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Rechtsprechen ist mehr als Nachsprechen von Vorgeschriebenem

  • Das Recht überbringt seine Verbindlichkeiten durch Sprache, nimmt damit kulturelle Gemeinsamkeiten der Rechtsgemeinschaft auf und regelt in dieser Kontinuität von Sprache und Kultur eine Ordnung des mitmenschlichen Zusammenlebens. Dabei bemüht sich die Rechtssprache um Nüchternheit und Rationalität, um ihre Aussagen möglichst verlässlich zu überbringen. Allerdings ist jeder Rechtssatz auslegungsbedürftig, weil die Vielfalt der regelungsbedürftigen Fälle oft nicht vorausgesehen und auch nicht prägnant begriffen werden kann, das Verstehen der Aussage auch vom Gesetzesadressaten abhängt, die Rechtssprache vielfach wegen ihrer Verbindlichkeit auch auf Sprachumdeuter und Sprachfälscher trifft. Die Bestimmtheit eines Rechtssatzes unterscheidet sich nach der Striktheit der Anordnung, der Spezialität des Regelungsbereichs, der Vervollständigung der Regel durch die Realität oder durch die Autorität des Regelnden. Interpret des Rechts ist dessen Sprecher. Zunächst spricht der Gesetzgeber im Gesetzestext bewusst in einer entpersönlichten Form, um ein Höchstmaß an Objektivität, Problemoffenheit und Allgemeinheit sicherzustellen. Sodann steht der Rechtsstaat für Nachfragen zu dem mit seinem Wort Gemeinten bereit. Er spricht durch die gesetzesanwendende Behörde mit dem Betroffenen über Inhalt und Auswirkungen des Gesetzes in der konkreten Lebenssituation, zieht Folgerungen aus dem Gesetz für den Einzelfall in der sprachlichen Form eines Verwaltungsaktes, eröffnet für den nicht einverstandenen Adressaten die Möglichkeiten von Widerspruch oder Einspruch, garantiert bei zweifelhaftem oder streitigem Recht den Weg zu den Gerichten, zur Recht-Sprechung. Der Verfassungsstaat unterliegt also nicht dem Irrtum, allein durch den Wortlaut des Gesetzes gleiche Rechtsfolgen an alle Gesetzesadressaten überbringen und diese auch für zukünftige, noch nicht vorausgesehene Anfragen an das Recht festschreiben zu können. Die Bindung der Rechtsgemeinschaft an das Recht wird in einem arbeitsteiligen Sprachvorgang gesichert: Der Gesetzgeber regelt die langfristigen, generellen, auf Dauer verbindlichen Vorgaben; die Verwaltung verdeutlicht diese Vorgaben für Gegenwart und Einzelfall; die Rechtsprechung überprüft diese Gesetzesanwendung in der Verantwortlichkeit des letztverbindlichen Sprechers. Der Rechtsstaat ist stets offen für das Gespräch über die geltenden Rechtsverbindlichkeiten und ihre Auswirkungen im individuellen und konkreten Einzelfall.

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Metadaten
Author:Paul KirchhofGND
URN:urn:nbn:de:bsz:mh39-92057
DOI:https://doi.org/10.1515/9783110622836-010
ISBN:3-11-017457-X
Parent Title (German):Sprache und Recht
Series (Serial Number):Jahrbuch / Institut für Deutsche Sprache (: 2001)
Publisher:de Gruyter
Place of publication:Berlin [u.a.]
Editor:Ulrike Haß-Zumkehr
Document Type:Part of a Book
Language:German
Year of first Publication:2002
Date of Publication (online):2019/09/09
Publicationstate:Zweitveröffentlichung
Reviewstate:(Verlags)-Lektorat
GND Keyword:Deutsch; Kommunikation; Rechtssprache
First Page:119
Last Page:135
DDC classes:400 Sprache / 400 Sprache, Linguistik
Open Access?:ja
Leibniz-Classification:Sprache, Linguistik
Linguistics-Classification:Fachsprache
Licence (German):License LogoUrheberrechtlich geschützt