
Year of first Publication: | 2002 |
Date of Publication (online): | 2019/09/06 |
Publicationstate: | Zweitveröffentlichung |
Reviewstate: | (Verlags)-Lektorat |
GND Keyword: | Deutsch; Fachsprache; Rechtssprache; Öffentlichkeit |
First Page: | 7 |
Last Page: | 18 |
DDC classes: | 400 Sprache / 400 Sprache, Linguistik |
Open Access?: | ja |
Leibniz-Classification: | Sprache, Linguistik |
Linguistics-Classification: | Fachsprache |
Linguistics-Classification: | Grammatikforschung |
Licence (German): | ![]() |